The Witcher
Fantasy | USA/Polen 2019 | 474 (8 Folgen) Staffel 1 (8 Folgen) Staffel 2
Regie: Alik Sakharov
Filmdaten
- Originaltitel
- THE WITCHER
- Produktionsland
- USA/Polen
- Produktionsjahr
- 2019
- Produktionsfirma
- Netflix/Pioneer Stilking/Platige Image/Sean Daniel Company
- Regie
- Alik Sakharov · Charlotte Brändström · Alex Garcia Lopez · Marc Jobst · Stephen Surjik
- Buch
- Lauren Schmidt
- Kamera
- Jean-Philippe Gossart · Gavin Struthers
- Musik
- Sonya Belousova · Giona Ostinelli
- Schnitt
- Liana Del Giudice · Nick Arthurs · Jean-Daniel Fernandez-Qundez · Xavier Russell
- Darsteller
- Henry Cavill (Geralt von Riva) · Liam Hemsworth (Geralt von Riva) · Freya Allan (Ciri) · Anya Chalotra (Yennefer) · Anna Shaffer (Triss Merigold)
- Länge
- 474 (8 Folgen) Staffel 1 (8 Folgen) Staffel 2
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Fantasy | Literaturverfilmung | Serie
Eine Serienverfilmung von Andrzej Sapkowskis Fantasy-Zyklus um einen mit besonderen Kräften ausgestatteten Krieger, der Monster aller Art bekämpft und ins politische Ringen um die Zukunft eines fantastischen Kontinents verstrickt wird.
Staffel 1
Es ist brutal, es ist dreckig, und es ist lebensgefährlich – doch trotzdem gehört der Kampf gegen eine sogenannte Kikimora, ein spinnenartiges, im Sumpf hausendes Ungetüm, noch zu den leichteren Übungen von Geralt von Riva (Henry Cavill). Denn wenigstens hat Geralt angesichts des Biests, das ihn gleich in der ersten Sequenz der Serienverfilmung von Andrzej Sapkowskis Fantasy-Zyklus in die Mangel nimmt, keine moralischen Probleme damit, das zu tun, was sein Job als sogenannter „Hexer“ ist: die durch magische Elixiere gesteigerten Kampfkünste, über die seinesgleichen verfügt, zu nutzen, um Monster zu töten und damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Wenig später fangen dann die echten Schwierigkeiten an. Der Zauberer, dem Geralt den toten Körper der Kikimora verscherbeln will, versucht Geralt anzuheuern: Er soll ihm ein weiteres „Monster“ vom Hals schaffen, die auf Rache gegen ihn sinnende Brigantin Renfri. Geralt lehnt ab, sobald er die Hintergründe erfährt: Was zwischen dem Zauberer und der Frau schwelt, ist eine so unselige Geschichte aus Unrecht und Gegengewalt, dass Geralt es vorzieht, nicht zu entscheiden, wer hier das Ungeheuer ist und auf wessen Seite er sich stellt. Doch sich rauszuhalten ist, wie später noch oft in der Serie, letztlich auch unmöglich…
Showrunnerin Lauren Schmidt Hissrich umreißt für den Serienauftakt mittels einer markanten Episode aus Andrzej Sapkowskis Erzähluniversum sehr klar, mit was für einer Art von Held man es hier zu tun hat: Der „Witcher“ ist dank seiner besonderen Fähigkeiten zwar bestens dafür qualifiziert, die eiskalte Killermaschine zu sein, als die die meisten seiner Zeitgenossen die Hexer ansehen, hat aber „so viele Skrupel wie ein Fuchsfell Flöhe“ (wie es in der Buchvorlage einmal über ihn heißt) und hält sich mit schnellen Urteilen über die Daseinsberechtigung von Mitmenschen und -kreaturen lieber zurück – schon deswegen, weil er als „Mutant“ bestens weiß, wie es ist, selbst zur Zielscheibe von Vorurteilen und Hass zu werden.
Die pralle Sinnlichkeit und Detailliebe eines Brueghel-Gemäldes
Mit der in den 1990er-Jahren erschienenen, aus mehreren Erzählungsbänden und einer Roman-Pentalogie bestehenden „Hexer“- oder „Geralt“-Saga, der 2013 noch ein Einzelroman folgte, schuf der polnische Autor einen modernen Klassiker der Fantasyliteratur; 2002 wurde der Stoff zum ersten Mal (mehr schlecht als recht) verfilmt und hat sich seit dem Launch des „The Witcher“-Computerspiels, auf dessen Look die Serie sich teilweise bezieht, zum erfolgreichen Franchise ausgewachsen. Bekannt wurde Sapkowski zuvor durch seine „Narrenturm“-Trilogie, die im Schlesien des 15. Jahrhunderts spielt und in die Zeit der Hussitenkriege eintaucht; die mit Motiven aus Märchen und Sagen angereicherte Welt seiner „Hexer“-Saga trägt durchaus ähnliche Züge: Der an die Ära des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit erinnernde fiktive Kontinent, durch den der Hexer zieht, ist in zahlreiche kleine Königreiche gegliedert und von politischen, ethnischen und weltanschaulichen Spannungen zerrissen, die sich immer wieder in Pogromen, kriegerischen Auseinandersetzungen und um sich greifender Verrohung entladen.
Sapkowski schildert diese Welt mit dem sardonischen Humor des klassischen Schelmenromans, ohne dabei zynisch oder misanthropisch zu werden; das Panorama an Menschen und magischen Geschöpfen unterschiedlicher Nationen, Stände und Spezies, mit dem es sein Held zu tun bekommt, entfaltet sich mit der prallen Sinnlichkeit und Detailliebe eines Brueghel-Gemäldes, gewürzt mit einem fantastisch-makabren (und mitunter erotischen) Schuss Hieronymus Bosch.
Der Barde, die Zauberin und die Prinzessin
Lauren Schmidt Hissrich und ihr Team tun ihr Bestes, um diesem Tonfall gerecht zu werden. Dabei greift das Drehbuch in den ersten acht Folgen lose Episoden aus Sapkowskis Erzählungen auf, um die zentralen Protagonisten zu konturieren und schlaglichtartig ihre Vorgeschichte zu beleuchten. Dazu gehört neben Geralt sein bester Freund, der kapriziöse Troubadour Rittersporn (auch musikalisch als gelungene Mischung aus mittelalterlichem Barden und One-Man-Boygroup verkörpert von Joey Batey), der eine komödiantische Reibungsfläche für den grimmig-grüblerischen Helden abgibt. Eine wichtige Rolle spielt außerdem Geralts zukünftige große Liebe, die ehrgeizige, herrlich eigensinnige Zauberin Yennefer von Vengerberg (Anya Chalotra), die hier mit kompletter „origin story“ versehen wird – eine zentrale Frauenfigur in einer Saga, die mit einer ganzen Fülle an interessanten weiblichen Charakteren aufwartet, was fürs Fantasy-Genre der 1990er-Jahre noch bemerkenswert war und nun in der Adaption dafür sorgt, dass sich die Serie in Sachen „Gender Equality“ auf der Höhe der Zeit bewegt.
Diese Episoden werden, unbekümmert um die Chronologie, schon ab Folge 1 gemischt mit einem Handlungsstrang, der zum zentralen Plot der Roman-Pentalogie hinführt und als weitere Hauptfigur Ciri (Freya Allan) vorstellt, eine junge Prinzessin, die unerhörte Macht in sich trägt und darum ins Kreuzfeuer der politischen Interessen gerät – nicht zuletzt derjenigen des Kaisers von Nilfgaard. Dessen Truppen attackieren im Serienauftakt Ciris Heimatland Cintra und treiben das Mädchen zu einer gefahrvollen Flucht, die sie schließlich mit Geralt zusammenführen wird, mit dem sie ein schicksalhaftes Ersatzvater-Tochter-Band verbindet.
Mehr Dialog als epische Beschreibung
Trotz eines offensichtlich stattlichen Budgets stellt die Serie Schauwerte nicht offensiv aus, hält sich mit veritablen Massenszenen (wie etwa der Schlacht um Cintra) eher zurück und setzt fantastische Special-Effect-Kreaturen nur wohldosiert ein, um stattdessen mehr Sorgfalt und Zeit darauf zu verwenden, die zentralen Protagonisten mit einem vielgestaltigen, markant konturierten Ensemble an Nebenfiguren zu umgeben, das ein Gefühl vermittelt für den bunten sozialen Kosmos, den Sapkowskis Bücher eröffnen. Wie in der Vorlage ist die Stärke denn auch hier weniger die große epische Beschreibung à la Tolkien als vielmehr das Dialogische, die verbale oder auch handgreiflich eskalierende Konfrontation zwischen den Figuren – ein fantastisch-abenteuerliches Welttheater.
Staffel 2
Der Kontinent bebt! Zwar konnte der Vorstoß des Imperiums Nilfgaard nach Norden bei der Schlacht von Sodden erfolgreich gestoppt werden – wenn auch zu einem gewaltigen Preis an Menschenleben. Doch damit ist nur eine Schlacht, nicht aber ein Krieg gewonnen. Nilfgaards Ambitionen, beziehungsweise diejenigen seines Kaisers, der „weißen Flamme“, sind ungebrochen. Und die Könige und Königinnen, die Zauberer und Zauberinnen der nördlichen Reiche wissen, dass neue blutige Konflikte auf sie zukommen.
Klar ist, dass Cirilla, die verwaiste, entthronte Königstochter des Reiches Cintra, das in Staffel 1 der Serie „The Witcher“ von Nilfgaard erobert wurde, eine entscheidende Rolle dabei spielen wird. Doch wie wird diese Rolle aussehen? Darüber rätseln in Staffel 2 unterschiedlichste Parteien und versuchen, Ciri in ihre Gewalt zu bekommen. Ein gefährliches Erbe und eine unheilvolle Prophezeiung lasten auf ihr. Die junge Frau selbst hat vor allem ein Ziel: stark genug werden, um sich nie mehr schwach fühlen zu müssen, stark genug, um das Schicksal in die eigenen Hände nehmen zu können.
Eine junge Frau und ein gefährliches Erbe
Nachdem Staffel 1 der Serienverfilmung von Andrzej Sapkowskis meisterlicher Fantasy-Saga „Der Hexer“ in achronologisch angeordneten Folgen das politische Panorama von dessen fiktiver Welt skizzierte und die zentralen Figuren einführte, nimmt in Staffel 2 die Handlung deutlich an Fahrt auf und bleibt stringent auf einer Zeitlinie. Im Finale von Staffel 1 hatten die beiden Hauptfiguren, der Monsterjäger und Titelheld Geralt von Riva (Henry Cavill) und sein ihm schicksalhaft verbundenes „Überraschungskind“ Cirilla (Freya Allan), zusammengefunden; nun bringt Geralt das Mädchen zunächst in die Feste der Hexer-Gemeinschaft, Kaer Morhen, um sie vor den Schergen Nilfgaards und anderen Verfolgern in Sicherheit zu bringen.
Dort beginnt Ciri nicht nur, sich die Kampfkünste der Monsterjäger anzueignen, sondern im Zuge eines Besuchs der mit Gerald befreundeten Zauberin Triss Merigold (Anna Shaffer) kristallisiert sich auch heraus, welcher Natur die Kräfte sind, die in Ciri schlummern, und was das Mädchen so besonders macht.
Mehr Monster!
Wie in Staffel 1 zeigen Showrunnerin Lauren Schmidt Hissrich und ihr Autorenteam wieder Respekt vor Sapkowskis Vorlage; allerdings beschränken sich ihre Eingriffe in den Stoff diesmal nicht nur auf die Auswahl und Verdichtung, sondern sie nehmen einige Änderungen vor. Eine davon sorgt dafür, das Action-Level der Serie gegenüber der Buchvorlage zu steigern, obwohl es um eine Phase in dem Epos geht, die eher eine Art Ruhe vor dem Sturm darstellt. In die Handlung, die sich vornehmlich aus Sapkowskis Roman „Das Erbe der Elfen“ (1994) speist, wird ein Motiv aus dem 2013 nachgereichten Prequel-Roman „Zeit des Sturms“ implementiert: Mutierte Monster, die die Hexer vor Rätseln stellen, tauchen auf – was der Serie eine Steilvorlage dafür bietet, Geralt regelmäßig in Keilereien mit herrlich grässlichen Bestien zu verwickeln.
Das bringt die eigentliche Handlung nicht unbedingt weiter, liefert aber Schauwerte und wird von den Autoren recht geschickt so umgebogen, dass es stimmig ins Gefüge der Roman-Pentalogie passt und vor allem jene Fans des Franchises erfreuen dürfte, die über die actionlastigen Games zu dem Stoff gekommen sind.
Alter Hass sät neue Gewalt
Etwas holpriger fällt der Versuch aus, die Zauberin Yennefer (Anya Chalotra), Geliebte Geralts und totgeglaubte Heldin der Schacht von Sodden, in sämtlichen Folgen parallel zur Handlung um Ciri und Geralt als dritte Hauptfigur präsent zu halten: Ein mit diversen frei (und nicht immer überzeugend) erfundenen Passagen gespickter Erzählstrang, der sich um ihre Abenteuer nach Sodden dreht, lässt die Agenda dieser im Roman so zielstrebigen Frau und cleveren Strategin etwas konfus erscheinen.
Ohne Reiz ist aber auch diese Facette der Staffel nicht, nutzen die Autoren sie doch außerdem, um eine schwelende Krise, die in der Pentalogie eine wichtige Rolle spielt und bereits in Staffel 1 eingeführt wurde, zu vertiefen: Yennefer wird im Zug ihrer Abenteuer involviert ins Schicksal der Elfen, die als verachtete, misstrauisch beäugte Minderheit nun von den nördlichen Königreichen unter Generalverdacht gestellt werden, mit Nilfgaard gemeinsame Sache zu machen. Das mündet in brutale Verfolgungen - ein interner Konflikt, den Nilfgaard prompt nicht ungenutzt lässt und politisch clever anheizt, um den Norden zu destabilisieren.
Die Coming-of-Age-Story sorgt für emotionalen Drive
Insgesamt gelingt auch der zweiten Staffel eine respektable Adaption von Andrzej Sapkowskis Universum, was vor allem daran liegt, dass die Autoren neben dem Spektakel-Faktor nie aus dem Blick verlieren, dass ihre Charaktere und deren Entwicklungen und Beziehungen sowie der lebenspralle Kosmos an Nebenfiguren das eigentliche Faszinosum des Stoffs ausmachen. Vor allem die Coming-of-Age-Story Ciris liefert der Staffel emotionalen Drive. Und dass der wortkarg-grummelige Titelheld hier bis fast ans Staffelende ohne seinen besten Freund und komödiantischen Gegenpol Rittersporn auskommen muss, der erst in der zweiten Staffelhälfte und dann im Handlungsstrang um Yennefer in Erscheinung tritt, wird wettgemacht dadurch, dass Geralt in seiner Schicksalstochter eine mindestens ebenso widerständige Reibungsfläche findet.
Ob schlussendlich alle inhaltlichen Veränderungen, die die Serie vornimmt, ein stimmiges Ganzes ergeben werden, wird sich erst in den nächsten Staffeln zeigen. Dass eine zentrale Enthüllung über Ciri und Nilfgaard, die in der Romanpentalogie erst ganz am Ende steht, hier schon am Ende der zweiten Staffel "gespoilert" wird, deutet an, dass die Macher weiterhin einen eigenen Zugriff auf den Stoff zu liefern gedenken. Bleibt zu hoffen, dass Sapkowskis Weltentwurf und Weltsicht dabei erhalten bleiben und die Lust an der Monster-Action nicht doch schließlich noch über den humanen Kern triumphiert.
Staffel 3
Die Verfolger sind Geralt (Henry Cavill), Ciri (Freya Allan) und Yennefer (Anya Chalotra) ständig auf den Fersen. Manchmal haben die drei einige Wochen Zeit, um an einem weltablegenden Ort auszuruhen, doch früher oder später kommt immer der Moment, an dem sie jemand aufspürt und an dem es erneut zu kämpfen und zu fliehen gilt. Buchstäblich der ganze Kontinent scheint hinter Ciri, der entthronten Erbin von Cintra und Trägerin geheimnisvoller Macht, her zu sein – von den Schergen des Nilfgaarder Imperiums über die Agenten diverser nördlicher Königreiche bis zum mörderischen Feuermagier Rience, der im Auftrag eines unbekannten Meisters agiert.
Doch trotz der ständigen Gefahr, trotz der Strapazen der Flucht wird sich Ciri an einer späteren Stelle der dritten Staffel von „The Witcher“ an diese Zeit als eine glückliche erinnern – denn endlich sind nach allen Missverständnissen in der zweiten Staffel sie, ihr Ersatzvater Geralt und ihre Ersatzmutter Yennefer zu einer Familie vereint. Die Kraft dieses Bandes, die gegenseitige Loyalität und die Sehnsucht, wieder zueinander zu finden, wird für alle drei im Folgenden zur zentralen Motivation, wenn die kleine Gemeinschaft schon bald wieder auseinandergerissen wird.
Ein Konklave der Zauberinnen und Zauberer birgt Chancen, aber auch Risiken
Denn es ist klar, dass es nicht ewig so weitergehen kann. Ihre Flucht braucht ein Ziel, eine Perspektive. Yennefer ist es, die es setzt: Aretusa, die Akademie der Zauberinnen auf der Insel Thanedd, könnte für Ciri ein sicherer Zufluchtsort sein und der jungen Frau obendrein die bestmöglichen Voraussetzungen bieten, ihre eigenen magischen Kräfte beherrschen zu lernen. Zugleich hat Yennefer das ehrgeizige Ziel, nicht nur sich selbst mit den Zauberinnen und der Bruderschaft der Zauberer auszusöhnen, sondern allgemein dafür zu sorgen, dass die Magier des Nordens angesichts der Bedrohung durch Nilfgaard wieder mehr an einem Strang ziehen – so wie einst bei der Schlacht um Sodden. Entsprechend initiiert sie, auf Aretusa angekommen, ein Konklave.
Eine Zusammenkunft, mit der große Hoffnungen verbunden sind, die aber auch Gefahren birgt. Denn wer da welche und wessen Interessen vertritt, ist bei den Zauberinnen und Zauberern, die sich allesamt nicht schlecht aufs Handwerk des Täuschens und Taktierens verstehen, nicht so leicht auszumachen. Und Geralt findet bei einer abenteuerlichen Exkursion heraus, dass mindestens eine/einer der Versammelten mit Ciri ganz eigene, dunkle Absichten verfolgt…
Ein spiegelglattes Parkett politischer Interessen
Nach den erzählerischen Freiheiten, die sich die zweite Staffel genommen hat, kehrt der Hauptplot der dritten Staffel straffer zur Literaturvorlage, dem dritten Band von Andrzej Sapkowskis Hexer-Zyklus („Zeit der Verachtung“), zurück. Und der liefert mit dem vordergründig höfisch-höflichen, untergründig aber beständig brodelnden Zusammenkommen von in der Serie durchweg gut getroffenen Zauberer-Figuren wie der mächtigen Leiterin von Aretusa, Tissaia de Vries (MyAnna Buring), ihrem Partner Vilgefortz (Mahesh Jadu), dem sinistren Alt-Zauberer Stregobor (Lars Mikkelsen) und der mit dem Königreich Redanien und dessen Oberspion Dijkstra liierten Philippa Eilhart (Cassie Clare) einen hochspannenden Plot.
Dieser kulminiert schließlich in der sechsten Folge in einem markerschütternden Showdown, bei dem die Karten im Spiel um die Macht, die unlösbar mit dem Mädchen Ciri verbunden ist, neu gemischt werden. Wobei zu den Intrigen rund um die Zauberer (und in einem Nebenstrang am Hof des Königreichs Redanien) auch wieder einiges an schauträchtiger Action und die eine oder andere schön-schauerliche Monstrosität kommt, der sich Geralt schwertschwingend entgegenstellen kann.
Störende Drehbuch-Schnörkel
Allerdings weckt die dritte Staffel, gerade weil sie über weite Strecken gut funktioniert, auch berechtigte Zweifel daran, ob die Abweichungen vom Plot der Bücher, die sich die Drehbuchautor:innen rund um Showrunnerin Lauren Schmidt Hissrich bis hierhin geleistet haben, irgendeinen Sinn ergeben und nicht einfach nur überflüssige bis störende Schnörkel sind. Die Volten rund um Yennefer in der vorhergehenden Staffel verpuffen jedenfalls in Staffel 3 schnell konsequenzlos und haben lediglich bewirkt, dass die Figur konfuser wirkt als in der Vorlage. Ähnlich sinnfrei scheinen nun im Lauf der dritten Staffel die Freiheiten zu werden, die sich die Macher mit der Figur des Nilfgaarder Cahir (Eamon Farren) genommen haben: Der junge Scherge des Kaisers Emhyr, der zu den Jägern Ciris gehört und in den Romanen bis in den dritten Band hinein weitgehend im Hintergrund bleibt, ist in der Serie ab der ersten Staffel 1 wesentlich detaillierter gezeichnet und zur veritablen Schurkenfigur ausgebaut worden – nur um Cahir nun am Ende der dritten Staffel an genau dem Punkt ankommen zu lassen, an dem Andrzej Sapkowski ihn haben wollte, was für den Seriencharakter allerdings eine nicht sehr plausible 180-Grad-Wendung bedeutet.
Auch die wohl populärste Nebenfigur der Reihe, der Barde Rittersporn (Joey Batey), gerät in der Serie mehr und mehr inkonsequent. In der zweiten Staffel modelten die Drehbuchautoren den lebenslustigen Schöngeist, dessen Charme gerade darin besteht, ein hedonistisches Gegengewicht zum heroischen Geralt zu sein, zum selbstlosen Untergrundkämpfer und Elfenretter „The Sandpiper“ um; in der dritten Staffel wird diese Umdeutung nun flott unter den Teppich gekehrt und dem in den Büchern als fröhlich promiskuitiver Frauenverehrer gezeichneten Künstler stattdessen eine von Intrigen überschattete romantische Liaison mit einem redanischen Prinzen angedichtet. Was als bisexuelle Erweiterung von Rittersporns Liebhaber-Nimbus zwar grundsätzlich in Ordnung ist, allerdings als tragisch gefärbte Love-Story nicht genug Raum bekommt, um den Funken zum Publikum überspringen zu lassen. Ähnlich wie der Sandpiper-Handlungsstrang ist dies ein allzu halbherziger Versuch, die Figur in Passagen der Serie präsent zu halten, in denen sie in der Vorlage eher wenig zu tun hat. Rittersporns für die Buchreihe durchaus wichtige Rolle als Dichter – als verkörperte Hommage an die lebensbejahende, humane Kraft der Kunst auch in unmenschlichen Zeiten – bleibt dagegen ziemlich unterbelichtet.
Zu neuen Ufern
Dramaturgisch endet Staffel 3 offen, mitten in einer Phase der Neuorientierung: Schon mit Folge 6 ist ein staffelinterner Höhe- und Wendepunkt erreicht, nach dem die Charaktere in den beiden nächsten Folgen dann ihre Wunden lecken und sich neue Ziele setzen, während auf dem Kontinent der Krieg zwischen dem Nilfgaarder Imperium und den nördlichen Reichen wieder aufflackert. Für Geralt-Darsteller Henry Cavill markiert das Ende der Staffel sein Ausscheiden aus dem „Witcher“-Franchise – ausgerechnet an einer Stelle, an der in den Büchern der wohl mitreißendste Teil seiner Saga, die Abenteuerreise mit einer wachsenden Mannschaft ungleicher Gefährt:innen auf der Suche nach Ciri, seinen Anfang nimmt. Ob es den Machern irgendwie gelingen wird, die Umbesetzung der Titelfigur mit Liam Hemsworth inhaltlich zu rechtfertigen, wird sich zeigen – es wäre jedenfalls jammerschade um den schönen Romanstoff, wenn dieser Wechsel die Serie so viel Publikumsgunst kosten würde, dass das Adaptions-Projekt vorzeitig zu Grabe getragen werden muss.
Staffel 4
Geralt von Riva ist nicht mehr der, der er einmal war! Wo in den bisherigen Staffeln die klassisch-kantige Physiognomie von Henry Cavill dem Titelhelden ein Gesicht gegeben hatte, ist es nun die etwas weichere des Australiers Liam Hemsworth. Die Serienverfilmung nach Andrzej Sapkowskis Fantasy-Romanen musste nach Staffel 3 ihren Hauptdarsteller auswechseln, sei es, wie im Netz gemutmaßt, wegen „kreativer Differenzen“ zwischen Cavill und den Machern um Lauren Schmidt-Hissrich, sei es, wie es zuletzt hieß, weil der Darsteller sich lieber anderen Projekten widmen wollte. Für die Adaption, deren Zuschauerzahlen zuletzt ohnehin gesunken waren (allerdings noch auf solidem Erfolgsniveau blieben), ist dies jedenfalls ein Knackpunkt.
Die neue Staffel verdient trotz des Hauptdarsteller-Wechsels eine Chance
Zumindest aber die Leser:innen der Buchvorlage dürften der neuen Staffel eine Chance geben: Sie wissen, dass die Handlung des Fantasy-Zyklus an einem Punkt angekommen ist, an dem sie in Sapkowskis Epos in eine besonders aufregende Phase mündet. Und sie werden von der Serienadaption nicht enttäuscht: Wo sich Staffel 2 und 3 einige überflüssige bis kontraproduktive Schnörkel leisteten, gerät der Plot nun stimmiger, selbst da, wo er sich größere Freiheiten von der Vorlage erlaubt (was vor allem im Handlungsstrang um die Zauberin Yennefer der Fall ist).
Der Wechsel des Hauptdarstellers trübt das Vergnügen daran nach kurzer Gewöhnungsphase nicht wesentlich. Was einerseits daran liegt, dass Liam Hemsworth nicht nur die Physis mitbringt, um die Action-Ansprüche der Geralt-Rolle zu meistern, sondern die Figur, wie sie bisher aufgetreten ist, auch gut genug studiert hat, um flüssig dran anzuschließen. Und andererseits sind die Drehbuchautoren klug genug, mit der Veränderung offensiv umzugehen. In der vierten Staffel geht es unter anderem darum, dass Menschen wandelbar sind. Nachdem Geralt gegen Ende der dritten Staffel im Kampf mit dem intriganten Zauberer Vilgefortz (Mahesh Jadu) fast sein Leben lassen musste, nur dank der Heilkünste der Dryaden im Wald Brokilon aus Ruinen auferstand und obendrein von seiner Geliebten Yennefer (Anya Chalotra) und seiner Schicksals-Tochter Ciri (Freya Allan) getrennt wurde, ist er tatsächlich auch innerlich nicht mehr der, der er einmal war.
Rund um Geralt formt sich ein neues, dynamisches Team
Staffel 4 erzählt nun davon, wie er sich auf die Suche nach Ciri macht, die in die Hände des Nilfgaarder Imperators Emris gefallen sein soll, und dabei zugleich auf eine Sinnsuche geht, bei der er sich selbst neu finden muss. Wobei er zunächst in dem Einzelgänger-Modus vom Serienbeginn zurückzufallen droht, aber mit einer im Lauf der vierten Staffel wachsenden Schar an Figuren zusammengerät, die das partout nicht zulassen will und ihn allmählich zum Teamplayer erzieht.
Nicht zuletzt ist das Geralts alter Gefährte Jaskier alias Rittersporn (Joey Batey), der Geralt zusammen mit der Bogenschützin Milva (Meng’er Zang) schon seit dem Brokilon folgt und wild entschlossen ist, durch alle Gefahren an seiner Seite zu bleiben; rund um dieses Trio sammeln sich weitere Sonderlinge, die allmählich zur dynamischen Bande zusammenwachsen und „Fellowship of the Ring“-Flair verbreiten – wobei sich die Sapkowski-Fans nicht zuletzt über den Auftritt von Laurence Fishburne freuen dürften, der charismatisch eine Figur mit dem aristokratischen Namen Emiel Regis Rohellec Terzieff-Godefroy verkörpert, auf die Geralt und Co. auf einem alten Friedhof treffen und die wesentlich mehr ist als der harmlose Kräuterkundler, als die sie sich zunächst ausgibt.
Ciri droht in eine moralische Abwärtsspirale zu geraten
Ein weiterer Handlungsstrang kreist um Ciri, von der die Zuschauer im Gegensatz zu Geralt schon seit dem Ende der dritten Staffel wissen, dass sie keineswegs dem Nilfgaarder Kaiser in die Hände gefallen ist, sondern diesem durch Vilgefortz eine falsche Ersatz-Ciri zugespielt wurde, während es die echte bei der Schlacht um Aretusa durch ihre unkontrollierbaren Fähigkeiten und marodierende Portal-Magie an einen fernen Ort verschlagen hat. Dort macht sie neue Bekanntschaften und wächst nun in der vierten Staffel ähnlich wie Geralt mehr und mehr in eine Gruppe hinein: die „Ratten“, eine Gang jugendlicher Brigant:innen. Allerdings geschieht das unter umgekehrten Vorzeichen: Während Geralt durch seine neuen Gefährten geerdet wird, droht Ciri als Mitglied der Ratten mehr und mehr den inneren Halt und den moralischen Kompass zu verlieren und zu einer düsteren Version ihrer selbst zu werden – eine Abwärtsspirale, in die schließlich brutal jemand hineinzugrätschen droht, der noch düsterer ist, ein sadistischer Killer und Kopfgeldjäger namens Leo Bonhart (Sharlto Copley).
Yennefer wiederum, der der dritte große Handlungsstrang der neuen Staffel gilt, versucht nach dem Fiasko von Aretusa verzweifelt herauszubekommen, welche Pläne Vilgefortz für Ciri hat, sollte er sie in die Hände bekommen, und das präventiv zu vereiteln, indem sie die überlebenden Zauberinnen um sich sammelt und zum gemeinsamen Kampf gegen Vilgefortz motiviert. Auch für sie stehen Veränderungen an: Sie muss von der einstigen Außenseiterin zur Führungspersönlichkeit heranreifen, der die anderen Magierinnen vertrauen.
Im Chaos konkurrierender Machtinteressen
Rund um diese Entwicklungen ihrer zentralen Figuren, die den emotionalen Motor abgeben, weben die Macher dramaturgisch gut austariert die Fabel einer Welt, die im Chaos konkurrierender politischer Machtinteressen zu versinken droht und durch die Krieg, Verrohung und Fanatismus wie apokalyptische Reiter ziehen. In dieser Welt zu überleben, ohne die eigene Menschlichkeit zu verlieren, ist letztlich die zentrale Herausforderung aller Figuren. Äußere Konfrontationen mit Söldnern, Magiern und Monstern, in die die Held:innen hineingeraten, setzen immer wieder wirkungsvolle Spannungshöhepunkte, die sich vor allem in den letzten Folgen zu kinoreif inszenierten Schlachtenpanoramen steigern; aber dazwischen bleibt immer wieder der Atem für ruhigere, kontemplativere Momente.
So wird etwa in der fünften Folge ausgerechnet aus einem Punkt, an dem die Handlung eigentlich auf der Stelle tritt, ein besonderes Highlight: Die Mitglieder der Gruppe rund um Geralt beginnen während einer von schierer Erschöpfung erzwungenen Pause, sich gegenseitig ihre Geschichten zu erzählen. Diese entfalten sich in Rückblenden, wobei sich die Inszenierung formale Spielereien wie eine Musical-Episode (natürlich bei der Erzählung des Barden Rittersporn) und eine Animationssequenz (bei Regis’ Geschichte) gönnt. Eine Art Herzstück der neuen Staffel, in der statt der Macht der Waffen die Macht der Erzählungen gefeiert wird, die helfen, Verständnis zu wecken, wo vorher Fremdheit war, und die am Ende vielleicht noch die, von denen sie handeln, überdauern.