Yumurta - Ei

- | Türkei/Griechenland 2007 | 93 Minuten

Regie: Semih Kaplanoglu

Ein Dichter, ein verschlossener Mann mittleren Alters, reist zur Beerdigung seiner Mutter von Istanbul aus ins Dorf seiner Kindheit im ländlichen Anatolien. Antriebsarm und stets die geplante Rückfahrt in die Stadt im Blick, durchquert er die alten Orte, an denen überlieferte Bräuche, Werte und handwerkliche Techniken lebendig sind, wobei er allmählich einen Weg zu neuen Erfahrungen sowie zu sich selbst findet. Der erste Film der "Yusuf-Trilogie" des türkischen Autorenfilmers Semih Kaplanoglu ist eine unsentimentale Auseinandersetzung mit seiner Herkunft, geprägt von leiser Symbolik und einem Hauch Ironie. (O.m.d.U. , vgl. auch "Süt - Milk" und "Bal - Honig") - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
YUMURTA
Produktionsland
Türkei/Griechenland
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Kaplan Film
Regie
Semih Kaplanoglu
Buch
Semih Kaplanoglu · Orçun Köksal
Kamera
Özgür Eken
Schnitt
Ayhan Ergürsel · Suzan Hande Güneri · Semih Kaplanoglu
Darsteller
Nejat Isler (Yusuf) · Saadet Isil Aksoy (Ayla) · Ufuk Bayraktar (Haluk) · Gülçin Santircioglu (Gül) · Tülin Özen (Sahaftaki Kadin)
Länge
93 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Der Film ist Teil der DVD-Special Edition von "Bal - Honig", die auf drei Discs die komplette "Yusuf-Trilogie" beinltet. Zudem enthält diese Edition ein "Making Of" sowie ein ausführliches Booklet.

Verleih DVD
Piffl (16:9, 1.85:1, DD2.0 türk., DD5.1 dt.)
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Diskussion
Ein Mann mittleren Alters sitzt am Steuer seines Wagens. Yusuf, der Protagonist, wird in Rückenansicht gefilmt und ist nur als Schattenriss zu sehen. Die Windschutzscheibe wirkt wie eine Filmleinwand, ein Rechteck, in dem Yusufs Fahrt von der Nacht in den Morgen abläuft. Regisseur Semih Kaplanoglu setzt die durch Schnitte strukturierten Phasen der Reise von Istanbul ins ländliche Anatolien vor allem durch Farben voneinander ab. Vom graugelben Tunnel wechselt er zum roten Neonlicht einer Tankstelle, die Fassaden entlang einer engen Dorfstraße leuchten grün; tiefblau dämmert der Morgenhimmel über einer Tiefebene, und mit dem nächsten Schnitt hat Yusuf das ländliche Dorf seiner Kindheit erreicht. Schon in dieser frühen, genial verkürzten Sequenz zeigt sich „Yumurta – Ei“ als Film der Metamorphosen, und das gilt vor allem für das Innere der Hauptfigur, den verschlossenen Dichter Yusuf, der mit seiner Reise in die ihm entfremdete Heimat auch einen Weg zu sich selbst und zu neuen Erfahrungen eingeschlagen hat. Ein Leben, das für Yusuf anfangs so unerreichbar scheint wie für jemanden, der die Welt vom Blechpanzer seines Autos aus, durch die Windschutzscheibe zu betrachten gewohnt ist. In drei Filmen hat der türkische Autorenfilmer Semih Kaplanoglu die Geschichte Yusufs im Rückwärtsgang erzählt: In „Bal – Honig“ (fd 40 042) begleitete Kaplanoglu den kleinen, im Wald lebenden Jungen, der von seinem Vater Abschied nehmen muss. In „Süt – Milch“ (fd 39 661) entdeckte der 20-jährige Yusuf die Lyrik und ließ seine Mutter in einer anatolischen Kleinstadt zurück. Warum hat sich der Regisseur und Co-Autor auf der Zeitleiste rückwärts bewegt? „Man kann die Trilogie als einen langen Flashback ansehen“, sagt Kaplanoglu. „Allerdings stehen die drei Filme jeweils für sich, sie sind keine historischen Rückblenden, alle spielen in der Gegenwart, an unterschiedlichen Orten in der Türkei, in unterschiedlichen Konstellationen. Ich wurde oft gefragt, ob die drei Yusuf-Figuren ein und dieselbe Person darstellen. Ich ziehe es vor, die Geheimnisse der Figur, die direkten und indirekten Bezüge zwischen den Filmen, ihr Rätsel nicht aufzulösen.“ Yusuf wird zur Beerdigung seiner Mutter Zehra in ein Dorf unweit der ägäischen Küste gerufen. Das Wiedersehen mit dem ungeliebten Ort seiner Kindheit und Jugend bringt ihn allerdings auch in die Nähe der jungen, schönen Ayla – und konfrontiert den stillen Mann mit seinem lange unterdrückten Wunsch nach Liebe. Antriebsarm und immer die geplante Rückfahrt in die Stadt im Blick, durchquert der Protagonist die alten Orte, an denen überlieferte Bräuche, Werte und handwerkliche Techniken lebendig sind. In gewisser Weise ist es Ayla – selbstbewusst und doch in der ländlichen Tradition lebend –, die Yusuf zur Auseinandersetzung mit seiner Herkunft drängt. Er soll einem Gelübde seiner Mutter folgen und einen Widder opfern. Die Symbolik, mit der Kaplanoglu seinen Film aufgeladen hat, ist unaufdringlich. Das Ei steht zum Beispiel sowohl für den Aufbruch der Hauptfigur als auch für die Angst, aus der selbstgewählten Isolation nicht herauszukommen. In einem seiner Albträume hält Yusuf ein kleines Vogelei in der Hand. Kaplanoglu lässt es klatschend auf der Kamera zerplatzen. In einem anderen Traum versucht Yusuf, die glitschige Wand eines Brunnenschachts hinauf ins Freie zu klettern. Die Angst vor dem Stillstand ist ebenso präsent wie die unablässige Bewegung, zu der die Charaktere trotzdem fähig sind. Fast wie ein Hochzeitspaar treten Ayla und Yusuf eine Reise an, um den Wunsch der Mutter zu erfüllen. Im entscheidenden Moment des Films, die mit einem emotionalen Durchbruch einhergeht, ist Yusuf aber allein. Nachts, mitten auf einer Weide, trifft er auf einen bedrohlich großen Hirtenhund, der ihn zu Boden reißt, aber dann die Rolle des schützenden Bewachers einzunehmen scheint (in einer ähnlichen Szene in „Bal“ tritt ein Bär auf). Hier wirkt Yusuf wie ein vom Weg abgekommenes Schaf; doch Kaplanoglu erzählt das frei von Sentimentalität, mit einem Hauch Ironie. Wenn man Yusuf im Morgenlicht im Gras liegen sieht – die Farbfotografie des Films ist außerordentlich –, begreift man, dass die Hauptfigur in die Natur zurückgekehrt ist. Bei allen Vorbehalten, die Kaplanoglu gegen die Idee einer einzigen, in drei Lebensphasen dargestellten Yusuf-Figur auch vorgebracht hat: Der Anschluss an den naturverbundenen Jungen im später entstandenen Film „Bal“ ist nicht von der Hand zu weisen. Hinweis: „Yumurta – Ei“ ist Teil der „Special Edition“ von „Bal – Honig“, die auf drei Discs die komplette „Yusuf-Trilogie“ beinhaltet.
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