- | Deutschland 2001 | 105 Minuten

Regie: Volker Koepp

Beobachtungen in der Uckermark, einem dünn besiedelten Landstrich nordöstlich von Berlin. Der Dokumentarfilm lässt die Betroffenen, zumeist Verlierer der Wiedervereinigung, zu Wort kommen, nähert sich ihnen bedächtig und behutsam und versteht es, durch seine teilnehmende Beobachtung das Schweigen und die Lethargie der Porträtierten aufzubrechen. Die Melancholie des Themas verstärkt sich stimmungs- und reizvoll durch die einfühlsame Bildgestaltung sowie die langsamen Kamerafahrten über die sanfte Hügellandschaft. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Vineta Film/SWR/WDR/ORB
Regie
Volker Koepp
Buch
Volker Koepp
Kamera
Thomas Plenert
Musik
Rainer Böhm
Schnitt
Angelika Arnold
Länge
105 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
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Diskussion
„Der Reisende, der alles schon vorher weiß, sieht nichts mehr“, lautet ein Bonmot von Willibald Alexis, dem Chronisten brandenburgischpreußischer Geschichte, das sich Volker Koepp bei seiner jüngsten Erkundungsreise zu Herzen nahm. Begab er sich doch auf eine Expedition in heimatliche Gefilde, um Entdeckungen ausgerechnet in einer Gegend zu machen, in der eine Vielzahl seiner Filme entstanden ist: Uckermark, jener dünn besiedelte Landstrich nordöstlich von Berlin, der heute zu den ärmsten Regionen Deutschlands gehört. Nach Ostpreußen in „Kalte Heimat“ (1978), Bukowina in „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“ (fd 33 698) und dem Baltikum in „Kurische Nehrung“ (fd 34 986) abermals ein Landschaftsporträt, wie es wohl nur Koepp gelingt: skurrile Begegnungen und fein ziselierte Porträts, die die Veränderungen in der Umgebung und der Beziehungen der Menschen untereinander beschreiben, sich durch Sympathie mit ihnen und Neugier auszeichnen, einer historischen Zäsur im Moment großer Umbrüche nachspüren. Kurzum: Zeitgeschichte im Spiegelbild einer Landschaft greifbar machen. Da Koepp, wie er immer wieder eindrucksvoll belegt, die Menschen während der Dreharbeiten kennen lernen möchte, erreichen seine Filme auch einen Grad an Vertrautheit, der dann zu jenen intensiven Augenblicken führen kann, die unauslöschlich im Gedächtnis des Betrachters haften bleiben. Unvergessen etwa das ungleiche Paar in „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“, das sich gegenseitig die Bälle zuspielt. Einen beinahe ähnlichen Clou landet Koepp in „Uckermark“ mit einem Rentner-Duo, das er wortkarg und mit lakonischem Humor die Gegenwart der Vergangenheit kommentieren lässt. Die ehemaligen LPG-Bauern und Wendeverlierer könnten ein Lied davon singen, wie übel die Geschichte einem mitspielen kann. Stattdessen üben sie sich in beredter Schweigsamkeit. Bis die Rede auf die verweigerten Entschädigungszahlungen kommt und der Knoten platzt, wofür Koepp sich in gewohnter Manier viel Zeit nimmt: Auf einer Bank vor ihrem Haus tauschen die verbitterten Landwirte verlegen ihre Erinnerungen aus, in einer Balance aus Komik und bitterem Ernst, haben sie doch erst 1945 als Kriegsflüchtlinge aus dem Osten, dann 1960 im Zuge der Zwangskollektivierung und 1990 durch die gewieften Manöver der LPG-Leitung bei der Privatisierung ihre gesamte Habe verloren. Wenn der 84-jährige Adolf Heinrich von Arnim wiederum die unzähligen Vereine aufzählt, denen er angehört, und sein Engagement für den zu belebenden Nahverkehr in Gerswalder bekundet, ruft so viel rhetorische Selbstdarstellung nicht nur unfreiwillige Komik hervor – es nötigt auch Respekt ab. Schließlich betreibt der Aristokrat gemeinsam mit der alten Belegschaft ein Futtermischwerk weiter, musste sich gar zu diesem Zweck von seinem Betriebsleiter, einem ehemaligen SED-Mitglied, erst die Marktwirtschaft beibringen lassen. Als „Junker“ einst davongejagt, strotzt der idealistische Adlige vor Tatendrang und steht stellvertretend für all die Blaublütler, die 50 Jahre nach der Bodenreform auf die Stammsitze ihrer Familien zurückgekehrt sind; nicht um eine späte Revanche zu nehmen, sondern voller Optimismus, um aus historischer Verantwortung heraus Aufbauhilfe zu leisten oder die Familientradition zu reanimieren, oft gegen die ökonomischen Zwänge und Widrigkeiten der Zeit. Denn der Modernisierungsschub auf dem Lande hat die meisten Arbeitskräfte freigesetzt. Auch Graf von Hahn, der seit kurzem das verfallene Gutshaus seiner Familie Stück für Stück restauriert, braucht kaum Arbeiter für seine Rinderzucht. Gewissermaßen als Kontrapunkt nehmen sich da die zwei ehemaligen Bauern in Frührente aus. Extrem hohe Arbeitslosigkeit, Landflucht gen Westen, Perspektivlosigkeit: Das kuriose Nebeneinander von rückkehrenden Westadligen zu ihren landwirtschaftlichen Betrieben und von Ex-DDR-Bürgern, die wegziehen, offenbart den Riss, der seit der Wiedervereinigung durch die Republik geht. Besonders drastisch wird diese Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in der absurden Szene mit einem halben Dutzend Frauen deutlich, die Felder nach archäologischen Fundstücken absuchen. Früher waren sie Betonwerkerinnen, Erzieherinnen oder Blumenverkäuferinnen, heute halten sie sich mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen über Wasser. Einer Beschäftigungstherapie gleich kommt es auch, wenn ältere Arbeiter landwirtschaftliche Maschinen für ein Museum reparieren. Verschiebebahnhöfe für Menschen, die nicht mehr gebraucht werden und in Ratlosigkeit erstarren. Die Geschichte kommt mal als Komödie, mal als Tragödie, dann als Tragikomödie daher, paraphrasiert das Marxsche Aperçu von der Geschichte, in der die Tragödie als Farce wiederkehrt, Fritz Marquardt im Film: Der Ex-Theatermann ist der Einzige, den der Regisseur privat kennt. Früher ein glühender Kommunist, lebt er heute zurückgezogen in der Uckermark. Seine Vita spiegelt noch einen anderen historischen Untergang, den einer Utopie: „Der Kommunismus ist eine bequeme Religion für die Intellektuellen“, bekennt er selbstironisch aus der Distanz. Die daraus erwachsende Melancholie ist auch ein Element der in langen Kamerafahrten fotografierten Landschaft: der sanften Hügel, weitläufigen Äcker und verträumten Seen. Bilder, schön wie Stilleben, aus der holländischen Landschaftsmalerei oder aus der Werkstatt von Camille Corot. Auch wenn die Schlusssequenz mit einem frostigen Gefühl entlässt, in einer Winterlandschaft, wo die Eisfläche eines zugefrorenen Sees, auf dem Menschen Schlittschuh laufen, die ungewisse Zukunft dieser Gegend metaphorisch anzudeuten scheint, so ist der Film frei von Polemik: Eine Tragikomödie, die klagende Untertöne und heitere Augenblicke nebeneinander stehen lässt und mit subtiler Kunstfertigkeit menschliche Schicksale durchs Prisma des sie prägenden Raumes beleuchtet.
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