Chihiros Reise ins Zauberland

- | Japan 2001 | 125 Minuten

Regie: Hayao Miyazaki

Ein zehnjähriges Mädchen und seine Eltern haben sich in den Wäldern vor Tokio verirrt und stoßen dort auf einen Vergnügungspark, der sich als Hort der Shintogötter und Dämonen entpuppt. Durch harte Arbeit im Badehaus und der Lösung verschiedener Geheimnisse gelingt es dem Mädchen, seine verwunschenen Eltern zu befreien. Ein in seiner epischen Breite beeindruckender, Emotionen und Erkenntnislust gleichermaßen ansprechender Fantasy-Zeichentrickfilm, der die vielschichtigen Elemente des Märchens nicht nur zur Unterhaltung nutzt, sondern auch zur Selbstständigkeit und der Bereitschaft, Probleme zu lösen, animiert. - Sehenswert ab 10.
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Filmdaten

Originaltitel
SEN TO CHIHIRO NO KAMIKAKUSHI | SPIRITED AWAY
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Studio Ghibli/Dentsu
Regie
Hayao Miyazaki
Buch
Hayao Miyazaki
Musik
Joe Hisaishi
Schnitt
Takeshi Seyama
Länge
125 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 10.
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Heimkino

Die Special-Edition enthält aufschlussreiche Features zu Teilaspekten des Films.

Verleih DVD
Universum (16:9, 1.85:1, DD5.1 jap./dt.)
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Betörendes Animations-Meisterwerk um ein kleines Mädchen, das in einem magischen Vergnügungspark harte Fronarbeit leisten muss, um seinen verwunschenen Eltern von einem Fluch zu befreien.

Diskussion

Eine Gesellschaft, in der den Ahnen Lebensmittel serviert werden, damit es ihnen im Jenseits an nichts mangelt; ein Shinto-Glaube, in dem Geister zum alltäglichen Leben dazugehören: In einem Land, in dem man so mit dem Unbegreifbaren umgeht, können Geschichten reifen, wie sie  Hayao Miyazaki seit über 30 Jahren erzählt.

Das Übernatürliche ist eine Konstante in den Trickfilmen des japanischen Regisseurs. Man findet es implizit schon in den mystischen Bergen während eines Gewitters der Fernsehserie „Heidi“, die er zusammen mit Isao Takahata 1974 realisierte. Mal sind es fantastische Einsprengsel wie die Hexenkünste eines kleinen Mädchens in „Kikis Delivery Service“ (1989), mal ganz reale Waldgötter und Dämonen wie in der märchenhaften Welt von „Prinzessin Mononoke“.

Auch in „Chihiros Reise ins Zauberland“ leben Geister und Götter mitten unter den Menschen. Man kann sie nur nicht sehen – es sei denn, man taucht in jene Sphäre ein, die sie schützt, und ist aufgeschlossen, kindlich naiv und mutig zugleich. Was bei Frau Holle ein Brunnen war, durch den man in die Zwischenwelt gelangte, ist hier ein alter überwucherter Tunnelgang in einem großen Tempelgebäude. Eine vermeintlich falsche Abkürzung führt Chihiro und ihre Eltern immer hoffnungsloser ins Dickicht der Wälder vor den Toren Tokios. Als die drei mit dem Auto nicht mehr weiterkommen, soll ein Fußmarsch zu dem Domizil führen, das zum Unwillen der Zehnjährigen bald ihr neues Zuhause sein soll.

Schlemmen nach Herzenslust

Doch was sie auf der anderen Seite des Tunnels stoßen sie auf einen alten, wie verwunschen wirkenden Vergnügungspark. Während Chihiro die eigentümliche Stimmung kritisch beäugt, zieht es die Eltern an die reich gedeckte Theke eines Imbissstandes. Mit tiefer sinkender Sonne wird die Szenerie immer unwirklicher, bis sich die hemmungslos essenden Eltern zum Schrecken Chihiros langsam in Schweine verwandeln. Auf der Suche nach Hilfe stößt sie auf den scheuen Jungen Haku. Seiner Umsicht ist es zu verdanken, dass das verstörte Mädchen das Folgende mit heiler Haut übersteht.

Mit Beginn der Dunkelheit erwacht der Ort nämlich zu überirdischem Leben. Mit Booten gelangen aberwitzige Gäste in das pagodenartige Haupthaus und werden von ebenso grotesken Gestalten in Empfang genommen. Haku kennt dieses Prozedere, ist er doch schon lange ein Teil von ihm. Ehe sich Chihiro versieht, befindet sie sich innerhalb des Gebäudes, das den Göttern als Hort der Ruhe und Reinigung dient. Menschen sind in diesem Badehaus nicht gern gesehen. Nur wenn sie die Hexe Yubaba um Arbeit anflehen, enden sie nicht auf der Speisekarte. Bei Frau Holle waren die Arbeiten zwar schwer, aber im Vergleich zu Chihiros Aufgaben wenigsten klar strukturiert und übersichtlich. Zunächst findet sich das Mädchen im Heizkeller wieder, in dem winzige Rußigel für Kohle im Ofen sorgen und ein vierarmiger Greis den Kräutersud für die Badegäste zusammenmixt.

In den oberen Etagen landet sie alsbald in einer Betreuungseinheit für riesige Badewannen. Dort verdient sich die energische Chihiro ihre ersten Sporen, als sie einen als ekelhaften Faulgott verschrieenen Flussdrachen von dem Müll befreit, den die Menschen achtlos in den Seen und Bächen entsorgen. Im Gegensatz zu den Gebrüder Grimm folgt bei Miyazaki jedoch die Belohnung nicht sogleich nach getaner Arbeit. Zwar wird Chihiro im Badehaus respektiert, doch kein Geist ist willens und ihr Freund Haku nicht in der Lage, dem Mädchen ihre verwunschenen Eltern zurückzugeben. Zunächst gilt es, das Geheimnis des mysteriösen Monstergottes Ohngesicht zu lösen, der das ganze Badehaus in Bann schlägt, und dem Zwist von Yubba und ihrer Zwillingsschwester Zeniba auf den Grund zu gehen, bevor Chihiro ihre Eltern vielleicht vor dem Kochtopf bewahren kann.

Die Fantasie wird beflügelt

Miyazakis Märchen sind meist wahrhaft epische Konstrukte, die vor allem jüngeren Zuschauern viel an Konzentration und Anteilnahme abverlangen. Über zwei Stunden eröffnet sich ein atemberaubender Kosmos, der in einer Mischung aus Achterbahn- und Geisterbahnfahrt die kognitiven und emotionalen Bereiche der Wahrnehmung gleichermaßen in Beschlag nimmt und zu einem absoluten Erleben bewegt. Um der überbordenden Fantasie Miyazakis Herr zu werden, sollte man indes das sechste Lebensjahr bereits überschritten haben. Dann jedoch dürften die Abenteuer des kleinen Mädchens tagelange für Gesprächsstoff sorgen und die eigene Fantasie aufs Nachhaltigste beflügeln.

„Chihiros Reise ins Zauberland“ ist in seinem Einsatz von Schockelementen deutlich dezenter als „Prinzessin Mononoke“, verlegt er doch den Schwerpunkt weg von blutig-martialischer Akrobatik hin in eine allen Gesetzen der Vernunft trotzende Welt der Magie. In dieser Märchenwelt ist der Schrecken ein natürlicher Teil des Lebens und wirkt daher weniger schockierend als in rationalen Welten. Zudem lernt man von Chihiro, wie man mit dem Schrecken umzugehen hat und an ihm wachsen kann. Das unterscheidet Miyazakis Szenarien zudem wohltuend von denen der Gebrüder Grimm, die mehr auf die Vermittlung moralischer Werte als auf Konfliktlösung zielen.

„Oscar“ & „Goldener Bär“

Miyazaki, dessen Bedeutung in seinem Heimatland weit über die Walt Disneys hinausragt, hat mit „Chihiros Reise ins Zauberland“ mehr als 20 Millionen Japaner in die Kinos gelockt. Im Westen bereitete die Rezeption des ähnlich erfolgreichen „Prinzessin Mononoke, dem ersten abendfüllenden Kinofilm Miyazaki in den deutschen Kinos, noch einige Schwierigkeiten. Doch nach dem „Goldenen Bären“ bei der „Berlinale“ 2002 und dem „Oscar“ für „Chihiros Reise ins Zauberland“ scheint sich jetzt der Weg zu öffnen für ein Meisterwerk, dem man viele neugierige Zuschauer wünscht.

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