Off the Beaten Track

Dokumentarfilm | Irland 2010 | 87 Minuten

Regie: Dieter Auner

Ein Jahr bei Schäfern im Norden Siebenbürgens. Ihr Handwerk ist als Folge der Globalisierung vom Aussterben bedroht; es leben fast nur noch Männer in dieser Region, ihre Frauen und Kinder arbeiten in Westeuropa. Ein Porträt der Stille, mit vielen kontemplativen Beobachtungen. Dann sickern Tempo und Hektik ein, Handys, wirtschaftlicher Druck. Ein Dokumentarfilm zwischen der Ruhe der Provinz und dem Wissen um ihre Vergänglichkeit. - Ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
OFF THE BEATEN TRACK
Produktionsland
Irland
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Ikandi Prod.
Regie
Dieter Auner
Buch
Dieter Auner
Kamera
Nora Agapi · Alex Brendea · Dieter Auner
Schnitt
Mark Aitken · Catalin Cristutiu · Roxana Maraloiu · Filip Muresan · Alexandru Radu
Länge
87 Minuten
Kinostart
09.05.2013
Fsk
ab 0
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
GMfilms/Barnsteiner (16:9, 1.78:1, DD2.0 rumän.)
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Diskussion
Die Welt macht Tempo. Doch nicht in den Dörfern und Höhenlagen Transsilvaniens. Dort, im Norden Rumäniens, scheint die Zeit seit Generationen still zu stehen. Doch der Schein trügt. Denn seit man als Erntehelfer in Deutschland in einem Monat genauso viel verdient wie als Schäfer vor Ort in einem Jahr, hat der Rhythmus des Lebens eine andere Richtung genommen. Dieter Auner, 1970 in Rumänien geboren, gehört der deutschsprachigen Minderheit der Siebenbürger Sachsen an und hat das Land 1990 verlassen, als seine Volksgruppe zum Massenexodus Richtung Deutschland aufbrach. Die Jahrzehnte lange Erfahrung der Diktatur bewogen damals viele zur Auswanderung, mehr aber noch der Traum von einem besseren Leben und von Wohlstand. So richtig warm geworden ist Auner mit dem Tempo der deutschen Gesellschaft ist indes nicht; 1996 zog er weiter nach Irland, in den „Osten des Westens“, wie er sagt. Seitdem kehrt er auch immer wieder in seine rumänisch-siebenbürgische Heimat zurück, dokumentiert die Veränderungen als Fotograf und Filmemacher. Für „Off the Beaten Track“ lebte er über ein Jahr lang mit Schäfern in einem Dorf im Norden Siebenbürgens. Mit der Kamera ist er dabei, wenn die Männer auf die Sommerweide in die Hochlagen ziehen; er wartet mit ihnen aber auch zu der Zeit, als im Jahr zuvor noch jeder seine Lämmer losgeworden ist, vergeblich auf den Lastwagen, der die Tiere holen soll. Zunächst ist der Film ein Protokoll der Stille. Sanfte Hügel, herbe Nadelwälder und kleine Dörfer, deren Häuser harmonisch um die ausgestorbene Hauptstraße gewürfelt sind. Das Tempo ist behäbig, der Rhythmus des Alltags seit Jahrhunderten gleich. Man hat diesen Rhythmus hier verinnerlicht: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Das Erzähltempo des Films gleicht sich dieser Geschwindigkeit an, der Langsamkeit einer Schafherde, die durch den Hohlweg trottet, durch den seit Jahrhunderten Tiere getrieben werden. Doch unmerklich steigert sich das Tempo; harte Worte sind dann notwendig, wo doch zuvor nichts gesagt werden musste, weil alles vorherbestimmt war. Ein Auto wird gekauft, aber wie ehrlich ist der Verkäufer? Auf den Landstraßen kämpfen die Pferdekutschen mit den 40-Tonnen-Sattelschleppern um die Vorfahrt. Die Frauen sind nicht mehr im Dorf: Sie sind nach Deutschland gegangen, weil man dort als Hilfskraft bei der Ernte ein Vielfaches verdient. Nur die Männer sind noch da. Sie sind in der Heimat geblieben und dabei aus der Zeit gefallen. Nebenan ist die Globalisierung angekommen, mit Tüten vom Supermarkt, Handys und dem Wettstreit ums stattlichere Auto. Auner beobachtet, wie die Heimat erodiert. Bald, wenn sich das Schafehüten gar nicht mehr lohnt, ist hier jeder Zweite arbeitslos. „Off the Beaten Track“ protokolliert einen der letzten Jahrgänge des Schafehütens, vielleicht mit der enttäuschten und wiedergefundenen Sehnsucht eines Auswanderers, der mit der Emigration ein Stück seiner Identität abgegeben hat. Vielleicht ist „Off the Beaten Track“ mit seiner erdfarbenen Ausgewogenheit ein wenig zu romantisch und zeigt Ruhe, wo auch Sturm ist. Vielleicht wird hinter diesen Türen geschlagen? Vielleicht zu viel gesoffen? Welche Spuren haben die Spitzelsysteme der Diktaturen hinterlassen? Und sind es diese schlammigen Dorfstraßen wirklich wert, erhalten zu werden? Ja, möchte man nach diesem gleichsam faszinierenden wie nüchternen Kinoerlebnis sagen. Auners „direct cinema“ atmet die Ruhe der Provinz, ist im Kern aber eine Bestandsaufnahme der Vergänglichkeit. Persönlich geprägt und doch mit der Distanz des unbeteiligten Beobachters, schaut Auner aufs Detail, ohne den Blick für sein Thema zu verlieren. Er ist der Langsamkeit auf der Spur, vom romantischen Plädoyer aber dennoch weit entfernt. Wahrscheinlich hat Auner in seiner Jugend zu viel erlebt, um sentimental zu werden. So mischt sich Lakonie in das Bekenntnis zur Entschleunigung: Mit dieser Globalisierung, dem Mehrwert der Saisonarbeit in Westeuropa, lässt es sich doch auch ganz gut leben.
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