The Cremaster Cycle

- | USA/Großbritannien/Frankreich 1995-2002 | 394 (40/76/182/42/54) Minuten

Regie: Matthew Barney

Fünfteiliger monumentaler Kunstfilmzyklus von Matthew Barney. Das einzigartige Gesamtkunstwerk kreist als aufwändig produzierte und raffiniert durchkomponierte Bilderorgie um den amerikanischen Traum in all seinen Facetten. Das Grundkonzept des Zyklus ist dabei der Biologie entlehnt und adaptiert den Prozess der geschlechtlichen Differenzierung, wobei die Struktur biologisch, geologisch, architektonisch und genealogisch entfaltet wird. Aus der höchst eigenwilligen Verwicklung unterschiedlichster Stoffe, Mythen und Formen entsteht eine epische Hommage an das Kinematografische, deren überwältigende Fülle nach Interpretation und Deutung verlangt. Ein Meilenstein in der Kunst des 21. Jahrhunderts. - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
CREMASTER 1 | CREMASTER 2 | CREMASTER 3 | CREMASTER 4 | CREMASTER 5
Produktionsland
USA/Großbritannien/Frankreich
Produktionsjahr
1995-2002
Produktionsfirma
Glacier Field (Cremaster 4: Artangel/Cartier Foundation for Contemporary Art/Barbara Gladstone)
Regie
Matthew Barney
Buch
Matthew Barney
Kamera
Peter Strietmann
Musik
Jonathan Bepler
Schnitt
Matthew Barney · Christopher Seguine · Peter Strietmann · Schuyler Grant · Eric Solstein
Darsteller
Marti Domination · Norman Mailer · Matthew Barney · Richard Serra · Aimee Mullins
Länge
394 (40
76
182
42
54) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
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Diskussion
Trotz gegenteiliger Beteuerungen und widersprechender Tatsachen gibt es ihn immer noch: den amerikanischen Traum. Der 38-jährige, in Utah geborene Künstler Matthew Barney relativiert und beschwört ihn in seinem Cremaster-Zyklus zum monumentalen Gesamtkunstwerk. Alle landläufig überkommenen Facetten dieses Traumes verdichtet er in einer opulenten Bilderorgie zu einer symbolträchtigen Apotheose, die selbst traum- und alptraumhafte Züge trägt. Triviale Vorstellungen wie die stärksten Limousinen, die höchsten Häuser, Körperkult und Schönheitswahn, den unaufhaltsamen Weg von ganz unten nach ganz oben setzt Barney in seine innovative Bildsprache um. Ohne die Traumfabrik Hollywood mit ihren uramerikanischen Mythenklischees vom „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ wäre die fünfteilige filmische Odyssee nicht denkbar. Sie ist eine epische Hommage an das Kinematografische, an die theatralische Inszenierung im Medium Film. Betrachtet man die Cremaster-Pentalogie in ihrer Gesamtheit von 394 Minuten im Kinoformat, dann besticht das verschwenderisch ausgeschüttete Füllhorn mit aufwändig produzierten, raffiniert durchkomponierten Bildern, die unerhört neu wirken, ständig variieren und deren artifizielle Details sich tief ins Gedächtnis brennen. Die Wucht der unkommentierten Ästhetik lässt den Kinobesucher in einer Art Schockzustand überwältigender Ratlosigkeit zurück, während im musealen Kunstkontext das ganze System durch Objekte, Fotografien und Zeichnungen abgeschwächter vermittelt wird. Obwohl sich der seit Mitte der 1990er-Jahre als Shootingstar gehandelte Künstler Matthew Barney bescheiden als Bildhauer bezeichnet, ist er der multimediale Erfinder eines grenzüberschreitenden Privatuniversums, in dem sich Skulptur, Performance, Musik und Architektur zu filmischen Erlebnissen verknüpfen. Da er viele fantastische Hauptrollen der Selbst-Hybridisierung übernimmt, haftet ihm das Image eines exzentrischen Paradiesvogels an, das an die narzisstischen Selbstinszenierungen eines Dalí erinnert. Der 1994–2002 für das Kino produzierte Cremaster-Zyklus ist ein abgeschlossenes Werk mit Anfang und Ende, dessen Plot sich jedoch über weite Strecken simpler Analyse entzieht. Die Grundkonstellation aller fünf Filme – ursprünglich als Bühnenstücke fürs Fernsehen konzipiert – ist eine auf den menschlichen Körper bezogene Architektur mit der Absicht, „eine Form von Skulptur zu produzieren“ und diese von der „Schwerkraft zu befreien“. So modelliert Barney wie ein Skulpteur den spezifischen Moment vor der eigentlichen Handlung heraus. Ohne narrative Logik geht er jeweils von einer zentralen architektonischen Form aus, um die er Erzählfragmente voller surreal angelegter Figuren und Objekte entwickelt. Betont wird stets der physische (Befreiungs-)Prozess bei der Herausbildung einer spezifischen Form. Immer wieder zwingen klaustrophobische Räume die Darsteller zu athletischen Aktionen wie Tanzen und Klettern, paradigmatisch spielt eine weiße klebrige Masse eine Rolle als Skulptur oder als Hilfsmittel, um einen Ablauf oder ein „Handwerk“ in Gang zu bringen. Bestimmte Formen in allen Größen und Materialien treten in jeder Episode auf – Kugeln, Bälle, Uniformen und zu Formationen arrangierte Tänzerinnen, Pferde oder Autos. Spezialeffekte und Ausstattung korrespondieren bis ins allerkleinste Detail mit der hyperkünstlichen Bildsprache. Allein an den vielfältigsten Schuhformen könnte man Barneys ausgeklügelten Fetischismus entblättern. Angesiedelt an fünf unterschiedlichen Schauplätzen, werden die Erzählstränge kunstvoll mit der Architektur und Landschaft verknüpft: dem Bronco-Stadion in Boise, Idaho; den Rocky Mountains von Kanada bis zu den Salzebenen in Utah; dem Chrysler Building und das Guggenheim-Museum in New York; der Isle of Man und dem Gellert-Bad in Budapest. Aus der spezifischen Form destilliert er das emblematische Zeichen, das jeder Episode als Logo dient. In der numerischen Reihenfolge des Werks, die nicht der Chronologie der Entstehung entspricht, steht die biologische Struktur am Anfang des Zyklus. Der titelgebende „Musculus cremaster“, ein Fachbegriff aus der Urologie, bezeichnet den Muskel, der reflexartig die Hoden anhebt oder zusammenzieht, ein Vorgang, der nicht durch Willenskraft, sondern durch Angst, Kälte oder sexuelle Erregung verursacht wird. Trifft der Cremaster-Muskel auf Widerstand, verändert er sich und wird zur Barneyschen Allegorie für schier unbegrenzte Möglichkeiten der Verwandlung. Der Grundgedanke ist die Herausbildung eines „sich entwickelnden Systems“ zur Form, die zunächst noch unbestimmt ist. Sie kann sowohl biologisch, geologisch, architektonisch als auch genealogisch sein. Jeder Beginn ist zufällig, genau so zufällig wie die zunächst noch geschlechtsunbestimmte Entwicklung eines Fötus in den ersten sieben Wochen. „Cremaster 1“ ist der schwereloseste, zuweilen beschwingte und am klarsten geordnete Teil des Zyklus. Der Zufall vollzieht sich hier spielerisch. Beteiligt sind die platinblonde Goodyear, gelangweilte Stewardessen und glamouröse Revue-Girls mit weiß-roten Tellerröcken. Ihre Choreografien erinnern an Busby Berkeleys filmisch umgesetzte Tanzszenen zu Beginn der 1930er-Jahre, als sich das Musicalgenre zu entwickeln begann. Im Detail richten sie sich nach aus dem biologischen Fortpflanzungssystem abstrahierten Zeichen. Grundlage dieser Muster ist eine durch Zupfen von Weintrauben zufällig unter den Tisch gefallene Form. Alle Muster deuten auf biologische Strukturen hin, vornehmlich der geschlechtsbestimmenden Chromosomen. Filmisch zieht Barney schon im ersten Teil souverän alle Register seiner Kunst: Das extrem langsame Tempo zelebriert das Geheimnisvolle. Mitreißende Musik wechselt mit monotonen Cockpit-Geräuschen oder totaler Stille ab. Weite Kamerafahrten aus der Vogelperspektive auf das blaue Footballfeld variieren mit mikroskopischen Nahaufnahmen – auf das Traubenstilleben, den Faltenwurf des Tischtuchs, die Anatomie eines Gesichts. Das System im Kleinen findet eine formale Entsprechung im Großen. Die Hauptrolle in „Cremaster 2“ spielt die imposante Landschaft des amerikanischen Nordwestens, die atemberaubend gefilmt wird. Vorherrschende Stimmung ist das Gefühl der Beklemmung, das sowohl von der Landschaft und den Innenräumen als auch von den „handelnden“ Personen ausgeht. Dabei greift Barney auf seine Herkunft zurück; er ist in Utah aufgewachsen, dem „gelobten Land“ der Mormonen, für einige die amerikanischste aller in den USA beheimateten Religionen. Nur in diesem Teil verwendet Barney, der „mit Dialogen nicht umgehen kann“, ein paar gesprochene Zeilen. Zwei historische Handlungsstränge werden visuell verwoben, von denen der Fall des mormonischen Doppelmörders Garry Gilmore (Barney) dominiert, den Norman Mailer in seinem Buch „The Executioner’s Song“ verarbeitete. Barney verknüpft ihn mit dem legendären ungarischen Entfesselungskünstler Harry Houdini (Mailer), der Gilmores leiblicher Großvater gewesen sein soll (1893 traf Houdini auf der Weltausstellung in Chicago Gilmores Großmutter) und als künstlerisches Alter-Ego Barneys fungiert. Das Wissen von all dem setzt der Film voraus. Gilmore erlangte durch seine auf eigenes Drängen veranlasste Hinrichtung im Januar 1977 – der ersten nach Wiedereinführung der Todesstrafe in Utah – einen gewissen Kultstatus als Anti-Held, der die Populärkultur beeinflusste. So inspirierte sein Wunsch, in „Anmut und Würde“ durch ein Erschießungskommando zu sterben und seine Netzhäute für Forschungszwecke zu spenden, die Punkband „The Adverts“ zum Song „Gary Gilmores Eyes“. Auf dieses Detail spielt Barney an, als Gilmore in der Sinclear-Tankstelle den neugierigen Tankstellenbesitzer Max mit zwei Schüssen niederstreckt und sich zuvor seine Augen in zombiehaft vorquellende Höhlen verändern. Sein in dieser Szene entblößter Penis ist verkümmert, die Hoden sind unterentwickelt. Das wabenförmige Cockpit des Autos erinnert an Bowmans Zwischenstation in Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ (fd 15 732) und John Carpenters Kommandokapsel in „Dark Star“ (fd 21 112). Die Hinrichtungsszene transferiert Barney in das Gefängnisrodeomilieu, und wie im echten Leben spricht Gilmore, nachdem er vom US-Marshall auf den Bullen geschnallt wird, die letzten Worte: „Let’s do it“. Das unbestimmte Zufallsprinzip zeigt sich hier in der Transformation Gilmores zum kaltblütigen Mörder. Bei einer Seance seiner Eltern gezeugt, wird der von einem Bienenschwarm umschwirrte Geschlechtsakt als rein mechanisches Reproduktionssystem mit Millionen Möglichkeiten visualisiert. Das Motiv Bienenstock/Honigbiene/Wabe steht einerseits für das Emblem der Mormonen Utahs als symbolische soziale Struktur; andererseits – wie Houdini – aber auch als Symbol für transzendente Metamorphose. Das männliche Prinzip fungiert hier als Drohne, existenzberechtigt nur zur Begattung der Königin. Barney spielt mit filmisch und fotografisch hinreichend ausgeschlachteten amerikanischen Mythen wie der entlegenen nächtlichen Tankstelle und dem genuin amerikanischen Genre des Westerns. Das nimmt dann fast parodistische Züge an, als ein klassisches Paar Twostep-Dancer um eine vergoldete sattelähnliche Skulptur tanzt. Der solchermaßen amerikanisierte Tanz ums goldene Kalb ist einer von vielen ironischen Subtexten des Werkes. Wie kaum ein anderer Zeitgenosse erfindet Barney eine höchst eigene Ikonografie, die immer wieder auf sich selbst zurückführt und die er selbst etwas kokett als „absichtslose Diagramme“ bezeichnet. Sinn und Sinnlosigkeit wechseln sich darin scharf ab – ein scheinbar logisch aufgebauter Spannungsbogen wird durch eine absurde Aktion konterkariert, um sich dann ornamental aufzulösen. In „Cremaster 3“ bildet das berühmte Chrysler Building die (phallische) Metaform, an der entlang sich dieser Antagonismus des Scheiterns im Streben nach Macht dramatisch, brutal und zuweilen komisch entspinnt. Zeitebene ist New York um 1930 während der Fertigstellung von Van Alens Art-Deco-Meisterwerk, das den Wettbewerb um den höchsten Wolkenkratzer gewann. Da gräbt sich eine anmutig verwesende, tropfende, weibliche Leiche (Barney ist ausgewiesener Fan des Horrorgenres) mühevoll selbst aus dem Grab, wird von fünf düsteren Herren in einen gewienerten Chrysler Imperial geschnallt, nur um von fünf 67er Chrysler Crown Imperials brutal demoliert zu werden. Diese systematische Zerstörungsmetamorphose erinnert an Spielbergs „Duell“ (fd 18 419) und Carpenters Stephen-King-Verfilmung „Christine“ (fd 24 485). Übrig bleibt letztlich ein zusammengeschrumpftes faustgroßes, insektenartiges Stückchen Schrott, das später dem Helden als Folterprothese in den Mund gerammt wird. Auch hier sind erst im Nachhinein motivische Verkettungen rekapitulierbar: Der Held (Barney) durchläuft als Lehrling hierarchische Freimaurerriten seinen Aufstieg zur Spitze, dem Cloud Club. Dort soll er den mythischen Gründer der Freimaurer-Loge, den Architekten Hiram Abiff (Richard Serra) treffen. Da er seine Aufgabe, einen symmetrischen Ashlar zu meißeln und nicht zu gießen, nicht erfüllt, nimmt sein Schicksal den dafür vorbestimmten Verlauf. Nach vollzogener, perversester Zahn- und Genitalfolter, die mittelalterliche Martyriendarstellungen assoziieren lassen, schichtet der Architekt beharrlich zwei riesige Säulen aus schwarzen Fünfecken auf. Hier zitiert sich der große minimalistische Bildhauer Serra selbst, seine Performance aus dem Jahr 1969 („Scullcracker Series“), bei der er auf einem kalifornischen Schrottplatz 200 Tonnen schwere Stahlplatten aufeinander schichtete. Die Szene ist gleichsam eine Mikrometapher für den künstlerischen Schöpfungsakt. Im finalen Showdown an der blumengekränzten Spitze sterben Architekt und Lehrling. Die Atmosphäre im Cloud Club erinnert an Edward Hoppers malerische Barszenen, die widersinnigen Bemühungen des am Faden hängenden Barkeepers, gleichmäßig Guiness auszuschenken, enthalten pure Slapstickqualitäten, die Freimaurerbrüder gleichen den Pokerfaces in amerikanischen Gangsterfilmen. Die Außenaufnahmen an der Stahlspitze wirken wie nachgestellte Inszenierungen jener Kultfotos von Lewis Hine, die wagemutige Bauarbeiter dokumentieren, die am Haken der Kräne 300 Meter über Manhattan schweben. Ergänzt wird das bizarre Personal durch eine erotische Schöne, die mit Beinprothesen Kartoffeln schält, gespielt von Aimee Mullins. Das beinamputierte Supermodell ist sowohl als Sprinterin und Schauspielerin erfolgreich und eine reale Verkörperung des amerikanischen Traums, für sie „das größte Experiment, das die Menschheit je gewagt hat.“ Eingebettet in diese sich teilweise qualvoll lang hinziehenden Plansequenzen ist die mit Elementen des Fantasyfilms inszenierte Entstehungssaga der Isle of Man. Die Insel in der Irischen See ist später der Schauplatz von „Cremaster 4“. In der Sequenz „The Order“, dem Herzstück von „Cremaster 3“ und gleichermaßen dem Herzstück des Zyklus, ist die fünfteilige Struktur noch einmal repetitiv verdichtet. Räumlich werden die fünf Teile durch die fünf Ebenen des New Yorker Guggenheim-Museums versinnbildlicht, die der mit einem rosa Kilt und skurriler Zahnprothese ausstaffierte Held hangelnd überwindet. Alle rituellen Ingredienzien der Verwandlung werden in dieser Spirale noch einmal übersteigert: stepptanzende glamouröse Girls und laszive Wassernixen, hybride Mensch-Tierwesen, die Schöne mit Glasprothese, Heavy-Metal-Bands, der Architekt und die mysteriöse weiße Urmasse aller Formen. Das absurde Wechselspiel zwischen Sinn und Sinnlosigkeit, Konstruktion und Dekonstruktion wird durch die Musik von Jonathan Bepler kongenial verstärkt; seine Klaviatur der Töne reicht von kitschig bis dissonant bis hin zu sinfonischer Orchestrierung. Der vierte, in der Entstehungsgenealogie älteste Teil weckt in seiner rohen Video-Materialität und der besonderen Vorliebe für organische Körperflüssigkeiten Assoziationen zum Wiener Aktionismus. Zentrales Motiv ist die berüchtigte Tourist Trophy, das seit 1907 alljährlich auf der Isle of Man stattfindende Motorradrennen. In permanenten Zwischenschnitten quellen aus den blauen und gelben Lederoveralls der konkurrierenden Rennfahrer glibberige eiförmige Massen heraus. Flankierend dazu vollführt Barney als verkleideter Satyr mit kupferrotem Haar einen exzessiven Stepptanz, der im finalen Sturz ins Wasser endet. Zuvor quält er sich durch einen vaselinverschleimten, von einer trüben Flüssigkeit umgebenen Tunnel zurück zur Oberfläche, für den Künstler eine Metapher für die Verdauung. Drei bodygebuildete „Feen“ begleiten den Satyr, dessen mutierter Hodensack am Schluss mit Fahrzeugen verbunden wird, die mit heulenden Motoren auf das Startzeichen warten. „Cremaster 5“ ist der märchenhafte, mit romantischem Schmelz überzogene Abgesang des Werkes, der die narrativ nachvollziehbarste Bildstruktur aufweist. Besonders eindringlich sind die anrührenden Großaufnahmen vom Gesicht des einstigen Kinostars Ursula Andress, die als Figur vergleichsweise statuarisch agiert. Tastend umkreist sie die Kamera als „Queen of Chain“ beim Singen ihrer herzzerreißenden Trauerarie in einem „skulpturalen Tempo“, wie wenn man eine Skulptur allmählich umschreitet. Währenddessen beobachtet sie den androgynen Barney, der in drei Rollen als ihre „Diva“, ihr „Zauberer“ und als „Gigant“ balanciert, klettert und springt. Schließlich stürzt er vom Bühnendach der Oper brutal zu Boden, springt als Houdini in die Donau und wird unter Wasser von Nixen empfangen und mit Lilien geschmückt. Die Bilder des Cremaster-Zyklus führen ein Eigenleben auch jenseits des Erzählzusammenhangs und der Absichten des Künstlers, der nicht zuletzt durch seine eigene Karriere den amerikanischen Traum verkörpert. Ihre nahezu beklemmende Intensität zeugt von verdrängten Ängsten sowie der schönen und schrecklichen Melancholie menschlichen Scheiterns. Der Zyklus ist die hochoriginelle, persönliche Auseinandersetzung des Künstlers mit der Illusion der Ordnung und der Wirklichkeit des Chaos, mit der Biologie des Lebens und der Metaphysik des Todes. Auch wenn es nicht immer gelingt, dem Künstler auf dieser Odyssee zu folgen, wird man durch die verschwenderische Kraft seiner Bilder belohnt.
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