Weiter als der Mond

Jugendfilm | Niederlande/Belgien/Dänemark/Deutschland 2003 | 99 Minuten

Regie: Stijn Coninx

Niederlande 1968: Ein neunjähriges Mädchen muss sich im Vorfeld seiner Erstkommunion mit seiner schwangeren Mutter und dem alkoholkranken Vater auseinander setzen. Durch eine Wette wird der Familienfriede zwischenzeitlich gerettet, doch nach einem Rückfall des Vaters bricht das katholische Weltbild des Kindes auseinander. Der als Familiendrama entwickelte, einfühlsame und berührende Kinderfilm wagt sich couragiert an tabuisierte Themen, feiert trotz seiner kompromisslosen Art stets die Lust am Leben und ermutigt junge Zuschauer zu einem eigenen Weg. - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
VERDER DAN DE MAAN
Produktionsland
Niederlande/Belgien/Dänemark/Deutschland
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Isabella Films/Broadcasting Agency/KRO/Sophiemages/Zentropa Ent./Lichtblick
Regie
Stijn Coninx
Buch
Jacqueline Epskamp
Kamera
Walther van den Ende
Musik
Henny Vrienten
Schnitt
Ludo Troch
Darsteller
Huub Stapel (Mees Werner sen.) · Johanna Ter Steege (Ita Werner) · Neeltje de Vree (Caro Werner) · Nyk Runia (Mees Werner jr.) · Yannic Pieters (Bram Werner)
Länge
99 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Jugendfilm

Diskussion
Filme über Väter, die an der Flasche hängen, sind in der Regel eine harte Prüfung. Doch „Weiter als der Mond“ ist ein Familiendrama und zugleich ein vergnüglicher Kinderfilm, der aber immer noch genug Mut besitzt, nichts zu beschönigen, Lebenswelten zu thematisieren, die manch einem Kind allzu vertraut sind – eine Rarität vor dem Hintergrund deutscher Kinderfilme von „Bibi Blocksberg“ bis zu „Das Sams“, die ganz auf Harmonie und Idylle fern gesellschaftlicher Konfliktherde setzen. Seinen Charme bezieht „Weiter als der Mond“ aus der Offenheit seiner Betrachtungen rund um die Freuden und Nöte einer kinderreichen Familie, angesiedelt irgendwo auf dem platten Land in Holland. Es ist das Jahr 1969, die Mondlandung von „Apollo 11“ steht bevor, im neu erworbenen Fernseher flackern Schwarz-Weiß-Bilder von Yoko Ono und Arafat, und die Welt verliert einen Zauber mehr. Die neunjährige Caro, hervorragend besetzt mit der erfrischend respektlosen Neeltje de Vree, ist fasziniert von der Idee, dass Menschen in Gottes Vorgarten gelangen könnten, denn sie ist fest davon überzeugt, der Himmel beginne direkt hinterm Mond. Dennoch zweifelt sie daran, dass Gott Gefallen an den Eindringlingen finden könnte. Erstaunt muss sie feststellen, dass sich niemand für ihre Sorgen interessiert, weder ihr technikbegeisterter Lehrer noch ihre aufgeweckte, schwerst arbeitende Mutter. Nur der Vater, der seine Kinder im Glauben an die Güte Gottes erzieht, bestätigt ihre Ängste den modernen Technologien gegenüber. Längst müsste er auf seinem Bauernhof neue Maschinen anschaffen, verneint aber stur ihre Effizienz. Von solchen amüsanten und auch schmerzhaften Kontrasten lebt der Film: auf der einen Seite Caros fantasievoller, unorthodoxer Blick auf Gott und Religion, auf der anderen der vom Fortschritt überforderte Vater und sein Kampf ums Überleben. Als die Familie das sechste Kind erwartet, gerät die Mutter, die sich aufopferungsvoll um ihren Nachwuchs kümmert, in eine Krise. Der Vater reagiert ratlos und flüchtet sich immer häufiger in den Alkohol. Wenn er nüchtern ist, weicht er den kritischen Bemerkungen der Kinder aus, organisiert kleine Feste oder versucht, sie mit Geschenken für sich zu gewinnen. So setzt er sie ständigen emotionalen Schwankungen aus, die den Familienfrieden immer mehr beeinträchtigen. Mit viel Gefühl zeichnet der belgische Regisseur Stijn Coninx nach, wie Caro gegen den Zerfall der Familie rebelliert, Gott schwere Vorwürfe macht und die Widersprüche der Außenwelt anprangert: „Wie kann Gott noch ein Kind auf die Welt schicken, wenn doch in Afrika so viele Kinder verhungern?“ Kurz vor der Erstkommunion schließt das Mädchen mit seinem Vater einen Pakt: Es überwindet die Angst vor dem Schwimmen, und er hört endlich mit dem Trinken auf. Das Versprechen des Vaters erweist sich als von kurzer Dauer. Während der Kommunionsfeier erleidet er einen verhängnisvollen Rückfall, beleidigt Nachbarn und Freunde und beschimpft die hochschwangere Mutter. Für Caro bricht ihr strenges katholisches Weltbild endgültig zusammen, die Kindheit scheint zu Ende: Sie kündigt ihre Ehe mit Gott, der ihr nicht zu helfen vermag, beginnt an allem zu zweifeln und reißt zu ihrer lebensfrohen Tante aus, bei der sie für einige Tage das Gefühl vergessen kann, der Krankheit des Vaters hilflos ausgeliefert zu sein. Die Szenen, die zum dramaturgischen Vehikel werden, sind kurz, aber dafür umso eindringlicher. Caro entwickelt selbstzerstörerische Tendenzen, springt vor heranfahrende Autos oder macht der Mutter Vorwürfe, dass sie sich nicht scheiden lässt. Als sie im Schwimmbad fast ertrinkt und eines Nachts – während der Vater im Stall im Suff liegt – alle Tiere sterben, erlebt die Familie Wendepunkte. Der Vater scheint sich zu bessern, und auch Caro schöpft neuen Lebensmut, den sie trotz des Unglücks nicht verliert, das sie bald wieder heimsucht. Vor ihren Augen wird der Vater im Stall von einem Schwein tödlich verletzt – ein Kulminationspunkt, der von Fernsehbildern der Mondlandung konterkariert wird. Das schwere Thema wird mit lässiger Souveränität erzählt, verortet in jenem Zwischenbereich, in dem der viel zu frühe Verlust an Vertrauen und Halt entweder fürs ganze Leben verletzbar machen kann, oder gerade erst Mut zur Selbständigkeit verleiht. Selbst in den schwächsten Momenten, in denen die Handlung vorhersehbar erscheint und der Erzählstil allzu sparsam daher kommt, überrascht die Hauptfigur durch die Schärfe, mit der sie die Selbstlügen der Eltern entlarvt. Da genügt eine kleine, fahrige Geste, mit der Caro ihre geliebte Jesus-Figur aus Angst vor den Unzulänglichkeiten der Menschen in einem Leinentuch vergräbt, um ihre Wandlung zu akzentuieren. Die Kamera verrät nie die Kindlichkeit des Mädchens, schenkt ihm aber zugleich eine anrührende Reife, die den Erwachsenen in seiner Umgebung bisweilen abhanden kommt. Im Kern ist „Weiter als der Mond“ ein kompromissloser, einfühlsamer Kinderfilm, eine Hommage an die Lust zu leben und zu lieben, eine Ermutigung, den eigenen Weg zu gehen.
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