Weltmeister

Jugendfilm | Deutschland 1993 | 71 Minuten

Regie: Zoran Solomun

Eine Kleinstadt im Brandenburgischen Anfang der 90er Jahre: Der 14jährige Sohn eines russischen Offiziers sucht den Kontakt zu einem etwa gleichaltrigen deutschen Mädchen, das wie er Akkordeon spielt. Obwohl sich die beiden sehr nah sein könnten, kann sich keine enge Freundschaft entwickeln, weil die letzten ex-sowjetischen Einheiten abgezogen werden. Ein leiser, sehr intensiver Film über den Verlust von Geborgenheit, der für die beiden Helden mit dem Abschied von der Kindheit zusammenfällt. Er zeichnet zwei Schicksale am Rande der Weltgeschichte, wobei er auf Polemik und oberflächliche Schuldzuweisung verzichtet und intensive Bilder findet, die nachhaltig in Erinnerung bleiben. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Jahn Film/ZDF
Regie
Zoran Solomun
Buch
Zoran Solomun · Christine Holicke
Kamera
Slawomir Idziak
Musik
Milimir Draskovic · Gerhard Scherer
Schnitt
Petar Markovic
Darsteller
Alexander Meier (Aleksej) · Grit Hornig (Sabine) · Valeri Ogorodnikow (Aleksejs Vater) · Tatjana Kuprijanowa (Aleksejs Mutter) · Mathis Schrader (Sabines Vater)
Länge
71 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Jugendfilm | Drama
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Diskussion
Als im Oktober 1994 die letzten Truppen der sowjetisch-russischen Streitkräfte mit einem Staatsakt verabschiedet wurden, ging der fast 50 Jahre währende Zustand einer parallelen gesellschaftlichen Wirklichkeit im Osten Deutschlands zu Ende. Denn die militärische Präsenz war zwar mit all ihren Auswirkungen in jedem Landstrich zwischen Rügen und Erzgebirge allgegenwärtig, vollzog sich aber gleichzeitig streng hermetisch. Zwischen der einheimischen Bevölkerung einerseits und den sowjetischen Soldaten und Offizieren sowie deren Familienangehörigen andererseits gab es keinerlei Austausch, Kontakte blieben weisungsgemäß peripher. Was hinter den Kasernenmauern geschah, gehörte einer anderen, unbekannten Wirklichkeit an. Auch nach dem Kalten Krieg blieb diese Isolation merkwürdigerweise bestehen; in fieberhafter diplomatischer Tätigkeit gelang es vielmehr, die ehemals siegreiche Armee eines Staates, der inzwischen nicht mehr existierte, schneller als eigentlich geplant aus dem Blickfeld der Deutschen zu schaffen. Daß dieser Exodus eine menschliche Dimension haben könnte, blieb von Politik und Medien weitgehend unbemerkt. Von Helga Reidemeisters "Rodina heißt Heimat" (fd 30 162) abgesehen, schien das Thema auch für Filmemacher wenig attraktiv. Es spricht für sich, daß nun ausgerechnet ein Regisseur aus dem zerbrochenen Jugoslawien, aus einer Region also, in der die Umwertung aller Werte besonders schmerzhaft zu verzeichnen ist, dem offenbar ungeliebten Gegenstand ein stimmiges Sujet abgewinnen konnte.

Alexej, der Sohn eines russischen Offiziers, dessen Einheit in einer brandenburgischen Kleinstadt stationiert ist, zieht ziellos durch die Gegend, auf seinem Rücken ein voluminöses Akkordeon. Zufällig stößt er auf Sabine, ein deutsches Mädchen in seinem Alter, das das gleiche Instrument spielt. Immer wieder sucht Alexej bei seinem heimlichen Ausflügen von der Kaserne nun Sabines Nähe, lernt flüchtig deren Familie kennen. Beide sind keine Kinder mehr und noch keine Erwachsenen, und obwohl sie sich eigentlich sehr nah sein könnten, findet ein tatsächlicher Kontakt nicht mehr statt. Als sein Vater in die Heimat zurückbeordert wird, reißt Alexej aus, verdingt sich in Berlin als S-Bahn-Musikant, wird bald aber aufgegriffen. Sabine, die hoffnungsvolle Akkordeon-Virtuosin, verweigert zur gleichen Zeit ihren Auftritt auf einem internationalen Wettbewerb.

Zoran Solomun (Jahrgang 1953) nimmt sich Zeit für die Beschreibung der Lebenssphären seiner beiden Helden. Soziale Parameter werden klar beschrieben, aber nicht polemisch ausgestellt. Im ex-sowjetischen Kasernenhof lösen sich Befehlsstrukturen fast unmerklich auf, aus dem gesellschaftlich allgemein anerkannten Offizier wird mehr und mehr ein Versager, der von Albträumen geplagt wird -die einstmals privilegierte Stellung kippt um in ihr Gegenteil. Sabines Vater ist arbeitslos, und projiziert die eigenen, gescheiterten Wertvorstellungen auf die Tochter, auf ihre vermeintliche Bestimmung als Akkordeon-Spielerin. Beide Familien eint Heimat- und Zukunftslosigkeit, so deutlich sie sich auch voneinander abzugrenzen versuchen. Der Titel "Weltmeister" bezieht sich auf ein Marken-Akkordeon aus der ehemaligen DDR, umschreibt aber gleichzeitig auch das Mißverhältnis von Anspruch und Realität, wie es für das hohle Pathos der DDR-offiziellen "deutsch-sowjetischen Freundschaft" bezeichnend war. Der Film demontiert diesen Mythos, indem er sich auf Einzelschicksale konzentriert und auf Schuldzuweisungen verzichtet. Dieser wohltuende, sich falscher Moral enthaltende Autorenstandpunkt geht einher mit einer angemessen unprätentiösen ästhetischen Konzeption. Maßgebliche Funktion kommt dabei der Kameraarbeit Slawomir Edziaks zu: seine monochromatischen Kompositionen strukturieren den Film wesentlich. Pastellfarben-rotbraun die Szenen im privaten, familiären Raum, die Sehnsucht nach Heimat symbolisierend; metallisch-blau hingegen die Aufnahmen des Kasernenlebens. Idziak, der bis hin zu "Drei Farben: Blau" fast sämtliche Arbeiten von Krzysztof Kieslowski fotografierte, beweist, daß auch auf 16mm eine eigenständige Bildgestaltung möglich ist. Solomun, erst seit 1990 in Deutschland lebend, hat mit "Weltmeister" einen leisen, aber sehr intensiven Film über den Verlust von Geborgenheit gedreht, der für die beiden jungen Helden mit dem Abschied von der Kindheit zusammenfällt.
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