Naokos Lächeln

Drama | Japan 2010 | 133 Minuten

Regie: Tran Anh Hung

Elegisches Drama über die Beziehung eines jungen Mannes zu einem Mädchen, mit dem ihn einst eine Jugendfreundschaft verband. Seine Liebe zu ihm ist jedoch vom Selbstmord eines gemeinsamen Freundes überschattet. Nach einem Roman von Haruki Murakami entwirft der Film ein in den 1960er-Jahren angesiedeltes Porträt, in dem jugendlicher Lebenshunger und der gesellschaftliche Aufbruch auf die Schwermut der jungen Leute als Erbe einer unaufgearbeiteten Vergangenheit stoßen. Der ruhig entwickelte, zwischen poetischen Naturaufnahmen und realistischer Erkundung des Lebensalltags angesiedelte Film erzählt von der Schönheit wie von der Gefährdung der Jugend und spiegelt zugleich metaphorisch die Befindlichkeit einer ganzen Generation. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
NORWEGIAN WOOD | NORUWEI NO MORI
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Asmik Ace Ent/Fuji Television Network/Toho Company
Regie
Tran Anh Hung
Buch
Tran Anh Hung
Kamera
Mark Li Ping Bing
Musik
Jonny Greenwood
Schnitt
Mario Battistel
Darsteller
Kenichi Matsuyama (Toru Watanabe) · Rinko Kikuchi (Naoko) · Kiko Mizuhara (Midori) · Reika Kirishima (Reiko) · Kengo Kôra (Kizuki)
Länge
133 Minuten
Kinostart
30.06.2011
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Die Extras umfassen u.a. ein ausführliches "Making Of" (28 Min.).

Verleih DVD
Pandora (16:9, 2.35:1, DD5.1 jap./dt.)
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Diskussion
Der Wind braust, der Regen rauscht, die Kamera streift über wogende Wiesen; die Bewegungen der Herzen sind in „Naokos Lächeln“ mindestens ebenso heftig. Die Figuren sind jung, vor kurzem erst den Wirrnissen der Pubertät entronnen; die Intensität ihrer Gefühle, die Macht und Ohnmacht ihrer Körper setzt ihnen zu und lässt die Welt nicht gerade in einem klaren Licht erscheinen. Für ihre Gefühle und Ewigkeitsansprüche finden sie ebensolche Worte und Vergleiche. Manches davon ist redundant und angelesen, manches trifft es aber ganz genau. So sagt Toru, der rückblickend der Erzähler der Geschichte ist, einmal: „Ich bin nicht gerne allein, ich bemühe mich nur nicht, Freunde zu finden.“ Midori entgegnet daraufhin, dass er dies eines Tages für seine Autobiografie verwenden könne. „Naokos Lächeln“ ist die Verfilmung eines Romans des japanischen Bestseller-Autors Haruki Murakami; in seinen Büchern driften die Figuren gerne umher, und sie reden viel, gerne über sich. Toru Watanabe wohnt in einer Studentenbude, liest viel und versinkt in seinen Büchern, während draußen auf der Straße die Studentenunruhen der 1960er-Jahre brodeln. Für Politik interessiert er sich nicht; er ist mit sich beschäftigt und mit den Frauen, die eher zufällig seinen Weg kreuzen. Er ist kein Casanova wie sein Kommilitone und Freund Nagasawa, der ihn gelegentlich zu sexuellen Eskapaden überredet. Aus der Vergangenheit taucht Naoko auf. Während der Schulzeit verband Toru eine enge Freundschaft mit ihr und ihrem Kindheitsfreund Kizuki, trotzdem blieb er in der symbiotischen Beziehung der beiden immer außen vor. Kizuki hat sich mit 17 Jahren das Leben genommen. Während Toru nach Tokio, ins Studium und in seine Bücher geflüchtet ist, hat Naoko den Tod des Freundes nicht verwunden. Die beiden unternehmen lange Spaziergänge in den Park, die Blätter rascheln, alles ist grün. Die Kamera folgt ihnen parallel, bleibt unversehens hinter Gestrüpp stecken und ist dann doch wieder ganz nah an den Gesichtern. „Wo sind wir hier?“, fragt Naoko, die im beschleunigten Laufschritt Toru stets einen Meter voraus ist. Der hechelt etwas atemlos hinterher. Die Natur wird, mit Mut zum Kitsch und durch die Jahreszeiten hindurch, als dritter Körper instrumentalisiert: Die Gefühlsbewegungen, die sexuellen Aufgewühltheiten artikulieren sich im Meeresrauschen, Gräserwogen, Windbrausen, in weißen, weiten Winterlandschaften. Bald ist Naoko, ganz der Stadtwelt enthoben, an einem surrealen Ort: in einer Nervenheilanstalt in unberührter Natur. Wenn Toru sie dort besucht, sind nur sie und ihre Mitpatientin Reiko zu sehen, eine aufopferungsvolle Freundin. In der Stadt, auf dem Boden der Tatsachen, gibt es Midori, ein Mädchen, das Toru an der Uni kennen lernt. Sie ist herausfordernd forsch, hat aber einen Freund. Regisseur Tran Anh Hung wurde 1962 in Vietnam geboren; als Teenager ging er mit seiner Familie ins französische Exil. Sein bildgewaltiger Debütfilm „Der Duft der grünen Papaya“ (fd 30 512) war 1993 für den „Oscar“ nominiert, zwei Jahre darauf gewann er mit „Cyclo“ (fd 31 622) den „Goldenen Löwen“ in Venedig. „Naokos Lächeln“ heißt im Original „Norwegian Wood“ nach dem Beatles-Klassiker. Die Musik und der außergewöhnliche Soundtrack von „Radiohead“-Mitglied Jonny Greenwood übernehmen eine ähnliche Rolle wie die Natur: Sie sprechen von den großen Gefühlen, die in den Figuren widerstreiten. Ebenso wie die Bilder des taiwanesischen Kameramanns Mark Li Ping Bing (er fotografierte gemeinsam mit Christopher Doyle Wong Kar-wais „In the Mood for Love“, fd 34 577) und die durchkomponierte Farbdramaturgie wird die Musik mit monumentaler Wucht eingesetzt. An deren Power droht „Naokos Lächeln“ bisweilen zu ersticken; auflockernd wirken vor allem die Szenen und Zwischenspiele von Torus Studentenleben in Tokio: Seine Nebenjobs in einem Schallplattenladen und in einer Fischfabrik, die Männergespräche mit Nagasawa über Frauen und Sex, das ziellose Herumlungern im Zimmer des Wohnheims und der Cafeteria. Kostüm und Ausstattung verwenden viel detailgenaue Aufmerksamkeit auf den Stil der 1960er-Jahre. Mit nostalgischer Langsamkeit ist „Naokos Lächeln“ in Szene gesetzt, was eine gewisse Einlassung des Zuschauers auf die im guten Sinne schwermütige Geschichte erfordert. Der Wind braust, der Regen rauscht, die Kamera streift über wogende Wiesen: Die Liebe dauert eben länger als nur einen Augenblick.

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