My Blueberry Nights

Drama | Hongkong/VR China/USA/Frankreich 2007 | 95 Minuten

Regie: Wong Kar-wai

Eine junge Frau, die an Liebeskummer zu verzweifeln droht, schüttet dem Kellner eines kleinen New Yorker Cafés ihr Herz aus. Der erzählt ihr von seiner Arbeit sowie seinen alltäglichen Begegnungen mit unterschiedlichen Menschen und verliebt sich in die charismatische (Un-)Bekannte. Die aber geht zunächst auf eine Reise quer durch die USA, auf der sie die Bekanntschaft diverser gescheiterter Existenzen macht. Der sanfte Film erzählt auf liebevolle, sehr zurückgenommene Weise von Einsamkeit und Verlorenheit. Mit eindringlicher Kameraarbeit lenkt er den Blick auf das Wesentliche, durch das sich erst wahre Wünsche und Träume erkennen lassen. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
MY BLUEBERRY NIGHTS
Produktionsland
Hongkong/VR China/USA/Frankreich
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Block 2 Pic./Jet Tone Prod./Lou Yi/Studio Canal
Regie
Wong Kar-wai
Buch
W.K.W. · Lawrence Block
Kamera
Darius Khondji
Musik
Shigeru Umebayashi
Schnitt
William Chang
Darsteller
Norah Jones (Elizabeth) · Jude Law (Jeremy) · David Strathairn (Arnie) · Natalie Portman (Leslie) · Rachel Weisz (Sue Lynne)
Länge
95 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Heimkino

Verleih DVD
Universal/Prokino (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.)
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Eine von Liebeskummer geplagte Frau namens Elizabeth schneit in einer Winternacht in ein kleines New Yorker Café. Sie ist von ihrem Partner verlassen worden, kann sich innerlich aber noch nicht von ihm lösen. Hinter dem Tresen steht der junge Brite Jeremy, bei dem sie ihr Herz ausschütten kann. An ihren ersten Besuch reihen sich viele weitere: Sie sucht, wenn die anderen Gäste längst gegangen sind, Trost in ihrem Trennungsschmerz und lässt sich Blaubeerkuchen mit Vanilleeis vorsetzen. Er erzählt ihr von seiner Arbeit und von Menschen, die ihm dabei begegnen – alte Schlüssel, die er in einer Schale bei der Kasse aufbewahrt, erinnern ihn an diejenigen, die sie bei ihm aus unterschiedlichsten, meist traurigen Gründen zurückgelassen haben. Jeremy bewahrt sie auf, falls sie doch noch einmal abgeholt werden. Dann bleiben die Besuche der jungen Frau eines Nachts aus, und stattdessen trudeln nach und nach Postkarten aus verschiedenen amerikanischen Städten bei Jeremy ein: Elizabeth ist zu einer Reise aufgebrochen.

Mit seinen letzten Filmen „In the Mood for Love“ (fd 34 577) und „2046“ (fd 36 855) schuf Wong Kar-wai zwei Meisterstücke der Kino-Melancholie. Dass „My Blueberry Nights“ für einige Festival-Kritiker in Cannes 2007 eine Enttäuschung war, mag vor allem daran liegen, dass der Film im Tonfall wesentlich anders ist als die früheren Filme: weniger schmerzlich, weniger eindringlich. Nichtsdestotrotz ist er nicht weniger schön: Er entfaltet eine wunderbare, liebevolle Sanftheit, die sich über die erzählten Schicksale senkt wie der Schnee auf das winterliche New York, das man wohl noch nie so seltsam still und verzaubert gesehen hat wie hier. Norah Jones’ weiche Stimme, die den Vorspann-Song vorträgt, passt dazu vorzüglich, und auch darstellerisch gelingt es der Sängerin, ihren Part als dunkeläugige Elizabeth auf einer „éducation sentimentale“ auszufüllen und neben großartig aufspielenden Schauspielern wie Rachel Weisz, David Strathairn, Natalie Portman und Jude Law ihre Frau zu stehen.

Dramaturgisch schwebt die Geschichte zwischen den Mustern des klassischen US-Genrekinos, vor allem der Romanze, und dem für Wongs Filme typischen Gleiten. Boy meets girl, boy loses girl: Jeremy hofft auf ein Wiedersehen mit Elizabeth, denn zwischen Gesprächen und Kuchenkrümeln ist langsam eine neue Liebe gewachsen. Um sich für sie öffnen zu können, muss Elizabeth erst die gescheiterte Beziehung hinter sich lassen, im wahren Sinne des Wortes. Auf ihrem Road-Movie-Trip durch die weiten Landschaften der USA, den sie sich finanziert, indem sie als Kellnerin jobbt, trifft sie auf andere von der Liebe Verwundete: einen Polizisten, der sich mit Alkohol langsam, aber sicher umbringt, nachdem ihn seine jüngere Frau verlassen hat, die Frau selbst, von deren Warte aus die Geschichte des Paars etwas anders aussieht, und schließlich eine coole junge Spielerin, hinter deren Abgeklärtheit Verlorenheit durchschimmert.

Der erste Film des Hongkong-Regisseurs in den USA lässt sich weniger auf die Kultur ein, in die er sich dabei begibt, als es etwa Wim Wenders mit seinen amerikanischen Filmen getan hat, auch wenn man sich in „My Blueberry Nights“ zwischendurch leicht an „Paris, Texas“ (fd 24 765) erinnert fühlt, u.a. wegen Ry Cooder im Soundtrack. Der Sprung in den Westen scheint Wong vor allem als Inspiration für einen fremden Blick zu dienen, für eine zärtliche Distanz, die das Thema des Films ist: Wenn man über die Straße geht, verändert sich die Perspektive. Der Film beschwört die Weisheit, die zu finden ist, wenn man neben sich tritt und (für andere) Auge und Ohr öffnet. Jeremy ist in dieser Hinsicht eine utopische Figur: Manchmal schaut er sich, wenn seine Arbeit beendet ist, die Videobänder der Überwachungskamera seines Ladens an und staunt, was er noch alles entdecken kann – in der Hektik des Tages wird zu vieles übersehen. Elizabeth lernt von ihm, indem sie ihn verlässt, ihrer Heimatstadt den Rücken kehrt und ebenfalls in der Fremde hinter diversen Tresen ihren Blick und ihr Herz öffnet für jene, die ihr begegnen.

Die Kamera verharrt dabei geduldig und aufmerksam, zugleich mit feinfühliger Diskretion auf den Gesichtern; großartig eine Sequenz, in der Rachel Weisz, gewissermaßen flankiert von Norah Jones auf der einen und der Kamera auf der anderen Seite und unter deren mitfühlendem, stillen Blick, auf der Bank an einer Bushaltestelle sitzt und weinend ihre Geschichte erzählt. Gelöst wird dabei nichts, auch nichts getan, verändert oder gerichtet, aber allein im Zusammensein, im Reden und Zuhören schimmert in der Elegie aus Sehnsuchts- und Liebesschmerz eine Aussicht auf Linderung auf. Im Vergleich zu Wong Kar-wais früheren Filmen steht „My Blueberry Nights“ als ähnlicher Sonderfall da wie „Eine wahre Geschichte – The Straight Story“ (fd 33 981) im Werk von David Lynch, an den der Tonfall des Films und die Struktur aus Reise und Begegnungen erinnern. Es wäre ein Verlust fürs Kino, wenn beide Regisseure diese filmischen Exkursionen zur Hoffnung nicht gewagt hätten, die mit ihrem Plädoyer für ein Öffnen des Blicks nicht zuletzt auch die Filmkunst selbst preisen.

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