Drama | Südafrika/Großbritannien 2005 | 94 Minuten

Regie: Gavin Hood

Ein 19-jähriger südafrikanischer Gangster entdeckt auf der Rückbank eines geraubten Autos ein Baby, für das er die Verantwortung übernimmt und das ihn dazu bringt, über sein Leben nachzudenken. Eine in der ersten Hälfte dicht entwickelte und inszenierte Geschichte, die von den sozialen Unterschieden am Kap erzählt, im zweiten Teil jedoch alle Register einer melodramatischen Läuterungserzählung zieht, was die eigentliche Tendenz des Films spürbar verwässert. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
TSOTSI
Produktionsland
Südafrika/Großbritannien
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Moviworld/Industrial Development Corporation of South Africa/The National Film and Video Foundation of SA/The UK Film & TV Production Company PLC
Regie
Gavin Hood
Buch
Gavin Hood
Kamera
Lance Gewer
Musik
Paul Hepker · Mark Kilian · Vusi Mahlasela
Schnitt
Megan Gill
Darsteller
Presley Chweneyagae (Tsotsi) · Mothusi Magano (Boston) · Israel Makoe (Tsotsis Vater) · Percy Matsemela (Sergeant Zuma) · Jerry Mofokeng (Morris)
Länge
94 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Gangsterfilm | Literaturverfilmung | Melodram
Externe Links
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Heimkino

Die Extras der umfangreichen Doppel-DVD umfassen u.a. einen dt. untertitelbaren Audiokommentar des Regisseurs sowie ein vom Regisseur kommentiertes Feature mit drei im Film nicht verwendeten Szenen (8 Min.) und zwei alternativen Filmenden (4 Min.). Zudem enthalten ist der Kurzfilm "The Storekeeper" (22 Min.), ebenfalls mit optionalem Audiokommentar des Regisseurs. Die Edition ist mit dem Silberling 2006 ausgezeichnet.

Verleih DVD
Kinowelt (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
Wenn Tsotsi wortkarg, mit einem maskenhaften Gesicht sein Gegenüber fixiert, ist Gefahr in Verzug: ein altersloser Gesichtsausdruck, trotz der kindlichen Züge erschreckend gleichgültig und bereit, anderen Gewalt anzutun, um die tägliche Gewalt um sich herum abzuwenden. Der 19-jährige schwarze Südafrikaner ist ein Gangster mit langer Berufserfahrung; ungezählt sind die Raubüberfälle, die er auf Zugreisende in den Vorstädten von Johannesburg begangen hat und bei denen nicht selten Tote zurück geblieben sind. Der anonyme Name des Straßenjungen gibt die Richtung eines riskanten Lebensentwurfs vor: „Tsotsi“ heißt im südafrikanischen Ghettoslang „Gauner, Gangster“. Das Geld bleibt dem Anführer einer Jugendgang nicht lange erhalten, denn zu groß ist die Versuchung, es in einer der illegalen Township-Kneipen für selbstgebrannten Alkohol auszugeben. Der weiße Regisseur Gavin Hood zeigt in seinem dritten Spielfilm das nach darwinistischen Prinzipien funktionierende Leben in Soweto in einer Mischung aus drastischen Details und warm ausgeleuchteten Originalschauplätzen, die den Elendsaspekt des Gezeigten für kurze Momente romantisierend überhöhen, wenn die Kamera über den Wellblechdächern der Barackensiedlungen schwebt, um die Spiegelung der Morgensonne in den orange gefärbten Häusern einzufangen. Von solchen Kontrasten lebt der Film: auf der einen Seite die Schönheit der südafrikanischen Natur, auf der anderen Seite Abwässer, die den Lehmboden aufweichen, aus Steinen notdürftig geformte Lebensräume, Wasserpumpen, die nicht genug Trinkwasser liefern und allerorten eine deprimierende Abwesenheit von Ethik und Moral. Es ist kein Wunder, dass Tsotsi seine Opfer mit Vorliebe in den hinter Mauern abgeschotteten Villen der reichen Aufsteiger sucht. Als er dort auf eine schwarze Mittelschichtsfrau schießt, um an ihren BMW heranzukommen, und einige Straßenecken weiter ihr Baby auf der Rückbank entdeckt, gerät er in eine ungewohnt delikate Situation. Die Unschuld des Kleinkindes weckt in Tsotsi Erinnerungen an seine eigene, in kurzen Rückblenden abgehandelte Kindheit, in der wegen des verfrühten AIDS-Tods der gewalttätigen Eltern kein Platz für Mitleid und eine Entwicklung jenseits von Kriminalität und Überlebenskampf war. Der Darsteller Presley Chweneyagae, der sein Handwerk auf den Bühnen von Township-Theatern lernte, schafft es mit erstaunlicher Präsenz, seiner auf den ersten Blick abstoßend bestialischen Figur eine tiefe Authentizität und sogar Menschlichkeit zu verleihen, wenn er die Fassade der Abgebrühtheit angesichts der Hilflosigkeit des Babys wie ein Kartenhaus zusammenbrechen lässt. Instinktiv steckt er es in eine Einkaufstasche und zwingt seine verwitwete Nachbarin mit einer Pistole in der Hand zum Stillen. Je mehr Verantwortung er für das Kind übernimmt, desto stärker wächst in ihm die Sehnsucht, das bisherige Leben hinter sich zu lassen. „Tsotsi“, der diesjährige „Oscar“-Gewinner für den besten nichtenglischsprachigen Film, ist nach „Drum“ (fd 37 370) und „U-Carmen“ (fd 37 402) der dritte südafrikanische Langfilm, der innerhalb kürzester Zeit auf die hiesigen Leinwände gelangt. Diese Aufmerksamkeit verdankt sich wohl eher dem allgemeinen Wohlwollen gegenüber der jungen Filmindustrie Südafrikas als einer überragenden Qualität der aktuellen Produktionen. Basierend auf dem gleichnamigen Roman des südafrikanischen Schriftstellers Athol Fugard aus dem Jahr 1980, sticht „Tsotsi“ durchaus heraus, denn sowohl die solide Machart, der über weite Strecken stimmige Soundtrack mit der für die Townships typischen Kwaito-Musik (eine Art südafrikanischer Gangster-Rap) als auch die unerschrockene Nähe zur Gegenwart des Landes nach der Apartheid, in dem die Grenzen längst nicht mehr zwischen Schwarz und Weiß, sondern zwischen Arm und Reich verlaufen, rücken den Film in die Nähe von thematisch ähnlich angelegten Großstadtdramen wie „City of God“ (fd 35 938). In der ersten Hälfte realistischer in der Inszenierung und durch den Verzicht auf die aufwändige MTV-Ästhetik des brasilianischen Vorgängers von Fernando Meirelles erholsam bescheiden, wird die soziale Diagnostik im zweiten Teil leider zunehmend zugunsten einer universellen Läuterungsgeschichte vernachlässigt. Die innere Wandlung des schuldbeladenen Helden vollzieht sich nach Mustern melodramatischer Zuspitzung und bleibt nicht immer frei von vorprogrammiertem Betroffenheitszwang. Die latente Gefühlsduselei spiegelt sich dann auch auf der Ebene der Tonspur, die sich gegen Ende ganz auf kitschigen Streicherbombast verlässt. Auch wenn die Geschichte einer dornenreichen Selbstfindung psychologisch nachvollziehbar ist, bleibt zum Schluss der Eindruck, dass Hood seinen brisanten Stoff unter Wert verkauft und keine noch so offensichtliche Anbiederung an den Hollywood-Mainstream scheut – was die Academy letztlich auch zu goutieren wusste.
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