De Engel van Doel

Dokumentarfilm | Niederlande/Belgien 2011 | 77 Minuten

Regie: Tom Fassaert

Dokumentarfilm über das kleine flämische Dorf Doel im Norden Belgiens, das dem Ausbau des Antwerpener Hafens weichen muss. Die Bewohner ziehen weg, die Häuser stehen leer und werden abgerissen. Der Niedergang des Orts wird in kunstvollen visuellen Tableaus eingefangen, wobei der Film eine surreale, wehmütige Atmosphäre verbreitet, in die sich präzise beobachtete Gespräche der wenigen noch verbliebenen alten Einwohner einfügen. Akzentuiert durch lakonische Szenen und unterschwellige Komik, lebt die poetische, melancholisch-humorvolle Erzählung über Abschied und Vergänglichkeit von der Authentizität einer Dokumentation und der Kraft eines Dramas. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
DE ENGEL VAN DOEL
Produktionsland
Niederlande/Belgien
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
SNG (Studio Nieuwe Gronden)/CinéTé Filmproducties
Regie
Tom Fassaert
Buch
Tom Fassaert
Kamera
Daniël Bouquet · Diderik Evers · Reinout Steenhuizen
Musik
Tobias Borkert
Schnitt
Tom Fassaert · Axel Skovdal Roelofs · Thabi Mooi
Länge
77 Minuten
Kinostart
20.09.2012
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Doel stirbt. Schon in den 1970er-Jahren wurde über das kleine flämische Dorf im Norden Belgiens ein Baustopp verhängt. Vor einigen Jahren fiel dann endgültig die Entscheidung, dass der Ort dem Ausbau des Antwerpener Hafens weichen müsse. Seitdem zogen die Menschen weg, die Häuser stehen leer, werden nach und nach abgerissen. Der niederländische Filmemacher Tom Fassaert dokumentiert in seinem Kinodebüt den Niedergang des Städtchens in kunstvollen Schwarz-weiß-Tableaus. Die Vogelperspektivaufnahmen der kleinen Arbeiterhäuser oder des Friedhofs sowie die statischen Totalen, in denen die Bewohner am Küchentisch, in der Kirche oder beim Arztbesuch gefilmt werden, kreieren einen zeitlos anmutenden Erzählrahmen. Doel, in dem nur noch einige wenige ältere Menschen verharren, wirkt in dieser Inszenierung wie aus der Zeit gefallen, ein Relikt der 1950er-/1960er-Jahre. Angestaubt und angenehm altmodisch. So wie die Inszenierung dem Dokumentarfilm mit den Farben das Datum entzieht, entschleunigt sie das Geschehen durch die gemächliche Montage. Die leere, menschenverlassene Hauptstraße, über die Pastor Verstraete auf seinem Dreirad rollt, verbreitet eine surreale, wehmütige Atmosphäre, die den Grundton des Films vorgibt. Im Zentrum steht die 75-jährige Emilienne, deren Küchentisch für die wenigen verbliebenen Bewohner eine Art Seniorentreff darstellt. Hier sitzen sie beieinander, Emilienne, ihre Freundin Colette oder der Pastor, schwatzen, kichern und tauschen sich über ihre Ängste vor einem neuen Leben aus. Während Colette Mut macht, kommen Emilienne die Tränen bei dem Gedanken, dass sie gezwungen wird, ihr Zuhause mit den Gästezimmern für die Enkelkinder, dem wilden Garten, den Hühnern und Katzen zu verlassen. Die Kamera zeichnet das Gespräch der beiden Frauen einfach nur auf, aus einer stillen, reglosen, scheinbar kommentarlosen Totalen heraus. Der gesamte Film folgt diesem Prinzip. Die Protagonisten reden und agieren, als fühlten sie sich gänzlich unbeobachtet: ungekünstelt, unbedacht. Einmal scherzen die Frauen darüber, dass der Pastor ständig übers Sterben rede und fügen dann nachdenklich hinzu, dass er selbst ja auch todkrank sei. Später sieht man den mageren, bedächtigen Geistlichen bei einem Arztbesuch und hört ihn fragen: „Der Pastor von Doel stirbt noch nicht, oder?“ Ein Moment, der unter die Haut geht. Überhaupt ist die Nähe, die der Film erzeugt, außergewöhnlich. Mehrere Jahre hat Fassaert in Doel gedreht. Die Montage verdichtet das Material zu einer poetischen, melancholisch-humorvollen Erzählung über Abschied und Vergänglichkeit. Hätte man keine Hintergrundinformationen, könnte man „De Engel von Doel“ auch für einen grandios gespielten Spielfilm halten, ihn in Folge seiner oft leicht schrägen Perspektiven, lakonischen Szenen und unterschwelligen Komik in einer Reihe mit Kaurismäki, Kusturica oder Jarmusch stellen. Im Grunde ist er das auch: Ein kleines Kinowunder mit der Authentizität einer Dokumentation und der Kraft eines Dramas.
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