Die Abenteuer des Huck Finn

Jugendfilm | Deutschland 2012 | 102 (24 B./sec.)/98 (25 B./sec.) Minuten

Regie: Hermine Huntgeburth

Der freiheitsliebende Junge Huckleberry Finn flüchtet Ende des 19. Jahrhunderts vor seinem geldgierigen, gewalttätigen Vater und macht sich mit einem ebenfalls geflohenen Sklaven auf eine abenteuerliche Reise nach Ohio. Am Mississippi-Ufer stoßen die ungleichen Flüchtlinge auf Gauner, herzlose Raffzähne und eitle Betrüger, wobei Huck allmählich die ernüchternde Alltagswirklichkeit erfasst. Aufwändige, auf äußere Turbulenzen, Komik und Spannung setzende Romanverfilmung als Nachfolger von "Tom Sawyer" (2011), die nur einige Handlungsfäden aus Mark Twains Klassiker aufgreift, dabei aber weder die Abenteuerlichkeit der Vorlage noch deren ambitionierte Auseinandersetzung mit Sklaverei und Rassismus, Freundschaft, Toleranz und notwendigem gegenseitigen Respekt erfasst. - Ab 10.
Zur Filmkritik filmfriend

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Neue Schönhauser Filmprod./Majestic Filmprod./Filmaufbau Leipzig/MMC Independent
Regie
Hermine Huntgeburth
Buch
Sascha Arango
Kamera
Sebastian Edschmid
Musik
Niki Reiser
Schnitt
Eva Schnare
Darsteller
Leon Seidel (Huck) · Louis Hofmann (Tom) · Jacky Ido (Sklave Jim) · August Diehl (alter Finn) · Henry Hübchen (Sklavenjäger Packard)
Länge
102 (24 B.
sec.)
98 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
20.12.2012
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 10.
Genre
Jugendfilm | Abenteuer | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Diskussion
Acht Jahre nach „Die Abenteuer des Tom Sawyer“ erschien Mark Twains zweiter Mississippi-Abenteuerroman (1884/85), in dem sich die Handlung auf Toms besten Freund Huckleberry Finn konzentrierte: Der freiheitsliebende Junge hat sein ungebundenes Leben am Flussufer gegen einen Platz in der gutbürgerlichen Gesellschaft des Städtchens St. Petersburg getauscht, spürt aber angesichts der zivilisierten Ordnung immer mehr die Zwänge und Grenzen seines neuen Daseins, das ihm Regeln, Pflichten und starre Verhaltensnormen aufzwingt. Dass er in seinem Herzen gar kein so wilder, anarchistischer Rebell, sondern auch nur ein „Kind seiner Zeit“ ist, das fest verwurzelten Verhaltensweisen anhängt, das zeigt sich daran, dass auch Huck eines der schlimmsten Grundübel als unveränderbares „Gesetz“ hinnimmt: die Sklaverei. Auf seiner abenteuerlichen Flucht gemeinsam mit dem Sklaven Jim Richtung Ohio stößt er auf unterschiedlichste Menschen am Mississippi-Ufer und erkennt allmählich die ernüchternde Alltagswirklichkeit, die ihn umgibt, wobei er Rassismus und Sklaverei (selbst-)kritisch zu hinterfragen beginnt. Marc Twains wendungsreicher Entwicklungsroman ist im Grunde gar keine Fortsetzungsgeschichte, sondern bedient sich des eingeführten Personals taktisch für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem trügerischen Freiheitsbegriff seiner Zeit – und dies auf eine durchaus „erwachsenere“ Art und Weise als noch in „Tom Sawyer“, geht es doch bei aller jugendlichen Abenteuerlichkeit handfest um Mord und Totschlag, körperliche wie seelische Verletzungen, um Menschenwürde und Menschenrechte. Bei einem Film wie Hermine Huntgeburths „Tom Sawyer“ (fd 40 748) hätte man all dies von Beginn an mitdenken und mitplanen sollen, wenn man sich denn so schnell auf eine filmische Fortschreibung durch den „Huck Finn“-Stoff einlassen wollte. Vor allem hätte man das Publikum sehr viel ernster nehmen müssen – jedenfalls nicht als vermeintlich nur unterhaltungssüchtige Mainstream-Masse, die vornehmlich nach lustigen „Buben“-Abenteuern giert. Genau dies aber tut „Die Abenteuer des Huck Finn“: Als aufwändig ausgestatteter, erneut prominent besetzter Unterhaltungsfilm bietet er nur noch ausgewählte „Highlights“ der Romanvorlage, kappt dabei viel von Twains engagierter zivilisationskritischer Haltung – und verliert sich allzu schnell in einem holprigen Gestrüpp der neu hinzugefügten Wendungen und Episoden, ohne erzählerische Dichte und ausgereifte Charaktere zu kreieren. Nahezu zwanghaft wollte man das Sujet auf „Fortsetzungsfilm“ hin bürsten, in dem möglichst viele Personen des ersten Teils (zumindest kurz) wieder auftreten; auch musste unbedingt eine so dämonisch-böse Gestalt wie Indianer Joe aus dem „Tom Sawyer“-Film her, vielleicht weil der tatsächliche „Feind“ aus der Romanvorlage, der Rassismus, zu abstrakt und damit wohl unattraktiv erschien. So tritt nun Hucks verbrecherischer und sauffreudiger Vater weit spektakulärer als im Roman auf, betritt St. Petersburg als bedrohlicher Westerner, der durch ein „X“ in seiner Stiefelsohle sein Zeichen hinterlässt und mörderische Intrigen spinnt, um seines Sohns und dessen Reichtums habhaft zu werden. Im Roman wird der „alte Finn“ schon früh Opfer eines Verbrechens, während er sich hier zwanghaft durch die Episoden schleppt, aus denen der Film weder erzählerisch noch psychologisch glaubwürdig herausfindet und am Ende zu einem Taschenspielertrick greift: Mark Twain persönlich tritt als Deus ex machina auf, wird sowohl zum Lebensretter als auch zum Chronisten der Ereignisse – was die Hilflosigkeit der Autoren nur notdürftig kaschiert, denen keine überzeugendere Verdichtung des Stoffs eingefallen ist. Man erkennt zwar noch, dass sie Hucks Charakter neu gewichten wollten: als einen in seinem Inneren tief verunsicherten Jungen, der sich nach einem Vater sehnt und in seiner Enttäuschung gegenüber den Einflüsterungen der Betrüger Herzog und König verführbar wird, während er seiner aufkeimenden Freundschaft zu Jim nie ganz vertraut. Aber so, wie der Film ästhetisch keine Entsprechung für das häufig verwendete Wort „Freiheit“ findet, so findet er auch keine überzeugende charakterliche Profilierung für Huck, dessen Sorgen, Sehnsüchte und Erkenntnisse sich gerade einem jungen Publikum nur oberflächlich vermitteln. Dass vieles aus Twains Roman rabiat umgebogen wurde, mag man der Verfilmung verzeihen; dass sie ihn aber nicht annähernd in seiner großartigen Substanz erfasst, das wiegt schwer.
Kommentar verfassen

Kommentieren