Piccadilly - Nachtwelt

Melodram | Großbritannien 1928 | 118 Minuten

Regie: Ewald André Dupont

In einem angesagten Nachtclub der britischen Metropole gehen die Geschäfte schlecht, sodass der schmierige Besitzer seinen Star durch ein talentiertes chinesisches Spülmädchen ersetzt. Als seine neue Geliebte löst diese ein Eifersuchtsdrama aus, das in einen Mord mündet. Faszinierender Stummfilm, der überzeugend die Exotik, den flüchtigen Rausch Ende der 1920er-Jahre einfängt: Der vergnügungssüchtigen High Society stehen das Elend der Spülküche und der Straße, die vom einfachen Volk frequentierten Lokale gegenüber. Angesiedelt im Artistenmilieu, versucht das Melodram, an den Kassenschlager "Varieté" anzuknüpfen. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
PICCADILLY
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
1928
Produktionsfirma
BIP
Regie
Ewald André Dupont
Buch
Arnold Bennett
Kamera
Werner Brandes
Musik
Neil Brand · Eugene Contie
Schnitt
J.W. McConaughty
Darsteller
Gilda Gray (Mabel Greenfield) · Anna May Wong (Sho-Sho) · Jameson Thomas (Valentine Wilmot) · King Ho-Chang (Jim) · Ellen Pollock (Vampir)
Länge
118 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Melodram
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Diskussion
Neben Fritz Lang, F. W. Murnau und G. W. Pabst, dem Triumvirat des deutschen Stummfilms, war für ihn lange Zeit kein Platz. Doch spätestens nach „Das alte Gesetz“ (1923) und dem Welterfolg „Varieté“ (1925) galt der ehemalige Redakteur, Filmkritiker und Drehbuchautor Ewald André Dupont (1891-1958) als routinierter Handwerker und Künstler. Die Glitzerwelt des Varieté und der Music Halls hatte es ihm angetan: Melodramen aus Exotik und Erotik, Sensationsbedürfnis und Zerstreuung des (großstädtischen) Massenpublikums. Dupont sollte nach seinem kurzen Universal-Engagement ab Dezember 1926 die damals wenig erfolgreiche britische Filmindustrie an Hollywood und an den Weltmarkt heranführen. Die deutsch-britische Allianz gegen die Dominanz Amerikas als Speerspitze eines „Film-Europa“. Zuständig als Generaldirektor für die Produktionen der kapitalstarken British International Pictures, inszenierte er 1927/28 zunächst „Moulin Rouge“, anschließend „Piccadilly“, seinen letzten Stummfilm. Der 1928 in London entstandene Film wurde 2003 von arte in einer viragierten, vom British Film Institute hervorragend restaurierten Fassung in deutscher Erstausstrahlung präsentiert. Im Piccadilly Club, einem angesagten Nachtlokal der britischen Metropole, gehen die Geschäfte schlecht. Der schmierige Besitzer Valentine Wilmot entlässt zuerst sein Zugpferd Victor und ersetzt wenig später den weiblichen Star Mabel durch das talentierte chinesische Spülmädchen Sho-Sho. Seine neue Geliebte löst ein Eifersuchtsdrama aus, das schließlich in einen Mordskandal mündet. Am Ende wird der eifersüchtige chinesische Freund des neuen Tanzwunders vor Gericht als Täter entlarvt. Mit der von klassisch-gepflegten Jazzrhythmen aufgeheizten Atmosphäre korrespondieren die raffinierten Licht- und Schattenspiele des Kameramanns Werner Brandes. Überall verhüllen oder decouvrieren raffinierte, von Vorhängen, Kleidungsstücken, Accessoires, Spiegeln und Glasflächen ausgehende Lichtreflexe die Abgründe, die Leidenschaften der menschlichen Seele. Die naiv-laszive Anna May Wong gibt als Sho-Sho eine sinnliche femme fatale, die mit der Kamera und mit dem Zuschauer förmlich spielt. Dupont, der Augenmensch, der Mann mit dem voyeuristischen Blick, fängt die Exotik, den flüchtigen Rausch Ende der zwanziger Jahre überzeugend ein: Der vergnügungssüchtigen High Society im „Piccadilly“ stehen die bescheidenen Existenzen in der Spülküche und auf der Straße, die vom einfachen Volk frequentierten Lokale gegenüber. Herrlich die Sequenz mit Charles Laughton, der als dinierender Snob einen schmutzigen Teller reklamiert; oder der Ausflug des Clubbesitzers mit seiner chinesischen Geliebten in eine billige Bar am Piccadilly. Voll spannungsgeladener Exotik ist der Ausflug nach Limehouse, in eine ferne Welt des Ostens, in der es zum Showdown, zur tödlichen Konfrontation der beiden Frauen kommt. „Piccadilly“ ist ein schillernder Blick auf die sogenannten wilden Zwanziger im Schmelztiegel der britischen Gesellschaft, im Herzen von London. Die Viragen des Films, nachtblau bei den Außenaufnahmen und bernsteinfarben in den Innenszenen, werden nur für wenige Rückblenden in schwarz-weiß unterbrochen. Angesiedelt im Artistenmilieu, versucht das Melodram an den Kassenschlager „Varieté“ anzuknüpfen. Der aufkommende Tonfilm machte dies zunichte. Rudolf Arnheim kritisierte in der Weltbühne 1929: „Dupont zeigt sich hier deutlich als ein Reaktionär“; es fehlten die Einfälle, die Kamera stehe nur herum. Weiter monierte der Kritiker die bloße „Abbildung eines Realraums“, das „Festhalten von Gegebenheiten“. So bleibe das Tanzlokal ohne Eindruck, reine Ortsbezeichnung. Die Verwendung „schwindelerregender Schwenks“ raubte ihm gar den Schlaf, obwohl die Reißschwenks nur äußerst dosiert zur Charakterisierung der Hektik im Kontext der Teller-Szene eingesetzt werden. Ein Begleitheft zur DVD fehlt, ebenso der Hinweis auf die optimal viragierte Bildfassung. „Piccadilly“ lediglich als Schwarz-Weiß-Film zu kennzeichnen, ist falsch und Tiefstapelei. Das Bonusmaterial ist sparsam; sehr gut informiert die 20-minütige, nur in Englisch verfügbare Einleitung zur Musik von Neil Brand. Der britische Komponist erklärt, warum der Jazz als gute Methode für diesen Film fungiert, jedes Instrument mit seiner Stimme einen speziellen Charakter repräsentiert und der Swing-Sound des Film Noir für die Erotik von „Piccadilly“ zum Einsatz kommt. Geschickt transportiert und interpretiert Brands Musik die Eifersucht der beiden Künstlerinnen, Aufstieg und Fall der Tänzerinnen, den Konflikt von Alt und Jung.
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