Meine Mutter, mein Bruder und ich!

- | Deutschland 2007 | 102 Minuten

Regie: Nuran D. Calis

Nach der Flucht aus dem krisengeschüttelten Armenien lebt ein junger Mann mit seiner Mutter und seinem kleineren Bruder als Asylbewerber in Regensburg. Zunächst verleugnet er seine armenische Herkunft, wird aber vom Bruder sowie vom sich verschlechternden Gesundheitszustand der Mutter dazu gezwungen, sich Schritt für Schritt mit seinen "Wurzeln" zu beschäftigen. Ein streckenweise schematischer, dennoch thematisch reizvoller Film um Heimat und Identität, der immer wieder durch genau beobachtete Details und subtile Ironie überzeugt. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
d.i.e.film/BurkertBareiss Development/arte/BR
Regie
Nuran D. Calis
Buch
Nuran D. Calis
Kamera
Helmut Pirnat
Musik
Martin Kälberer
Schnitt
Nikola Gehrke
Darsteller
Erhan Emre (Areg) · Lida Zakaryan (Maria) · Kurt Onur Ipekkaya (Garnik) · Mira Bartuschek (Lilly) · Corinna Harfouch (Susanne)
Länge
102 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Externe Links
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Diskussion
Areg ist so etwas wie ein „Vorzeige-Ausländer“: Der 23-Jährige ist vor zehn Jahren mit seiner Familie aus dem krisengeschüttelten Armenien ins bayerische Regensburg geflohen, wo die Familie auf die Einbürgerung wartet. Er spricht perfekt Deutsch, identifiziert sich mit Deutschland und studiert mit amtlicher Sondergenehmigung Jura in München. Mit kleinen Schritten kommt er seinem eigentlichen Ziel, Filmemacher zu werden, näher – da zwingt ihn der sich verschlechternde Gesundheitszustand seiner Mutter, sich mit seinen armenischen Wurzeln auseinander zu setzen. Um „die Sehnsucht nach der verlassenen Heimat und um die Kraft, die es kostet, sich an einem anderen Ort eine neue zu schaffen“, geht es Regisseur Nuran David Calis, der bisher vor allem Musikclips für HipHop-Bands und Theaterstücke inszeniert hat. Er dürfte gleich mehrere autobiografische Details in seinen ersten Langspielfilm eingebaut haben, stammt er doch selber aus einer armenisch-jüdischen Einwanderer-Familie aus der Türkei. Im Gegensatz zu Areg, der seine Herkunft nahezu verleugnet, forscht sein kleiner Bruder Garnik nach einer armenischen Identität, die er nie kennen gelernt hat. Bei dem Pfarrer Kalust lernt er Armenisch, gemeinsam träumen die beiden von einem Schatz, der in einem erdbebenzerstörten Dorf in der „Heimat“ vergraben liegt – diese Heimat ist imaginiert, fast ein Märchenland, in dem sich die Grenzen zwischen Realität und Traum aufheben. Mit diesem Spagat steht er zwischen seinem größeren Bruder und der trotzigen Sehnsucht seiner Mutter, die an ihrer Sprache und ihren Gepflogenheiten festhält und sich weigert, sich mit ihrer neuen Heimat zu arrangieren. Exemplarisch führt der Film die drei unterschiedlichen Ansichten seiner Protagonisten zur Identitätsdebatte vor und wirkt damit streckenweise schematisch. Doch auch die Deutschen in Calis’ Film haben ihre Probleme, wie die verbitterte Filmproduzentin Susanne, die nach einigen Drinks mit dem zwischenmenschlichen Umgang hadert, der Krankenhausarzt, der seine Übermüdungserscheinungen hinter Zynismus versteckt, und der Beamte bei der Asylstelle: Sie erscheinen genauso heimatlos wie die „Armenier“ oder wie Aregs Mitbewohner George, der heimlich mit einer der armenischen Frauen anbandelt, mit denen Aregs Mutter ihren Sohn verheiraten will. Ein weit verzweigtes Typenkabinett, dessen oftmals stereotype Charakterzeichnungen immer wieder durch punktgenau beobachtete Details, hintergründige Situationskomik und subtile Ironie aufgelockert wird. Es ist beachtlich, wie es Calis schafft, seine vielen Nebenstränge wieder auf das eigentliche Thema zurückzuführen. Sein Plädoyer für die Suche nach der verlorenen Heimat öffnet sich am Ende fast pathetisch in eine Totale des armenischen Berglands: Als sich abzeichnet, dass die Mutter unheilbar an Diabetes erkrankt ist, reist Areg mit ihr dorthin zurück. Die klaustrophobisch fotografierten Innenräume machen der meditativen Betrachtung einer Landschaft Platz, in deren Mitte die Familie ihren inneren Frieden findet.
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