Komödie | Frankreich 2013 | 91 Minuten

Regie: Sébastien Betbeder

Ein etwas haltloser Mann Anfang 30 wird durch die Begegnung mit einer schönen Frau aus seinem Trott gerissen. Über zwei Herbste und drei Winter hinweg entwickelt sich eine Beziehung, bei der auch ein gleichaltriger Freund des Mannes regen Anteil nimmt. Die formal virtuos gestaltete Komödie knüpft in ihrem melancholischen Tonfall und in der spielerischen Durchbrechung der Kinoillusion an den Filmkosmos von Woody Allen an. Die Liebesgeschichte weitet sich dabei zu einem reizvollen Generationenporträt, das von einem exzellenten, sprachlich vorzüglichen Drehbuch und souveränen Darstellern getragen wird. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
2 AUTOMNES 3 HIVERS
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Envie de Tempête Prod./CNC/arte
Regie
Sébastien Betbeder
Buch
Sébastien Betbeder
Kamera
Sylvain Verdet
Musik
Bertrand Betsch
Schnitt
Julie Dupré
Darsteller
Vincent Macaigne (Arman) · Maud Wyler (Amélie) · Bastien Bouillon (Benjamin) · Audrey Bastien (Katia) · Thomas Blanchard (Jan)
Länge
91 Minuten
Kinostart
03.07.2014
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Komödie
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Diskussion
„Der Mann ist 33. Man sagt noch ‚junger Mann‘. Er lebt in Paris und ist Junggeselle. Was er tut, ist nebensächlich. Die berufliche Aktivität der Leute wird immer überbewertet. Das ist normal, es macht den Großteil ihres Lebens aus. Es ist normal, aber nicht interessant. Was Arman betrifft, ist es nicht interessant. Was ist dann am Leben eines jungen Manns namens Arman interessant?“ Mit diesem Monolog leitet Sébastien Betbeder sein Porträt einer Gruppe junger Erwachsener ein; in einer halbnahen Einstellung sieht man dazu einen Mann, der in einem Bett liegend in die Kamera (und damit zum Zuschauer) schaut; seine etwas zotteligen Haare sind bereits soweit ausgedünnt, dass es mit seiner Jugendlichkeit tatsächlich nicht mehr allzu weit her sein kann. Aufregend wirken weder der Mann noch die Situation; trotzdem gelingt es Betbeder und seinem wunderbaren Darsteller Vincent Macaigne, dass der Zuschauer auf die kritische Frage, was denn an diesem Arman interessant sei, alsbald eine Antwort findet. Die gedankliche Wendigkeit, mit der Arman und die anderen Figuren ihre Windmühlenflügelkämpfe mit Schicksalsschlägen, dem Älterwerden, der Liebe und dem Leben ausbreiten und dabei von banalsten Alltagsbeobachtungen bis zu den existenziellsten Fragen vorstoßen, sind dermaßen entwaffnend, dass man gar nicht anders kann, als sie ins Herz zu schließen. Das hängt auch mit der Erzählform zusammen: Betbeder entwirft keine in sich geschlossene fiktive Welt; vielmehr macht er die Kinoleinwand zu einem offenen Fenster im 4:3-Format, durch das sich die Charaktere direkt ans Publikum wenden, mal visuell, mal nur als Off-Stimme, um in vielen kleinen Kapiteln Einblicke in ihr Leben, Fühlen und Denken zu geben. Der Film umspannt einen Zeitraum von rund drei Jahren zwischen 2009 und 2012: Arman, der sich anlässlich seines 33. Geburtstags vorgenommen hat, sein Leben zu ändern, rennt beim Joggen im Park in die schöne Amélie. Zwar verliert er sie danach wieder aus den Augen, begegnet ihr aber unter dramatischen Umständen wieder. Er greift ein, als sie in einer dunklen Pariser Gasse von zwei Gangstern überfallen wird, und kassiert dafür nicht nur einen Messerstich in den Bauch inklusive schräger Nahtod-Vision, sondern auch Amélies Herz. Die Liaison, die sich an Armans Krankenbett anbahnt, droht allerdings zu scheitern, als Amélie eine Entscheidung trifft, die Arman zutiefst kränkt. Zum Glück steht ihm sein Freund Benjamin zur Seite, den er vom Kunststudium in Bordeaux kennt und der sich nach einem Schlaganfall in seine Logopädin verliebt. Die spielerische Durchbrechung der Kino-Illusion, mittels der Arman, Amélie und Benjamin die Zuschauer zu Vertrauten dieser Ereignisse und ihres Erlebens machen, hat etwas von epischem Theater; sie schlägt aber auch eine assoziative Brücke zwischen der „Nouvelle Vague“ und den aktuellen Videoblog- Selbstdarstellungen der Generation 2.0, was dadurch verstärkt wird, dass öfters zwischen körnigen 16mm-Bildern und HD gewechselt wird. Dieses stilistische Spiel mit kulturellen Assoziationsfeldern setzt sich auch auf der Inhaltsebene fort: Im Kern geht es um eine klassische „Boy Meets Girl“-Geschichte, doch die Inszenierung nimmt sich die Zeit, sich immer wieder auf höchst unterhaltsame Weise in allerlei Exkursen zu verzetteln, die von Alltagsdilemmata (warum landet man immer in der Schlange, in der es am längsten dauert?) über kleine Begegnungen mit anderen Figuren bis hin zu künstlerischen, musikalischen oder cineastischen Assoziationen reichen. So erweist Arman etwa dem Judd-Apatow-Film „Wie das Leben so spielt“ (fd 39 466) die Referenz, den er am Abend, bevor er Amélie vor dem Überfall rettet, im Kino sieht; später erinnert Benjamin an einer Stelle an den Alain-Tanner-Film „Der Salamander“ (fd 17 981). Aus all dem ergibt sich ein reizvolles Generationenporträt, das wie ein bilderhafter „stream of consciousness“ durch seinen schillernden Beziehungsreichtum mitreißt wie auch durch seine enorme sprachliche Schönheit. Das ist neben dem exzellenten Drehbuch nicht zuletzt den Schauspielern zu verdanken, die die Monologe kongenial mit Leben und Empfindung erfüllen. Der Tonfall und der von Melancholie mehr befeuerte als gebremste Humor erinnern dabei immer wieder an den Filmkosmos von Woody Allen. Eine prächtige kleine Etüde über Leben, Kunst und Lebenskunst.
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