Kurtulus son durak

Komödie | Türkei 2011 | 103 Minuten

Regie: Yusuf Pirhasan

Eine junge Psychologin schließt sich im Istanbuler Stadtteil Kurtulus mit ihren Nachbarinnen zusammen, die von ihren Ehemännern brutal misshandelt werden. Das Bündnis gegen Gewalt, das für die Rechte der Frauen und für mehr Respekt zwischen den Geschlechtern eintritt, muss bald die eine oder andere männliche Leiche entsorgen. Schwarz-humorige, mit Ironie gewürzte Burleske, die ihr gesellschaftlich brisantes Thema unterhaltsam und temporeich in Form eines aufklärerischen Unterhaltungsfilms vermittelt. Die Themen werden pointiert gesetzt, ohne in plakative Botschaften abzugleiten. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
KURTULUS SON DURAK
Produktionsland
Türkei
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
BKM Film
Regie
Yusuf Pirhasan
Buch
Baris Pirhasan
Musik
Firat Yükselir
Darsteller
Demet Akbag (Vardanus) · Belçim Bilgin (Eylem) · Asuman Dabak (Füsun) · Nihal Yalçin (Goncagül) · Ayten Soykök (Gülnur)
Länge
103 Minuten
Kinostart
12.01.2012
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Komödie
Externe Links
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Diskussion
Das kommerzielle türkische Kino setzt auf brisante Themen. Nachdem „Labyrinth“ (fd 40 858) den Islamismus als Thriller und „Yangin Var“ (fd 40 853) den Kurdenkonflikt als Situationskomödie für die Leinwände entdeckten, greift die schwarze Komödie „Kurtulus Son Durak“ ein anderes heißes Eisen der türkischen Gesellschaft auf: die häusliche Gewalt gegen Frauen. Damit wird das Thema aus der Nische des Autorenfilms in die Mitte der Gesellschaft getragen, mit Abstrichen an der Filmkunst, aber nicht an der politischen Wirkung: 86.000 Zuschauer haben den jüngsten Film der Produktionsfirma BKM an den ersten drei Starttagen gesehen, womit der feministische Unterhaltungsfilm ganz oben auf der türkischen Box-Office-Hitliste steht. Die von Necati Akpinar und dem Komiker Yilmaz Erdogan gegründete Filmproduktion hat früher schon mit gesellschaftspolitisch anspielungsreichen Komödien wie „Beynelmilel – Die Internationale“ (fd 38 144) oder „Eyyvah Eyvah“ (fd 39 775) punkten können. Auch „Kurtulus Son Durak“ bringt seinen grotesken Plot mit traumwandlerischer Sicherheit zur Geltung. Regisseur Yusuf Pirhasan, eingefleischten Net-Surfern als Regisseur der Web-Serie „LG 15“ bekannt, mischt das Setting der Seifenoper mit dem schwarzen Humor seiner Wahlheimat London. Seine Heldinnen sind fünf Bewohnerinnen eines Mehrfamilienhauses im Istanbuler Bezirk Kurtulus. Die junge Psychologin Eylem, die gerade von ihrem Verlobten verlassen wurde, zieht dort ein, wird aber schon in der ersten Nacht Zeugin eines brutalen Streits in der Nachbarwohnung. Schnell stellt sich heraus, dass die Frauen, die Eylem in ihrem Trennungsschmerz mit selbstgebackenen Küchlein und gefüllten Weinblättern aufzumuntern versuchen, selbst Hilfe brauchen. Um den Druck, den ihre Männer auf sie ausüben und der oft mit körperlicher Gewalt endet, auszuhalten, beginnen sie ihr Frühstück mit einer Dosis Antidepressiva und gehen abends mit Schlaftabletten zu Bett. Nachdem anfänglich nicht nur die männerbündischen Beamten der örtlichen Polizei, sondern auch die Frauen selbst darauf beharren, die Dinge unter den Teppich zu kehren, gelingt es Eylem, aus den Betroffenen eine verschwörerische Solidargemeinschaft zu formen. Aus dem Klatsch im Frisiersalon entsteht eine bunte Frauenbewegung ohne ideologischen Überbau, aber mit Leidensdruck und Durchhaltewillen. Das Motto „Wir sind gegen jede Art von Gewalt“ wird allerdings schon bei der ersten gemeinsamen Aktion ad absurdum geführt, als der populäre Sänger und heimliche Frauenschläger Recep unbeabsichtigt, aber zur Genugtuung aller weiblichen Beteiligten ums Leben kommt. Die Beseitigung der Leiche, der noch zwei weitere folgen, erfordert von den Protagonistinnen einigen Mut und vom Zuschauer viel Lust auf schwarzen Humor. Ein eigenwilliges Amalgam aus britischer Ironie und türkischer Burleske, mit dem der Film zu temporeicher moderner Agit-Prop-Unterhaltung wird. Pirhasan inszeniert das ernste Thema mit leichter Hand. Sein Plädoyer gegen das nicht nur in der Türkei weit verbreitete Wegsehen vor familiärer Gewalt kommt ohne plakative politische Botschaften aus. Der Film funktioniert über die Identifikation mit den ebenso durchschnittlichen wie skurrilen Protagonistinnen, einer verschwörerischen Gemeinschaft, in der sich die meisten Zuschauerinnen schnell zu Hause fühlen dürften. Zu dieser Gemeinschaft gehören mit dem lebensmüden Alkoholiker Nejat, der die Lage scharfzüngig analysiert, und dem verschüchterten Ehemann Macit auch zwei Männer. Beide Figuren brechen doppelbödig mit Geschlechter-Klischees. Macit, indem er in einer Schlüsselszene dem frauenfeindlichen Kommissar ausgerechnet eine Bratpfanne über den Kopf zieht, und Nejat, weil er ständig in selbstmörderischer Absicht unterwegs ist – in patriarchalen Gesellschaften meist der letzte Ausweg drangsalierter Frauen, sich ihrem Schicksal zu entziehen. Am Ende sehen sich die Frauen aus Kurtulus gezwungen, ihren Kommissar zu kidnappen, und werden von Politik und Medien kurzerhand zu einer neuen Terrororganisation erklärt, die Anschläge im ganzen Land plane. Doch die Öffentlichkeit nimmt derartige Denunziationen von oben nicht mehr hin – zu groß ist der Leidensdruck der Frauen in der Türkei. Schneeballartig verbreitet sich die Kunde vom „Widerstand in pink“.
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