Ab nach Tibet!

Komödie | Deutschland 1993 | 129 Minuten

Regie: Herbert Achternbusch

Hick, ein arbeitsloser Münchner Kaminkehrer, kann nach Abschaffung der Kirchensteuer, Unmengen von genossenem Bier, der symbolischen Trennung von seiner Frau, einer Nonne, und der Liebschaft mit seiner Tochter die Erde "von sich befreien" und in Tibet als Mönch wiedergeboren werden. Ein von neo-frommem Buddhismus beseelter Achternbusch-Film, der Kluges und Banales, Witziges und Törichtes mischt. In manchen Passagen gerät er durch die Verhöhnung christlicher Zeichen in die Nähe der Blasphemie, ist aber insgesamt weniger zynisch als frühere Achternbusch-Werke. (1. Teil: "Es tut nicht mehr weh"; 2. Teil: "Die letzte Illusion")
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Achternbusch Filmprod./Kuchenreuther
Regie
Herbert Achternbusch
Buch
Herbert Achternbusch
Kamera
Adam Olech
Schnitt
Micki Joanni
Darsteller
Herbert Achternbusch (Hick) · Judith Tobschall (Su) · Annamirl Bierbichler (Schwester) · Christian Lerch (Lui) · Franz Baumgartner (Polizist)
Länge
129 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Genre
Komödie | Melodram
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Diskussion
"Es tut nicht mehr weh" ist der erste und längere der beiden Teile der neuen "Hick"-iade des bayrischen Querdenkers überschrieben. Eine Verheißung für zögernde, eher zur Achtembusch-Abstinenz neigende Kinogänger? Oder ist "es" einfach das Leben, nachdem der Weg der Erleuchtung beschritten ist? Vielleicht ist "es" auch das Herbert/Hick schon lange arg bedrückende Entrichten der Kirchensteuer: diese, so erfährt man gleich zu Beginn, ist endlich aufgehoben und damit "die erste Voraussetzung auch nur für erste Anfänge eines anderen Menschen" geschaffen. Sonderlich erleichtert wirkt er allerdings nicht, der alte bekannte Hick, diesmal vorgestellt als in die Arbeitslosigkeit gestoßener Kaminkehrer, dem von dieser Tätigkeit offensichtlich nur sein stolzer schwarzer Haarschopf geblieben ist. Der Zustand der Schmerzlosigkeit scheint sich zunächst nur bei exzessivem Biergenuß einzustellen (Untertitel des l. Teils: "Ein Wirtschaftsfilm"). Leicht hat er es ja auch nicht, mit seiner neunmalklugen Tochter Su und ihrer mürrischen Mutter, ihres Zeichens Nonne und Ernährerin des illustren Trios. Angesichts des sich jetzt auch fiskalisch manifestierenden Niedergangs der Kirche würde die seit ihrer Rolle als "Oberin" in "Das Gespenst" (fd 29 362) die Ordenstracht gewohnte Annamirl Bierbichler zwar gerne ihre "Sklavenkutte" ausziehen, braucht sie aber noch für ihre Lehrerinnen-Stelle. Ihr Religionsunterricht ist allerdings schon längst zur Einweisung in fernöstliche Lehren mutiert. Ein "echter" Christus, der nochmals zu ihr herabsteigen könnte, ist nicht mehr in Sicht. Den verwaisten Platz an dem mannshohen Birkenkreuz im Klassenzimmer hat ein schwarzer Asylbewerber eingenommen - "besser als er würde abgeschoben". Für Hick und seine verehrte Su ist Tibet das Gelobte Land. Der Papa, auch am Biertisch immer am Kritzeln, hat die Wände seiner Wohnung mit Gestalten der buddhistischen Mythologie übersät und offensichtlich bereits die meisten Kellnerinnen im "Weißen Bräuhaus", einer der letzten Fluchtburgen des bayrischen Abendlandes, zum Reinkamationsglauben bekehrt. Polizei, Familie und eigene sentimentale Schwäche behindern dagegen seinen Versuch, von allem Irdischen loszulassen: es will ihm einfach nicht gelingen, die Wäsche seiner Frau in öffentlichen Papierkörben zu deponieren. Schließlich hilft die "höhere Gewalt", das zu Beginn via Insert verkündete Vorhaben zu erreichen: "Ich will die Erde befreien. Von wem? Von mir." Auf dem Viktualienmarkt, beim Denkmal des zuvor geehrten Karl Valentin, streift Hick der Blitz. Durch das Feuer geht er hinüber in ein anderes Leben, und Su, von der Mutter erstochen, wird ihm folgen.

Die Münchner U-Bahn-Schächte sind der Tunnel, der hinüberführt in eine andere Zeit und ein anderes Land, in den zweiten Teil: "Die letzte Illusion" (Nach dem "Wirtschafts-" nun ein "Autorenfilm"). Im Tibet des Jahres 1662 sind Hick und Su, jetzt sein Schatten, wieder vereint. Hick erging es wie einer der Fresken-Figuren seiner Wohnung: wie dem schwarzen Elefanten, der auf dem gewundenen Pfad der Erleuchtung weiß und weise wurde. Glücklich auf dem Dach der Welt meditiert man, häkelt sich, wer nun in wieder einer anderen Existenz der Mönch namens "Lachender Fluß" war, spielt Ball mit Totenköpfen, und auf alle Fragen Sus weiß Hick am Ende die eine, die bezwingende Antwort: "Fasane und Enten."

Wie immer bei Achtembusch hat es etwas Gewalttätiges, aus dem Kaleidoskop von Handlungsfäden, Fragmenten, Sketchen und Exkursen einen einigermaßen nachvollziehbaren Erzählstrang drehen zu wollen. Es ist der hoffnungslose Versuch, von einem Film eine Vorstellung geben zu wollen, der nichts lieber und konsequenter tut, als Vorstellungen und Wirklichkeitskonstrukte zu unterminieren und - unbeschadet einiger Leitthemen - mit einem gehörigen Maß an "wilderndem", assoziativem Denken gegen die Alleinherrschaft von kausaler Logik und instrumenteller Vernunft, gegen Systeme aller Art anrennt. Wie nicht anders zu erwarten, wird dabei auch wieder der christliche Glaube, vorab die katholische Kirche, besonders bedacht. Gemessen an früheren Ausfällen erscheinen aber die obligatorischen und wie immer reichlich abgeschmackten Attacken diesmal eher wie ein Nachbeben. Achternbusch interessiert sich inzwischen mehr für den Buddhismus. Bei aller Zuneigung kommt auch dieser - und vor allem das modische Liebäugeln mit ihm -nicht ganz ungeschoren davon. Der Witz ist in diesem Fall aber weniger zynisch, mehr ein selbstironisches Bremsmanöver gegenüber allzu geradliniger "Neo-Frömmigkeit".

Dem hart kontrastierenden Stil der beiden Teile des Films zufolge hat der Weg aus dem bayrischen Bräuhaus in die Höhenregionen Tibets jedenfalls eine reinigende Wirkung. Die Grundstimmung wechselt vom Deftigen ins Gelassen-Heitere. In ruhigem Fluß ziehen plötzlich farbengesättigte Landschafts- und Blumenbilder, die Meditationsbüchern entstiegen sein könnten, vorbei, durchschossen mit nunmehr poetischeren, traumspielartigen Hick-Szenen. Kündigt sich hier vielleicht etwas Neues an, so ist der erste Teil "klassischer" Achternbusch: eine despektierliche Groteske der bizarren Art - bisweilen enervierend auf der Stelle tretend, bisweilen ausgelassen und einfallsreich. Die Palette der Themen und Motive reicht von der Pflege von Lederhosen bis zu den "letzten Fragen", hat also wieder den Hang ins Universale. Auch stilistisch ist einiges geboten: Kasperl-und Bauemtheater, Surreal-Visionäres, Stunts und Experimentalfilm. Wie immer liefern sich Tief-, Hinter- und Blödsinn, Sprachwitz und Kalauer ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Die einzige Konstante in dem Treiben ist das Agieren der Darsteller: eisern laienhaft und hölzern.

Ein widerborstiges, so ganz und gar gegen den Strich des populären Kinos gebürstetes Stück. Für das Gros der Kinogänger ist wohl auch "Ab nach Tibet!" ein schwer- bis unverdaulicher Brocken. Aber ohne Filme wie diese wäre das Kino am Ende doch auch ein Stück ärmer.
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