Drama | Niederlande/Deutschland 2013 | 93 Minuten

Regie: Nanouk Leopold

Zwischen einem 55-jährigen belgischen Bauern und seinem bettlägerigen Vater herrschen Schweigen und Kälte. Kurz bevor der alte Mann stirbt, versucht der Sohn, der jahrelangen Fremdbestimmung ein eigenes Leben entgegenzusetzen, das es jedoch erst noch zu finden gilt. In nüchternen Bildern und mit einem überragenden Gespür für Räume und Körper erzählt das intensiv-stille Drama von der allmählichen Selbstfindung eines Mannes, dem der Zugang zu sich und der Welt lange verstellt war. (Kinotipp der katholischen Filmkritik) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BOVEN IS HET STIL
Produktionsland
Niederlande/Deutschland
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Circe Films/N274 Ent./Coin Film/VPRO
Regie
Nanouk Leopold
Buch
Nanouk Leopold
Kamera
Frank Van den Eeden
Musik
Paul M. van Brugge
Schnitt
Katharina Wartena
Darsteller
Jeroen Willems (Helmer) · Henri Garcin (Vater) · Martijn Lakemeier (Henk) · Wim Opbrouck (Milchfahrer) · Lies Visschedijk (Ada)
Länge
93 Minuten
Kinostart
13.06.2013
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Edition Salzgeber
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Diskussion
Ein Gewicht hängt über den Figuren, ihren Beziehungen und ihren Körpern. Helmers bettlägeriger Vater, der mit dem alleinstehenden Sohn auf einem abgelegenen Bauernhof lebt, ist in den Achtzigern, ein Mann, der mit jedem Tag an Kraft verliert, weniger wird, mehr und mehr verschwindet. Doch wenn Helmer ihn aus seinem Bett hievt, stellt sich ihm dieser Körper vehement entgegen, mit all seiner Ungelenkigkeit, Sperrigkeit und Schwere – Vater und Sohn als zwei ineinander verkeilte Massen. Die aufgezwungene, physische Nähe steht der inneren Distanz und dem gegenseitigen Befremden der beiden jedoch quer – ihr Verhältnis ist bitter und frostig. Man spürt die Kälte in den scheinbar nebensächlichen Überschreitungen: Wenn Helmer unangekündigt auf das Bett steigt, in dem der Vater liegt, um an der Wand ein Bild aufzuhängen, wenn er ihm den Teller unter dem Brot wegzieht, obwohl dieser noch nicht fertig gegessen hat, vor allem aber in Helmers beharrlicher Sprachverweigerung und -verknappung. Inmitten dieser beengten und stickigen Atmosphäre, die nur in vagen Andeutungen Rückschlüsse auf die gemeinsame Vergangenheit zulässt (von „Schlägen“ ist einmal die Rede, von Ungeliebtheit), gibt es jedoch immer wieder Impulse der Aufmischung – Bewegungen, die nicht zuletzt an den Vater adressiert sind. Gleich zu Anfang wird dieser von Helmer recht schroff ins obere Stockwerk verfrachtet, er selbst richtet sich unten neu ein, entrümpelt. Später streicht er das Zimmer seines verstorbenen Zwillingsbruders, eine vormals unberührte Zone, und quartiert dort den jungen Hilfsarbeiter Henk ein. „Oben ist es still“ erzählt von der Selbstfindung – und der ganz fundamentalen Selbsterkennung, dem Selbstbewusstsein – eines Mannes, dessen Entwicklung sich nicht mit einem lauten Befreiungsschlag vollzieht, sondern sich in kleinen Handlungen und minimalen Verschiebungen des Gewohnten äußert: ein direkter Blick anstatt des üblichen Ausweichens, die Andeutung eines Lächeln, eine kaum merkliche Öffnung der Körpersprache; allein die Art und Weise, wie Helmer auf die Wünsche des Vaters reagiert, auch wenn er sie nur mit „Ja“ beantwortet, signalisiert einen leisen inneren Aufbruch. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Erfahrung von Begehren: Äußerst diffus gestaltet es sich gegenüber einem Milchfahrer, der seine Nähe sucht. Helmer kann ihn nur versteckt ansehen, hinter der Tür der Milchkammer, aber wenn er vor ihm steht, schreckt er zurück. Einen unverstellten Zugang lebt ihm Henk vor, der in seinem jugendlichen Begehren zwar richtungslos scheint und nicht minder verwirrt, aber gleichzeitig offensiv und direkt die Begegnung sucht. „Oben ist es still“ ist ein Film der fahlen Farben und gedeckten Töne; ganz langsam nur kommt ein wenig Licht in den Film – und Raum. Anstatt der präzise komponierten, festen Kameraeinstellungen, der Totalen und Weitwinkelaufnahmen aus dem Vorgängerfilm „Brownian Movement“ (fd 40 532), dem Blick auf Architekturen und Räume – und auf die Anordnung der Figuren in diesen – hat Nanouk Leopold den neuen Film gänzlich aus der Hand gedreht. Die Kamera ist immer sehr nah dran an den Figuren und Körpern, es gibt nie den freien Blick auf Räume – nur das Zeigen des Blicks nach Draußen, aus dem Fenster. „Was siehst Du?“ ist die wieder kehrende Frage des Vaters an seinen Sohn, der ihm buchstäblich „nichts“ anbietet. Wenn Helmer am Ende im Gras liegend in den Himmel blickt, gelöst und bei sich angekommen, hat er sich der Welt sichtbar geöffnet.
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