Literaturverfilmung | Österreich/Deutschland 2012 | 108 (24 B./sec.)/104 (25 B./sec.) Minuten

Regie: Julian Roman Pölsler

Eine Frau aus bürgerlichen Verhältnissen, unverhofft gefangen in apokalyptischer Idylle: Eine unsichtbare, undurchdringliche Wand umgibt den Wald um eine Jagdhütte in den Bergen und trennt sie vom Rest der Welt, in der niemand mehr zu leben scheint. Sie ist sich selbst überlassen, nur zwei Katzen, eine trächtige Kuh und ein treuer Hund sind ihre Begleiter. Die eindrucksvolle Verfilmung des Romans von Marlen Haushofer ist wie die Vorlage vielfältig lesbar als Dokument einer weiblichen Emanzipation, als düstere Robinsonade, als bittere Kritik an der Zivilisation sowie als metaphorische Darstellung einer Depression. Stets umkreist die bildgewaltige, beklemmend-intensive Fabel Urängste wie auch stille Hoffnungen. Getragen von der herausragenden Martina Gedeck als Darstellerin und Rezitatorin, schreibt sich der Film tief ins Gedächtnis ein. (Preis der Ökumenischen Jury, Berlin 2012) - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik Im Kino sehen

Filmdaten

Originaltitel
DIE WAND
Produktionsland
Österreich/Deutschland
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Coop 99 Filmprod./Starhaus Filmprod./BR/ARTE
Regie
Julian Roman Pölsler
Buch
Julian Roman Pölsler
Kamera
JRP Artman · Christian Berger · Markus Fraunholz · Martin Gschlacht · Bernhard Keller
Musik
Johann Sebastian Bach
Schnitt
Bettina Mazakarini · Natalie Schwager · Thomas Kohler
Darsteller
Martina Gedeck (die Frau) · Karlheinz Hackl (Hugo) · Ulrike Beimpold (Luise) · Julia Gschnitzer (versteinerte Frau) · Hans-Michael Rehberg (versteinerter Mann)
Länge
108 (24 B.
sec.)
104 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
11.10.2012
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
„Heute, am fünften November, beginne ich mit meinem Bericht. Ich werde alles so genau aufschreiben, wie es mir möglich ist. Aber ich weiß nicht einmal, ob heute wirklich der fünfte November ist.“ Sowohl Marlen Haushofers Roman als auch seine Verfilmung durch Julian Pölsler beginnen mit diesen (Vor-)Sätzen. Was man im Buch liest, das erklingt im Film aus dem Off und wird gesprochen von der Schauspielerin Martina Gedeck, während man im Bild sieht, wie sie schreibt, sich immer wieder unterbricht, auf und ab geht, sich sammelt, das Geschehene rekapituliert: eine tiefen Ernst ausstrahlende, beherrscht und doch unendlich erschöpft wirkende Frau mit kurzen Haaren, umhergehend in einer Holzhütte, wie gefangen in der idyllischen Stille des abgedunkelten Innenraums, einer Art Höhle, aus der heraus ihre Erinnerungen aufsteigen, zu Geschichten und zu Bildern werden. Die Erzählerin bemüht sich um Chronologie, wird bald aber immer häufiger in der Zeit vorgreifen und dann wieder zurückspringen, sodass sich die erzählten Ebenen zu reflektierten Gedanken verzahnen. Immer intensiver fließen innere und äußere Befindlichkeiten zusammen, und mit der Erzählerin gewöhnt sich auch der Zuschauer allmählich an jenes spezifische Verständnis von Zeit – an „ihre Gleichgültigkeit und ihre Allgegenwart“ –, das mit dem fließenden Hineinwachsen in eine neue Ordnung einhergeht. Tatsächlich ist es, als würde „eine große Hand die Uhr im Kopf still stehen lassen“, sodass man klar die ganze Ungeheuerlichkeit des Geschehenen, aber auch die daraus erwachsenen existenziellen Konsequenzen erfasst: Ein Mensch, völlig allein auf der Welt, lebt und überlebt, isoliert von anderen Menschen (die im Tod erstarrt zu sein scheinen), hinter einer unsichtbaren Wand, ist angewiesen auf die Ressourcen des sie umgebenden Waldes, ringt um ihre seelische Fassung, hadert und zweifelt, geprägt und doch auch erkenntnisreich getröstet durch die Schönheiten sowie die Härten der Natur – und durch ihre Haustiere, eine Kuh, zwei Katzen und, vor allem, einen Hund als treuer, „wissender“ Freund. Marlen Haushofers Roman, erstmals 1963 veröffentlicht, aber erst im Zuge der Frauenbewegung entdeckt und gewürdigt, liegt ein Gedankenspiel zugrunde, das genauso gut einem dystopischen Science-Fiction-Stoff entstammen könnte: Die namenlose Protagonistin und Ich-Erzählerin besucht für einen Kurzurlaub mit einem befreundeten Paar dessen abgelegene Jagdhütte in den Bergen und bleibt allein zurück, als die Freunde noch einmal kurz ins nächste Dorf fahren, doch nie zurückkehren. Fortan ist die Frau quasi allein auf der Welt, isoliert und ohne jeden Kontakt, zurückgeworfen auf sich selbst und ihre eigene Existenz – umgeben von einer unsichtbaren Mauer. Ihr Handlungsraum ist dabei ausreichend groß, um sich den Wald und die angrenzenden Almen zu erschließen, und doch auch äußerst begrenzt; hinter der Mauer scheint indes alles Leben zum Erliegen gekommen zu sein. Diese Fabel kann man als das Schicksal einer fremdbestimmten, abhängigen Frau und damit als Dokument einer weiblichen Emanzipation lesen; auch funktioniert sie durchweg als abenteuerlich-düstere Robinsonade, ebenso als bittere Kritik an der Zivilisation – und ist vielleicht ja „nur“ die metaphorische Darstellung einer Depression. Alles erscheint möglich und plausibel, alle Möglichkeiten klingen zugleich an in diesem beklemmenden, intensiven „Buch im Buch“, das durchaus polarisiert. Was glücklicherweise auch für den Film gilt, der als nicht minder dichte, intensive Studie überzeugt, als Reflexion über diverse Spielarten zwischen tragischem Welt-Verlust und tiefem Glücksempfinden angesichts neu- oder wiederentdeckter Fähigkeiten und Gefühle. Wenn sich für die Protagonistin ganz allmählich das Leben neu ordnet, wenn sie aus einem instinktiven Überlebensimpuls heraus lernt, Verantwortung zu übernehmen, sie ihre Ängste überwindet, Dinge (er-)schafft und meistert, wenn sie pflanzt und erntet, Krankheiten wie auch seelischen und körperlichen Schmerz erträgt und sich für die Qual des Überlebenskampfs mit dem wärmenden Sonnenlicht auf der Alm belohnt – dann wird der Film mitunter zur jubilierenden Hymne auf die menschliche Existenz. „Zum ersten Mal in meinem Leben war ich besänftigt“, erklärt die Frau dann relativierend, „nicht glücklich und zufrieden, aber besänftigt.“ Natürlich prägt das Literarische den Film. Wenn Martina Gedeck aus dem Off spricht und exakt aus dem Roman zitiert, dann ergäbe sich allein schon daraus ein fulminantes Hörbuch. Doch die Filmbilder sind nie nur schmückend-redundantes Beiwerk, schaffen vielmehr einen reichen Mehrwert an sinnlichen Eindrücken und Erkenntnissen – in ihrer atemberaubenden Schönheit schmerzen sie im einen Moment und versetzen im nächsten in einen wahren Glückstaumel. Im trägen Rhythmus der wechselnden Jahreszeiten saugen sie den Betrachter ins Atmosphärische hinein und vergegenwärtigen doch stets konkret die Grundspannung eines Lebens in und mit der Natur, das permanent der existenziellen Bedrohung, der Gefährdung, schließlich auch der Katastrophe ausgesetzt ist. Anders als all die betont schönen, oft aber eher distanzlos staunenden „Naturfilme“ der jüngsten Zeit dockt „Die Wand“ fernab von jedem metaphysischen Gewabere nachhaltig an der menschlichen Existenz an, als deren grundlegendes Prinzip die Erzählerin die Liebe erkennt – als einzige, womöglich längst verspielte Hoffnung auf ein besseres Leben: „Ich kann nicht verstehen, dass wir den falschen Weg einschlagen mussten, und weiß nur, dass es zu spät ist.“ Dabei gelingt es der souverän agierenden Martina Gedeck zutiefst bewegend, ihre Protagonistin immer wieder in das einzige Wesen zurück zu verwandeln, das nicht in diese Welt gehört: in einen Menschen, unter dessen plumpen Schritten der Wald erbebt. In Martina Gedecks stummem Agieren, im Wandel ihrer Kleidung, der Haltung ihres Körpers sowie der reichen Nuancen ihres Gesichts bündelt sich nachhaltig die Essenz des Romans: „Ich hatte wenig erreicht von allem, was ich gewollt hatte, und alles, was ich erreicht hatte, hatte ich nicht mehr gewollt.“
Kommentar verfassen

Kommentieren