Looking for Cheyenne

- | Frankreich 2005 | 86 Minuten

Regie: Valérie Minetto

Die lesbische Beziehung zwischen einer Lehrerin und einer Journalistin zerbricht, als die Journalistin ihre Arbeit verliert und sich vom Leben in Paris und ihrer Geliebten zurückzieht. Auch die weiteren Beziehungen werden von den sozialen Bedingungen beeinflusst und getrübt. Liebe in Zeiten des sozialen Krieges ist das Motto der gefühlvollen Mischung aus Komödie, Romanze und Fabel. Dabei nähert sich das Erstlingswerk seinem Thema unaufgeregt und strebt kein agitatorisches Politdrama an, erweist sich vielmehr als ideologiefreier, zärtlicher Liebesfilm. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
OUBLIER CHEYENNE
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Bandonéon
Regie
Valérie Minetto
Buch
Valérie Minetto · Cécile Vargaftig
Kamera
Stephan Massis
Musik
Christophe Chevalier
Schnitt
Tina Baz-Le Gal
Darsteller
Mila Dekker (Cheyenne) · Aurélia Petit (Sonia) · Malik Zidi (Pierre) · Guilaine Londez (Béatrice) · Laurence Côte (Edith)
Länge
86 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
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Heimkino

Verleih DVD
Pro-Fun (1:1,77/16:9/Dolby Digital 5.1)
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Diskussion
„Es herrscht Krieg. Krieg um Ausbildungsplätze, Krieg um Arbeitsstellen.“ Als die Pariser Chemie-Lehrerin Sonia diese schmerzhafte Einsicht ihren Schülern entgegenschleudert, kehrt sie gerade von Opfern dieses unerklärten, heimtückischen Bürgerkrieges zurück und befindet sich unversehens mitten in einem neuen Frontabschnitt. Sonias große Liebe, die ehemalige Journalistin Cheyenne, hat durch eine Verlagsfusion ihren Job verloren. Über ein Jahr lang hat sie vergeblich nach einer neuen Anstellung gesucht, dann hat sie aufgegeben. Zuerst wurde ihr der Strom abgestellt, später konnte sie ihre Miete nicht mehr bezahlen. Hilfe von Sonia lehnte sie wütend ab. Stattdessen entschied sie sich zum radikalen Bruch mit der Gesellschaft, verließ Paris, zog aufs Land. Dort haust sie seitdem mit zwei anderen Aussteigern zwischen einem Wohnmobil und einer baufälligen Scheune. Die Abkehr von der bürgerlichen Normalität bedeutete für Cheyenne zugleich den Rückzug von Sonia, die nicht bereit war, ihr bisheriges Leben für etwas aufzugeben, das in ihren Augen nicht mehr als eine hilflose Flucht darstellt. Die Beziehung zwischen Cheyenne und Sonia zerbrach an den Widrigkeiten einer rauen Realität; nicht aber ihre Liebe. Das Spielfilmdebüt der Dokumentarfilmerin Valérie Minetto erzählt von einer Liebe in Zeiten des sozialen Krieges. Ganz nebenbei handelt es sich um eine lesbische Liebe. Die unverkrampfte Selbstverständlichkeit, mit der die Regisseurin die sexuellen Neigungen ihrer Protagonistinnen als Teil ihres Menschseins ins Geschehen einfließen lässt, ist charakteristisch für den unaufgeregten, sanften Grundton, den der lyrisch-humorvolle Film anschlägt. Dessen erste Hälfte ist bereits um, als sich die Frauen, deren Liebe das dramaturgische Zentrum bildet, das erste Mal begegnen. Leicht und unbeschwert, wie es gerade Erstlingswerken bisweilen zu eigen ist, aber ohne deren formale Unsicherheiten oder Prätentionen vermischt Minetto Erinnerungen und Traumerscheinungen mit der winterlich märchenhaften Gegenwart. Anfangs nimmt Sonia zu ihrer fernen Geliebten telepathischen Kontakt auf, als sie neben einem jungen Mann im Bett aufwacht. Sonia lebt in allem weniger geradlinig als Cheyenne, auch in ihrem Lesbisch-Sein. Zwischen ihr und dem rebellischen Freigeist Pierre entwickelt sich eine lockere Liaison, irgendwo zwischen Affäre, Romanze und Freundschaft. Pierre stört sich nicht daran, dass Sonia noch immer in Cheyenne verliebt ist. In seiner Freizeit entwirft er gesellschaftskritische Slogans, die er, auf kleine Handzettel gedruckt, unters Volk bringt. Es sind Sponti-Sprüche wie „Liebe ist stärker als Geld“ oder „Jeder will reine Luft und seine Karre behalten“, die ebenso naive wie treffende Wahrheiten formulieren. Pierre repräsentiert nicht nur eine zwanglosere, gleichwohl oberflächlichere Form der Liebe, sondern er steht auch für einen dritten Weg, mit den gesellschaftlichen Verhältnissen umzugehen. Cheyenne, und in noch viel stärkerem Maße ihre Weggefährtin auf dem Lande, Edith, verweigern sich der Gesellschaft, was besonders bei Edith darin ausartet, dass sie nicht nur das soziale System, sondern im Grunde alle Menschen, die darin leben, hasst. Sonia arrangiert sich, passt sich an und bemüht sich als Lehrerin dennoch, innerhalb des Systems Sinnvolles zu leisten. Pierre hingegen übt die Rebellion, den sozialen Widerstand im Kleinformat. Es macht den liebenswürdigen Reiz und die poetische Wahrhaftigkeit des zwischen Komödie, Romanze und Fabel oszillierenden Films aus, dass Minetto sich für keine der Alternativen entscheidet, wobei doch auch deutlich wird, dass der Regisseurin die bodenständige Haltung der von Aurélia Petit mit warmherziger Melancholie verkörperten Sonia am nächsten liegt. Letztlich bleibt aber auch Sonias Haltung ein Kompromiss in einer Welt, deren sozialen Zwängen man nicht so einfach entkommt. Ediths Radikalität indes mangelt es an menschlichem Mitgefühl, und Pierres Widerstandspathos, mit dem er die Schüler Sonias ansteckt, als diese endlich Cheyenne auf dem Lande besucht, erscheint als Privileg einer forschen, aber auch leichtfertigen Jugend. Kaum ist Sonia weg, lässt sich Pierre mit einer ihrer Schülerinnen ein, die, weil sie von ihren Eltern fortwollte, vorübergehend bei Sonia untergekommen ist. Als Sonia enttäuscht und ernüchtert zurückkehrt, trifft sie Pierre und ihre halbe Klasse bei sich zuhause an, mitten in den Vorbereitungen zu einem Schulstreik. Am Ende bildet auch Sonias eher resignative politische Einstellung nicht der Weisheit letzter Schluss. Der Film aber lässt keinen Zweifel daran, dass ein liebloser, kalter politischer Widerstand in die Irre führen muss. „Liebe“ erweist sich als der Schlüsselwert, an dem sich alles andere bemisst. Wo sie fehlt, wie in Sonias flüchtiger erotischer Begegnung mit der zynischen, die Welt verlachenden Béatrice, bleibt alles fremd, gibt es keine Zukunft. „Wir lieben uns nicht“, stellt Sonia kategorisch fest, „ich gehe nach Hause.“ Sonias Heimat ist dort, wo die Liebe ist. Valérie Minettos politische Heimat wohl ebenso. Mit „Looking for Cheyenne“ hat sie kein agitatives Politdrama gedreht, vielmehr einen ideologiefreien, zärtlichen Liebesfilm, der das seltene Kunststück vollbringt, die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht in eskapistischer Gefühlsduselei zu verleugnen, sondern einfühlsam und vielstimmig aus ihr hervorzugehen.
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