Die Morde des Herrn ABC (2019)

Krimi | Großbritannien 2019 | 172 (59,58,55) Minuten

Regie: Alex Gabassi

Adaption des 18. Kriminalromas von Agatha Christie als dreiteilige Miniserie. Im Zentrum der ebenso abgründigen wie blutrünstigen Neuinterpretation steht die Suche nach einem psychopathischen Killer, der nach dem ABC mordet und von Stardetektiv Hercule Poirot und Inspector Crome gejagt wird. Vor dem Hintergrund einer düster-misanthropischen Grundstimmung im Großbritannien der 1930er-Jahre und mit gelungenen Querverweisen auf politische Stimmungsbilder der Gegenwart überzeugt der Mehrteiler durch ein fintenreiches Drehbuch, überzeugende Umsetzungen der Charaktere und ein aufwendiges Set-Design. Außerdem gelingt eine erfrischende Neuinterpretation der legendären Detektiv-Figur. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
THE ABC MURDERS
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Mammoth Screen/Agatha Christie Productions
Regie
Alex Gabassi
Buch
Sarah Phelps
Kamera
Joel Devlin
Musik
Isobel Waller-Bridge
Schnitt
Simon Brasse · Robert Hall
Darsteller
John Malkovich (Hercule Poirot) · Rupert Grint (Inspector Crome) · Michael Shaeffer (Sergeant Yelland) · Kevin McNally (Inspector Japp) · Andrew Buchan (Franklin Clarke)
Länge
172 (59,58,55) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Krimi | Literaturverfilmung | Serie

Diskussion

Der Mord, die Lust, das Trauma und der Meisterdetektiv: Charakterdarsteller John Malkovich schlüpft in der drastischen Romanadaption „Agatha Christie – Die Morde des Herrn ABC“ in die Rolle des kultiviert-smarten Meisterdetektivs Hercule Poirot.

Großbritannien zu Beginn der 1930er-Jahre: Das einst strahlende Empire steckt in der Volksdepression. Misanthropische und xenophobe Plakate hängen auch außerhalb der Metropole London längst in den dreckiger werdenden Straßen und spiegeln deutlich den unheimlichen Zeitgeist dieser Krisenjahre wider:   Konservative wie Aristokraten schüren Ängste vor einer Überfremdung der Insel, und die einst stolze Arbeiterklasse hat die Hoffnung auf einen sozialrevolutionären Wandel längst aufgegeben.

Plötzlich erschüttert in Andover ein brutaler Meuchelmord an Miss Asher die sowieso schon aufgeheizte Großwetterlage: Ein mysteriöser „ABC-Mörder“, der scheinbar nach den Initialen des Alphabets vorgeht, soll dahinterstecken. Panikstimmung macht sich breit. Schnell richten sich die Augen auf die Ermittler von Scotland Yard, die noch im Dunkeln tappen, bis sie selbst wiederum Hilfe von Hercule Poirot (John Malkovich) bekommen, dem legendären belgischen Meisterdetektiv.

Ein blutiges Räuber-und-Gendarm-Spiel

„Ich kenne dich“ und „Es hat begonnen“ lauten die ersten kurzen Briefbotschaften, die der ominöse Mörder kurz darauf an Poirot schickt. Wer ist dieser „ABC-Mörder“? Und warum heftet er sich gerade an die Fersen Poirots? Offensichtlich haben sich beide Kontrahenten früher schon einmal in einer Face-to-Face-Situation gegenübergestanden: nur wann – und wo? Hercule Poirot erhofft sich zuerst Hilfe von seinem alten Scotland-Yard-Kameraden Inspector Japp (Kevin McNally), den er zu Beginn der Ermittlungen im Garten seines Landhauses besucht. Doch plötzlich fällt Japp tot um – und die harschen Kollegen um den schneidigen Inspector Crome (Rupert Grint) hadern mit dem unerwarteten Auftretens des „Ausländers“ Poirot, dem sie eine Mitschuld am Tod ihres geschätzten Vorgesetzten geben.

Poirot steckt somit schnell in einer Zwickmühle. Einerseits narrt ihn der „ABC“-Mörder tolldreist weiter, der gerade sein zweites Opfer Betty Barnard in Bexhill gefunden hat und ihm in immer kürzerer Zeit weitere enigmatische Kurzbotschaften zukommen lässt, was auch die Psyche Poirots zumindest nachts in dessen Träumen zunehmend angreift. Alle Briefe wurden seltsamerweise vom Mörder persönlich getippt und mit einem Poststempel aus jeweils einer anderen Stadt Großbritanniens versehen. Andererseits muss der von John Malkovich mit ausgesprochenem Understatement und zurückgenommener Gestik gespielte Meisterdetektiv erst einmal versuchen, das verlorene Vertrauen im protofaschistischen Polizeiapparat zurückzugewinnen. Denn ohne Polizeistaffeln, Spürhunde und Spezialisten aus der Forensik ist jener gleichfalls kaltblütige wie zynische Mörder scheinbar nicht zu fassen.

So nimmt das blutige Buchstabierspiel seinen Lauf. Das „C“ steht für den Aristokraten Sir Carmichael Clarke, und man kann sich vorstellen, wie verunsichert alle britischen Ortschaften mit dem Namen D sowie deren Bewohner mit demselben Buchstaben in ihrem Nachnamen danach sind...

Ein bösartiges Zeitbild der 1930er Jahre

Agatha Christies 18. Roman „Die Morde des Herrn ABC“ (im englischen Original: „The Alphabet Murders“) wurde bereits mehrfach für Film und Fernsehen adaptiert, aber noch nie so blutig-schaurig wie in der dreiteiligen Neufassung von Sarah Phelps (Drehbuch) und Alex Gabassi (Regie) als Mini-Serie für die britische BBC, die dort letztes Jahr zu Weihnachten ausgestrahlt wurde und nun auch in Deutschland beim RTL-Streaming-Portal TV NOW zu sehen ist. Hercule Poirot gleicht hier an keiner Stelle einem hintersinnig-spitzzüngigen Walter-Sedlmayr-Typus wie etwa in der TV-Serie „Agatha Christie’s Poirot“ mit David Suchet in der Hauptrolle (1989-2013) oder einem smart-leichtfüßigen Tony Randall in der unterhaltsamen Kinoversion von 1964.
Schon in den ersten halben Stunde ist visuell alles auf Drastik, Bosheit und Zynismus ausgelegt – ein rabenschwarzes Zeitbild der 1930er-Jahre, in dem sich unschwer Parallelen zum gesellschaftlichen Klima des gegenwärtigen Großbritannien ausmachen lassen. Die von Kameramann Joel Devlin vorzüglich expressionistisch kadrierten Räume, die filmhistorische Referenzwerke wie Fritz Langs „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ (1931) oder Carol Reeds „Der dritte Mann“ (1949) zeitweise offen zitieren, sind von Beginn an ein Blickfang mit reichlich morbidem Charme. Dasselbe gilt für das überaus aufwendige Kostümdesign (Lindsay Pugh) und den prallen Detailreichtum in puncto Requisiten und Interieur, wie man ihn zuletzt etwa in der Netflix-Krimiserienproduktion „Die Einkreisung“ bestaunen konnte. Nur wird im Falle von „Agatha Christie – Die Morde des Herrn ABC“ alles noch einmal eine Nuance düsterer in Szene gesetzt, was bereits in der ersten und besten Episode dieser Neuverfilmung einen enormen Sog auslöst und kleinere Defizite in der Figurenzeichnung (etwa bei Inspector Crome, den „Harry Potter“-Star Rupert Grint erst ab der zweiten Episode glaubhaft verkörpert) wettmacht.
In diesem faszinierenden Wechselspiel aus stoischer Ruhe (Poirot), jugendlicher Unverfrorenheit (Inspector Crome) und menschlichen Abgründen (Herr ABC) setzt Regisseur Alex Gabassi („The Frankenstein Chronicles“) gezielt auf optisch glänzend umgesetzte Giallo-Sequenzen und eine Reihe einprägsamer Nebenfiguren wie Shirley Henderson als betrunkene Vermieterin, die eine gehörige Portion Frivolität und Perversion in die zumindest literarisch „sauberen“ Agatha-Christie-Romanwelten bringen. Ebenso tritt an die Stelle des ikonisch makellos gekleideten Dandys Poirot mit dem markanten Schnurrbart ein von Alter und Weltabgewandtheit geplagter Meisterdetektiv, der sich sichtbar seinem Lebensabend nähert, weder blitzschnell kombiniert noch agiert und ab der zweiten Episode zunehmend von den Geistern seiner belgischen Vergangenheit und den Erinnerungen an den Furor des Ersten Weltkriegs heimgesucht wird.

Drehbuchautorin Phelps, die bereits mehrfach Agatha-Christie-Stoffe auf ungewöhnliche Weise adaptiert hatte, wollte mit diesem schaurigen Dreiteiler eine Serie voller „Heimtücke und Bösartigkeit“ schreiben. Mit „Agatha Christie – Die Morde des Herrn ABC“ ist ihr dies vorzüglich gelungen.

Kommentar verfassen

Kommentieren