Blue (1993)

- | Großbritannien 1993 | 79 Minuten

Regie: Derek Jarman

"Blue" ist die Abschiedsgeste des AIDS-kranken Filmemachers Derek Jarman, die geistige Auseinandersetzung mit seinem Tod. Während auf die Leinwand die Farbe Blau projiziert wird, werden im Off lyrische und prosaische, aggressive und pathetische Passagen aus Jarmans Tagebüchern gelesen. Nachhaltig zeigt der Film, dass sich die Existenz der Krankheit und des Todes nicht im Bild beweisen muß. Er ist das Dokument erfüllter Hoffnung, sich dem Tod nicht mehr entgegenstellen zu müssen. Blau wird zur Farbe der Harmonie, in der die Widersprüche des Lebens und die Leiden des Körpers aufgehoben sind. (Auch O.m.d.U.)
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Filmdaten

Originaltitel
BLUE
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Basilisk Communications/Uplink
Regie
Derek Jarman
Buch
Derek Jarman
Musik
Simon Fisher Turner
Länge
79 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Externe Links
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Heimkino

Als Bonus enthält die Edition den Jarman-Kurzfilm "Undefeated Love".

Verleih DVD
Salzgeber (1.66:1, Mono engl./dt.)
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Diskussion
Das Blau, das diesem Film seinen Namen und seine Farbe gibt, stammt von dem Maler Yves Klein, dem Jarman "Blue" gewidmet hat. Er hatte es sich seinerzeit patentieren lassen, jetzt wurde es in einem Spezialverfahren auf den Filmstreifen übertragen. Projiziert hat es allerdings mit dem Blau von Klein kaum noch etwas gemeinsam: es ist weder so dunkel noch so tief noch so monochrom. Mit der Gemäldeleinwand ist die Leinwand im Kino eben nicht zu vergleichen. Die Kinoleinwand hat Risse oder ist schmutzig, das Licht des Projektors wird reflektiert, beleuchtet sie selbst und den Saal. Das Blau wird uneben und verwaschen, weder Fläche noch Raum - in jedem Kino wird das anders sein. Auch wenn Jarmans Blau im Kino daher weder die sinnliche Kraft der Bilder Kleins besitzt noch die filmästhetische Radikalität, die ein Stück Schwarzfilm bei Marguerite Duras entfalten kann, so ist die blaue Leinwand dennoch eines sicher: eine Projektionsfläche, die die Sinneshierarchie im Kino verkehrt - die Bilder projizieren die Zuschauer selbst. Vielleicht wird das Bild, das man sich von Jarmans "Blue" machen kann, vollständiger, je mehr man über die Kulturgeschichte der Farbe Blau weiß, aber man muß nicht viel über sie wissen, um "Blue" zu verstehen. Der Text, die Stimmen aus dem Off, sprechen alles aus: "Blau ist die universale Liebe, in der der Mensch sich bewegt - sie ist das irdische Paradies." "Blau transzendiert die traurige Geographie menschlicher Begrenzungen." "Im Chaos der Bilder überreiche ich Ihnen das universale Blau. Blau, eine offene Türe zur Seele, eine grenzenlose Möglichkeit, die greifbar wird." "Für Blau gibt es weder Grenzen noch Lösungen." Blau, das ist die Farbe als Symbol für die spirituelle Hoffnung des inzwischen an AIDS gestorbenen Regisseurs Derek Jarman.

Daß man darum weiß, verändert den Blick auf seinen Film entscheidend. "Blue" ist kein experimenteller Film, über dessen Ästhetik man jenseits dessen, wovon er im Wortsinn spricht, mit Gewinn debattieren könnte. "Blue" ist das Dokument eines Sterbenden. Jarman läßt im Off seine Tagebücher verlesen, und die sind so, wie viele Tagebücher sind: lyrisch und prosaisch, aggressiv und pathetisch, eine erinnerte Geschichte, unerfüllte Sehnsüchte, Tage im Krankenhaus. "Blue" ist die Abschiedsgeste (viel mehr jedenfalls als ein "Vermächtnis" oder gar eine künstlerische Hinterlassenschaft) eines Malers und Filmemachers, der erblindet, und der mit seinem Blau auch ganz konkret die blauen Blitze meint, die er sieht, wenn man ihm in der Klinik in die Pupillen leuchtet, und den blauen Himmel und das Meer, die er nicht mehr richtig sehen kann. Daß die Tonspur seines Films, in der die Musik und die Geräusche die Sätze konkretisieren (man hört den Regen und das Meeresrauschen, von dem die Rede ist, und aggressivere Passagen werden gleich als Punkrock gesungen), auch als Hörstück gesendet werden kann (wie in Großbritannien geschehen, wo der Film zeitgleich im Fernsehen und im Radio ausgestrahlt wurde), bedeutet noch nicht, daß "Blue" "nur" ein besseres Hörspiel wäre. Dagegen steht dann doch die Kulturgeschichte der Farbe, die Jarmans Intention bezeugt, vom Ende der Bilder, vom Tod, gerade als Filmemacher mit Hoffnung zu sprechen.

AIDS hat eine Unzahl von Filmen (für die es inzwischen eigene Festivals gibt) entstehen lassen, von experimentellen Safer Sex Clips über Hollywood-Spielfilme, europäische Autorenfilme und zahlreiche Dokumentationen bis hin zu jenen Video-Homemovies, in denen die Kamera den Kranken und Sterbenden selbst zum therapeutischen Bestandteil ihres Sterbens wird. Jarmans Verweigerung der Bilder macht Sinn vor allem im Zusammenhang dieser AIDS-Filme, die glauben, die Existenz der Krankheit und des Todes im Bild beweisen zu müssen. Im Gegensatz zu den dokumentarischen Filmen, die den Verfall des Körpers zeigen, und den Spielfilmen, die aus dem Sterben ein tröstliches Ritual der Gemeinschaft machen, führt Jarman in "Blue" eine geistige Auseinandersetzung mit dem Tod und formuliert theologisch fundiert sein daraus folgendes ästhetisches Programm: "Diese Welt, die so daran gewöhnt ist, an das Bild zu glauben, das eine absolute Wertvorstellung geworden ist, hat das wesentliche Gebot vergessen: Du sollst dir kein Bildnis machen von Ihm, obwohl es, wie du weißt, deine Aufgabe ist, die leere Seite zu füllen. Bete aus der Tiefe deines Herzens, vom Bild frei werden zu können."

Im Rekurs auf das Zweite Gebot fallen in "Blue" mehrere Themenkreise der Filme Jarmans zusammen: zum einen setzt sich hier seine Auseinandersetzung mit dem Christentum fort, die er in mehreren seiner Filme führte, besonders in "The Garden" (1990), wo er eine Analogie zog zwischen der Verfolgung Christi und der Verfolgung der Homosexuellen, die für ihn wie Christus Märtyrer sind. Zum anderen zeigt sich hier Jarmans immer wieder betriebene Reflexion der "Passion" des Künstlers selbst, und schließlich und wesentlich bedeutet die avisierte "Freiheit vom Bild" in jeder Perspektive (der des Künstlers sowie der des Sterbenden) die mit "Blue" zugleich eingelöste Hoffnung, sich dem Tod nicht mehr entgegenstellen zu müssen. Da das fotografische Bild die Aufhebung der Zeit, der Vergänglichkeit und damit die (Ver-)Bannung des Todes bedeutet, bedeutet andererseits das Bilderverbot das Einverständnis mit dem Tod, und Blau ist die Farbe jener Harmonie, in der die Widersprüche des Lebens ebenso aufgehoben sind wie die Leiden des Körpers.
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