Intime Fremde

Drama | Frankreich 2004 | 104 Minuten

Regie: Patrice Leconte

Eine von Eheproblemen geplagte junge Frau irrt sich in der Tür und schüttet statt einem Psychoanalytiker einem Steuerberater ihr Herz aus, der zu fasziniert von der "Patientin" ist, um den Irrtum aufzuklären. Als die Wahrheit ans Licht kommt, hat sich zwischen den beiden bereits eine komplexe Beziehung entfaltet. Patrice Leconte erzählt die Geschichte mit satirischen Seitenhieben auf die Methoden der Psychoanalyse sowie ihre Rezeption im Film und bewegt sich stilsicher im Terrain bürgerlicher Neurosen, die von den hervorragenden Darstellern ebenso subtil wie selbstironisch vorgeführt werden. Ein Spiel mit Geheimnissen und Verwirrungen, akzentuiert durch einen romantischen Unterton. (auch O.m.d.U.; Kinotipp der katholischen Filmkritik) - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
CONFIDENCES TROP INTIMES
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Les Films Alain Sarde/France 3 Cinéma/Zoulou Films/Assise Prod.
Regie
Patrice Leconte
Buch
Jérôme Tonnerre
Kamera
Eduardo Serra
Musik
Pascal Estève
Schnitt
Joëlle Hache
Darsteller
Sandrine Bonnaire (Anna) · Fabrice Luchini (William) · Michel Duchaussoy (Dr. Monnier) · Anne Brochet (Jeanne) · Gilbert Melki (Marc)
Länge
104 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
Ufa
DVD kaufen

Diskussion
Es beginnt damit, dass sich eine Frau in der Tür irrt und einem Steuerberater ihr Herz ausschüttet, weil sie ihn für den Psychoanalytiker von nebenan hält. Eine glückliche Verwechslung, wie sich herausstellt, denn der zunächst überrumpelte und gleich über die Maßen faszinierte Zahlendoktor nimmt sich seiner Patientin nicht nur zum Gratistarif an, sondern auch mit einer Hingabe, die beim benachbarten Professionellen kaum zu haben gewesen wäre. Im Verlauf weiterer Sitzungen entwickelt sich zwischen den beiden ein stillschweigendes Verständnis, das auch dann noch Bestand hat, nachdem der Schwindel aufgeflogen ist. Anna sucht jemanden, mit dem sie über ihre Eheprobleme sprechen kann, und William ist zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr in der Lage, ihr irgendetwas abzuschlagen. Nicht von ungefähr beginnt Patrice Lecontes „Intime Fremde“ mit einer klassischen Fehlleistung. Sein Kammerspiel um Sehnsüchte und Projektionen ist eine süffisante Persiflage auf die psychoanalytische „Talking Cure“, jene Methode des frei assoziierenden Sprechens, mit der das französische Kino schon immer eine geheime Verwandtschaft zu pflegen schien. Es wird viel geredet in diesem Seelenstriptease, und je mehr geredet wird, desto verwirrender erscheint die delikate Angelegenheit: Versucht Anna vielleicht gar, den zugeknöpften Steuerberater mit Erzählungen ehelicher Intimitäten zu verführen? Möchte sie ihren Gatten mit den verschwiegenen Séancen eifersüchtig machen, oder glaubt sie, sich nur durch fremde Hilfe von ihm befreien zu können? Dieser beinahe minütlich gefütterten Unsicherheit zum Trotz bewegt sich die Handlung verlässlich innerhalb der Gemengelage bürgerlicher Repressionen und Neurosen. Über allem schwebt die berühmte Freudsche Frage „Was will die Frau?“, und William ist nicht unbedingt derjenige, der sie beantworten könnte. Seine letzte Verflossene taucht so regelmäßig bei ihm auf, als wollte sie ihn daran erinnern, dass er noch jede Beziehung zu Grunde gerichtet hat. Hin und wieder holt sich William deshalb bei seinem Nachbarn einen gut gemeinten Rat: Psychoanalyse und Steuerberatung, erklärt der Fachmann, seien gar nicht so verschieden; beide Male gehe es darum, was man verschweigt und was man offenbart. Mit amüsierter Nachsicht verfolgt Leconte die Fallstricke dieser unstandesgemäßen Beziehung und zitiert mit diebischer Freude die Klischees, von denen die Übersetzung psychoanalytischer Begriffe in Kinobilder bis heute zehrt. Ein offener Hemdkragen legt die Lösung seelischer Knoten nahe, und wenn Anna das einzige Erinnerungsstück an ihren toten Vater bei William vergisst, ist dies eine kaum mehr unterschwellig zu nennende Botschaft. Dabei lässt Leconte die psychoanalytische Fabel immer wieder in Richtung Detektivgeschichte driften, etwa indem er William seiner Besucherin nachschleichen oder Anna Andeutungen über einen mysteriösen Unfall machen lässt. Geheimnisse gibt es schließlich in beiden Metiers zu lüften. Dabei passt es ins ironische Bild, dass nicht nur der Film noir Pate für „Intime Fremde“ steht, sondern bisweilen auch die sardonische Gemütlichkeit einer Agatha-Christie-Adaption. Patrice Lecontes mokanter Erzählton umhüllt jede einzelne Figur wie ein gut geschnittenes Gewand. Da wäre der um eine Patientin geprellte Arzt, der sich dafür recht unverhohlen bei William schadlos hält; Annas Ehemann, der den angeblichen Nebenbuhler eines Abends mit glühenden Augen in seinem Büro aufsucht; oder Williams matronenhafte Sekretärin, die ein wachsames Auge auf die durcheinander geratene Routine des Steuerprüfers hat. Gleichzeitig gibt er den beiden Hauptdarstellern Gelegenheit, mit dem eigenen Image zu kokettieren: Sandrine Bonnaire spielt Anna als geborene Hysterikerin, während Fabrice Luchini im Steuerberater den hilflosen Intellektuellen seiner früheren Rollen entdeckt. Die beiden bilden ein Gespann, dem, wie ihren Figuren, vor Übertragung und Gegenübertragung nicht bange ist. Am Ende werden sich Anna und William gegenseitig als geheilt entlassen, und auch die allgegenwärtige Ironie kann dann nicht mehr über den romantischen Kern des Films hinwegtäuschen.
Kommentar verfassen

Kommentieren