Tödliche Versprechen - Eastern Promises

Gangsterfilm | USA/Kanada/Großbritannien 2007 | 101 Minuten

Regie: David Cronenberg

Eine Krankenhausärztin gerät in den Bannkreis der Russen-Mafia, die in Verteilungskämpfe um die Vorherrschaft in London verstrickt ist. Kein klassischer Genrefilm, sondern ein höchst intensives Noir-Drama um die postsozialistische "Russen-Szene", in dem das Nebeneinander von Gemütlichkeit und Gewalt mehr schockiert als brutale Exzesse. Dabei wird mit viel Melancholie die kriminelle Form moderner Ökonomie in den Mafia-Strukturen reflektiert. Ein intelligenter Film auf hohem dramaturgischen und stilistischen Niveau, der mit inszenatorischen Überraschungen und hervorragenden Darstellern aufwartet und dessen Bilder lange in Erinnerung bleiben. - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
EASTERN PROMISES
Produktionsland
USA/Kanada/Großbritannien
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Serendipity Point Films/Focus Features/Kudos Film and TV/Scion Films/BBC Films
Regie
David Cronenberg
Buch
Steven Knight
Kamera
Peter Suschitzky
Musik
Howard Shore
Schnitt
Ronald Sanders
Darsteller
Viggo Mortensen (Nikolai) · Naomi Watts (Anna) · Vincent Cassel (Kirill) · Armin Mueller-Stahl (Semion) · Sinéad Cusack (Helen)
Länge
101 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Gangsterfilm | Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Tobis (1:1,85/16:9/Deutsch dts 5.1/DD 5.1/Engl.)
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Diskussion
Ein „Barbershop“, ein kleiner Friseurladen. Man sieht gleich: Dies ist ein Einwandererviertel, und ebenso schnell macht der Film auch klar: Man ist in London. Auch wenn der nervöse junge Mann, der gerade den Laden betreten hat, die Rollläden herunterlässt, versteht man diese Geste sofort. Zu viele Filme hat man schon gesehen, um den Mord nicht zu ahnen, der hier gleich geschehen wird. Ein erstes Bild voller Meisterschaft in seinen kleinsten Verweisen. David Cronenberg hat keinen Aufwand mehr nötig, keine spektakulären Schocks, auch die Gewalt geschieht hier gewissermaßen beiläufig, zumindest am Anfang, aber nur routiniert ist das alles trotzdem nie. Im Gegenteil: Gerade diese Beiläufigkeit ist besonders schockierend. Ein harter Schnitt durchtrennt dann auch den Film, führt auf eine junge Frau, die eine Apotheke betritt. Plötzlich rinnt eine Blutspur den Boden entlang, und man weiß, dass es auch für sie nicht gut ausgehen wird. Dann eine dritte Szene, noch immer in den ersten Minuten des Films, die in ein Krankenhaus führt. Ein Kind wird geboren, aber die Mutter ist tot, und die Ärztin, die das sichtlich betroffen und doch professionell abgebrüht zur Kenntnis nimmt, wird von Naomi Watts gespielt – der erste Hoffnungsschimmer an diesem bitterkalten Londoner Winterabend, und im Weiteren die Heldin des Films. Was für ein Anfang. Die Bilder und Personen dieser drei Szenen haben zunächst nichts miteinander zu tun, doch sie bilden die ersten Mosaiksteine, aus denen sich Stück für Stück der ganze Film aufbaut. „Eastern Promises“, den Originaltitel von Cronenbergs neuem Film, der etwas schlicht in „Tödliche Versprechen“ umgetauft wurde, muss man doppelt verstehen: Lautmalerisch enthält er eine christliche Anspielung, die – wie schon die Zeit, in der alles spielt: die Tage um Weihnachten – auf das Prinzip Hoffnung verweist, auf das Versprechen auf Reinigung von den Sünden, auf Neugeburt. Vor allem geht es aber um den Osten, den neuen, der dem ganz alten so verdächtig ähnlich sieht, und der aus westlicher Perspektive ein fremder, faszinierend-bedrohlicher Raum ist. Genauer gesagt, geht es um die Russen-Mafia; ein Thema, das gerade die Leinwand erobert, sowohl in russischen Produktionen als auch in Filmen des Westens, etwa in James Grays spekulativem „We Own the Night“. Mit viel Lust am Klischee beschreibt der Kanadier Cronenberg dieses Bild der Russen im Westen, porträtiert die aktuelle Russen-Szene, ihre protzigen, für westliche Augen „unseriösen“ Äußerlichkeiten, in London zumal, wo Putins Oligarchen sich in ihren schwarzen Ledermänteln und im Mercedes 500 schon eine wohlige Parallelgesellschaft errichtet haben, irgendwo im Niemandsland zwischen Litwinenko-Mord und dem Kauf des FC Chelsea. Bei Cronenberg dominiert ein Nebeneinander von Gemütlichkeit und Brutalität. Schlechte Musik und brutale Initiation, Borschtsch und Blut, alte Männer, die sich von Kindern zu Tränen rühren lassen, um danach einen Mordbefehl zu erteilen, und immer auch die Cronenberg-Welt der zivilisatorischen Zeichen, die sich in die Körper einschreiben. Armin Mueller-Stahl, der immer auch das Deutsche transportiert und aus früheren Zeiten auch noch fließend russisch kann, gibt den Patriarchen, Vincent Cassel seinen Sohn von dämonischer Infantilität, Viggo Mortensen in all seinem Stoizismus den Mann fürs Grobe, und Naomi Watts ist eine Alice, die in diesem finster schillernden Wunderland neben des Rätsels Lösung auch sich selbst findet. Dass Cronenberg bei alldem über ein präzises Milieuporträt und einen alternativen Mafia-Film hinausgeht, versteht sich von selbst. Die Mafia, das ist auch die erfolgreichste Form moderner Ökonomie, und tödlich sind auch die Versprechen vom Glück im grenzenlosen Konsum. In den letzten Jahren, mit „Spider“ (fd 36 512) und „A History of Violence“ (fd 37 284), hat sich Cronenberg immer mehr den Klassikern des Film Noir und ihrer melancholischen Härte sowie ihrem moralisch grundierten Fatalismus angenähert. Eine der bitteren moralischen Lehren, die dieser Film enthält, ist, wie die prekären Strukturen der Gesellschaft auch die Familien infizieren. Auch Kinder können ihren Eltern nicht trauen in dieser transsibirischen Connection, und es sind vor allem die Väter, die ältere Generation, auf die sich in dieser Geschichte niemand verlassen kann. So gesehen, ist der Film voller Trauer über die condition humaine. Ein lakonischer Merksatz lautet: „Die größten Gefahren entstehen aus den dümmsten Dingen.“ „Tödliche Versprechen“ verbindet Intelligenz und visuelle Tabubrüche. Wie von Cronenberg gewohnt auf hohem dramaturgischen Niveau, stilvoll, dabei tauglich für größere Publikumsschichten. Die Dialoge sind von einem angenehmen Zynismus, der in seiner Klarsicht Anteilnahme und menschliche Wärme nicht ausschließt; die Gewalt ist für Cronenbergs Verhältnisse eher zurückhaltend. Man darf sich auf manche Überraschung freuen, und die Bilder bleiben auf lange Zeit präsent.
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