Waiting for the Clouds

Drama | Türkei/Griechenland/Frankreich/Deutschland 2004 | 88 Minuten

Regie: Yesim Ustaoglu

Nach dem Tod ihrer Schwester steigen in einer alten Türkin schmerzhafte Erinnerungen an ihre verdrängte griechische Abstammung hoch. Melancholisch grundiertes Drama, das an die ethnischen Säuberungen des türkischen Nationalismus erinnert. In der Hauptrolle überzeugend gespielt und eindringlich fotografiert, trägt der poetisch-assoziative Film schwer an seinen politischen Subtexten und einer überlasteten Dramaturgie. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BULUTLARI BEKLERKEN
Produktionsland
Türkei/Griechenland/Frankreich/Deutschland
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Flying Moon Filmprod./Ustaoglu Prod./Ideefixe Films/ZDF-arte/Arte France Cinéma
Regie
Yesim Ustaoglu
Buch
Yesim Ustaoglu · Petros Markaris
Kamera
Jacek Petrycki
Musik
Michael Galasso
Schnitt
Timo Linnasalo · Nicolas Gaster
Darsteller
Rüçhan Caliskur (Ayshe/Eleni) · Ridvan Yagci (Mehmet) · Dimitris Kaberidis (Tanassis) · Ismail Baysan (Chengiz) · Feride Karaman (Feride)
Länge
88 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion
Ayshe sitzt auf ihrem Bett und schaut aus dem Fenster. Aufrecht, den Rücken halb zur Kamera gekehrt, fast wie eine Statue. Ein leises Sehnsuchtsbild voll verhaltener Melancholie, musikalisch so flüchtig grundiert wie die Nebelschwaden über dem Dorf am Schwarzen Meer. In immer neuen Variationen kreist der Film um dieses zunächst unbestimmte Motiv – das wie weggewischt erscheint, wenn Ayshe ihre Schwester Selma hört. Mit liebevoller Energie pflegt sie die bettlägrige Greisin, trägt sie, obwohl selbst schon im fortgeschrittenen Alter, auf ihrem Rücken zur Toilette, kümmert sich wie eine Mutter um sie und erweist ihr auch im Tod mit rituellen Waschungen letzte zärtliche Gesten. Selbst jetzt strahlt Ayshes undurchdringliches Gesicht noch immer Güte und Weisheit aus und füllt ihre dunkle Stimme den Raum, wenn sie und die Nachbarinnen um gutes Geleit für die Tote beten. Zeit scheint in dieser ärmlichen Welt keine Rolle zu spielen, so wenig wie Männer, auch wenn die erste türkische Volkszählung im Frühjahr 1975 den Film exakt datiert und Lehrer, Beamte und politische Provokateure am Rande keine Zweifel über die patriarchalische Ordnung aufkommen lassen. Doch mit dem Tod verschieben sich die Proportionen: Ayshe sondert sich ab, wird seltsam, spricht wirr und kehrt am Ende des Sommers nicht vom Hochland zurück, als die Herden wieder zur Küste getrieben werden. Statt dessen starrt sie in die Wolkenbilder über den kargen Höhenzüge, in denen sie lange verdrängte Gefühle und Erinnerungen zu erkennen glaubt. „Waiting for the Clouds“ ist ein wunderschöner, intensiver und herausragend fotografierter Film, solange er seiner weiblichen Hauptfigur folgt. Doch schon der Vorspann mit historischen Aufnahmen und einem Insert über die nationalistischen Säuberungen in der Türkei während des Ersten Weltkrieges schlug einen generelleren Ton an, bei dem es insbesondere um die Vertreibung der Pontier, griechischstämmiger Bewohner der Schwarzmeerküste, ging. Auch Ayshe, so schält es sich nach zahllosen Wendungen heraus, stammte aus einer orthodoxen Familie und hieß ursprünglich Eleni. Zusammen mit ihrem kleinen Bruder Nico hatte sie 1916 den Exodus der Pontier überlebt, bei dem der Rest ihrer Familie und Hunderttausende anderer starben. Während Eleni von einer türkischen Familie adoptiert wurde, landete Nico im Waisenhaus und wurde nach Griechenland abgeschoben, was sich Ayshe/Eleni nie verziehen hat. Mit den Nebelschwaden kehren nun die Erinnerungen zurück, die ein ganzes Leben lang ausgeschlossen waren. Selbst die alltäglichen Gebräuche entpuppen sich plötzlich als Zwangsformen der Sieger, von der türkischen Sprache oder der islamischen Religion ganz zu schweigen. Leider vermag Ustaoglu dieses explosive Material einer erzwungenen Doppelidentität erzählerisch nicht annähernd zu entfalten. Statt sich auf Ayshe/Eleni zu konzentieren, addiert sie weitere Figuren und Ebenen hinzu, die auf unterschiedliche Weise den nationalistischen Wahn der Vergangenheit wie der Gegenwart kritisieren. Manche Figuren wie ein Junge namens Mehmet, der Ayshe verehrt und viel Zeit mit ihr verbringt, fügen sich zwar geschickt in den Erzählfluss und erweitern die Handlung um wichtige Aspekte, tragen aber schwer an ihrer exemplarischen Last, auf die ein oder andere Weise eine Facette des komplexen Themas „türkischer Nationalismus“ zu spiegeln. Auf Dauer erliegt sogar die Regisseurin Yesim Ustaoglu diesem Zwang, da sie sich zunehmend vom kursorischen Stil undramatischer Augenblicke verabschiedet und am Ende mit der Wiedervereinigung von Schwester und Bruder fast bei der Kolportage landet. Manche inszenatorische Überdeutlichkeit, die man angesichts atmosphärisch spannender, mitunter auch verrätselter Bilder zunächst ignoriert, schlägt dann doch auf den Film als Ganzes zurück und begräbt differenzierte Interpretationen. Wie schon in „Reise zur Sonne“ (1999) vermag auch „Waiting for the Clouds“ den Konflikt der Regisseurin zwischen politischer Wirkung und künstlerischen Ambitionen nicht befriedigend zu lösen, woran wohl auch der versöhnliche Schluss nicht ganz schuldlos ist. Was offensichtlich als politisches Statement verstanden werden soll, erweist sich als umso bedauerlicher, weil Ustaoglus minimalistische Kompositonen und ihre Fähigkeit, weitgehend mit Laiendarstellern zu drehen, viel Talent und Gespür für semidokumenatrisches Erzählen verraten.
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