- | Deutschland 2008 | 92 Minuten

Regie: Christian Petzold

Die Wege zweier Männer und einer Frau kreuzen sich im Nordosten Deutschlands. Sie könnten ihr Leben gegenseitig zwar durchaus bereichern, finden aber keine tragfähige und loyale Haltung zueinander. Ein vielschichtiges, darstellerisch intensives Drama um Träume, Sehnsüchte und Leidenschaft, in dem die Protagonisten ziellos durchs Leben driften und nur an Güter glauben, die mit den Händen greifbar sind. Auf der Grundlage eines Kriminalromans, den Luchino Visconti bereits 1942 verfilmte ("Ossessione"), entstand ein beeindruckender Film, der nicht nur deutsche Befindlichkeiten überzeugend spiegelt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Schramm Film/BR/ARTE
Regie
Christian Petzold
Buch
Christian Petzold
Kamera
Hans Fromm
Musik
Stefan Will
Schnitt
Bettina Böhler
Darsteller
Benno Fürmann (Thomas) · Nina Hoss (Laura) · Hilmi Sözer (Ali) · André Hennicke (Leon) · Marie Gruber (Kassiererin)
Länge
92 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. ein interessantes "Making Of" sowie einen Audiokommentar des Regisseurs.

Verleih DVD
Piffl (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Geld oder Liebe? Ist es Zufall, ist es Schicksal? Drei Menschen treffen im sommerlichen Nordosten der Republik aufeinander, die einander ein Halt sein könnten, die sich aber verraten. Der Türke Ali hat sich eine Imbisskette aufgebaut, der Frau Laura gibt er ebenso eine Chance wie dem Afghanistan-Veteranen Thomas, der ihm einmal aus der Patsche hilft. Alle drei Figuren sind zutiefst heimatlose Drifter, sozial nicht vernetzt und verortet – und haben gelernt, ihre Träume und Sehnsüchte pragmatisch herunter zu dimmen. Den Schlüsselsatz in Christian Petzolds Film sagt Laura: „Man kann doch nicht lieben, wenn man kein Geld hat!“ Stimmt das? Und wie sieht das mit der Freundschaft aus? Über der Dreiecksgeschichte nicht vergessen sollte man die Exposition des Films, die wie der Schluss einer anderen Geschichte erscheint. Auch diese Geschichte handelt von Illoyalität und Geld. Petzold und sein ständiger dramaturgischer Berater Harun Farocki zeichnen eine Landschaft, der die Arbeit ausgegangen ist, einen Transitraum voller Kreuzungen, aber ohne Verkehr, eine Infrastruktur ohne Verwendungszweck. In Alis Imbissbuden sieht man keine Kundschaft, sondern nur die Verrichtungen zur Vorbereitung von Dienstleistungen. Welche Ökonomie wird sich hier an der Stelle der Lohnarbeit etablieren? Alle Figuren wirken seltsam flottierend wie Gespenster, die sich von der Realität abgewendet haben, weil sie in dieser keine Wurzeln ausbilden konnten. Vor dem Leben kommt das Geschäft, aber kommt nach dem Geschäft auch das Leben? Ganz abstrahiert nimmt sich Petzold, der gerne mit bekannten Vorlagen – Büchern oder Filmen – spielt, diesmal den Plot von James M. Cains Krimi-Klassiker „The Postman Always Rings Twice“ vor, um daraus eine subtile, aber soziologisch bestens informierte Geschichte mit drei glänzend aufgelegten Protagonisten zu machen, die etwas über die Lebenswirklichkeit in Deutschland oder zumindest über den Nordosten des Landes zu erzählen hat. Mit bewundernswerter Präzision und Gradlinigkeit gewährt der Regisseur jeder Figur ihre Geschichte, was „Jerichow“ immer komplexer werden lässt. Aus dem Buddy Movie wird ein Film noir, wird eine „Liebesgeschichte“ ohne Zukunft, wird eine Geschichte von zwei Männern und einer Frau, die sich selbst als Prostituierte begreift, wird schließlich eine seltsame Tugendprobe, die Ali zeigen soll, ob er es im Leben zu etwas gebracht hat, auf das man bauen könnte. Eigentlich ein ziemlich absurder Gedanke in einem Film, der nie ganz klar macht: Wer ist hier Täter, wer Opfer? Doch bevor das Verbrechen in den Film kommt, sieht man, wie Ali und Laura ihre Döner-Buden führen, wie Thomas zum Ernteeinsatz auf dem Gurkenfeld verpflichtet wird, wie ein Provinzpolizist den sauflustigen Ali drangsaliert, wie Ali Laura drangsaliert, wie Thomas im Haus seiner verstorbenen Mutter unterkommt, wie Ali seinem neuen Kumpel Thomas nicht ohne Stolz seine blonde, etwas verhärmte Frau Laura vorstellt – und dann zusieht, was sich zwischen den beiden entwickelt. Wenn sich ein Motiv wie ein roter Faden durch den Film zieht, dann ist es das stets auf den eigenen Vorteil bedachte Handeln. Ali muss ständig aufpassen, dass er von seinen Angestellten nicht betrogen wird. Aber er kennt auch alle Tricks und ist wachsam. Früh und wiederholt hat er Thomas klar gemacht, dass ihm sehr daran gelegen ist, stets die Kontrolle über das Geschehen zu behalten. Dann nimmt die Geschichte Fahrt auf, es werden Pläne geschmiedet, Dinge falsch eingeschätzt, Fehler gemacht; die Spannungen wachsen und auch die Widersprüche. Gerade, als man denkt, dass hier die Frau zu einem seltsam passiven Tauschobjekt zweier Buddys wird, erhält Laura ihre Geschichte, die die scheinbare Alternative von Geld oder Liebe zu Varianten desselben Gefängnisses werden lässt. Am Schluss dann buchstäblich die Vertreibung aus dem Paradies, wenn Laura und Thomas alle Chancen auf eine gemeinsame Zukunft besitzen und diese zugleich doch verspielt haben. Schon 1946 hat Tay Garnett die Geschichte vom zweimal klingelnden Postmann verfilmt; hierzulande lief der Film unter dem Titel: „Die Rechnung ohne den Wirt“ (fd 3517).
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