Der schwarze Diamant

Thriller | USA 2019 | 135 Minuten

Regie: Ben Safdie

Ein New Yorker Juwelier und Lebemann verpfändet für eine Sportwette einige Gegenstände, die ihm nicht gehören, darunter den Ring eines Sport-Stars, den dieser ihm wiederum als Pfand für einen schwarzen Juwelen anvertraute. Beim Versuch, seine windigen Geschäfte wieder ins Lot zu bringen, verstrickt sich der Juwelier nur immer tiefer in den Schlamassel. Das fesselnde, atemlose Porträt eines dem Nervenkitzel und dem schnellen Geld nachjagenden Mannes. Dessen Milieu und dessen freien Fall ins Chaos stellt der Film dank einer brillanten Kameraarbeit und einem zu Bestform auflaufenden Hauptdarsteller mit großer Intensität dar. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
UNCUT GEMS
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Elara/IAC/Scott Rudin Productions/Sikelia
Regie
Ben Safdie · Joshua Safdie
Buch
Ben Safdie · Joshua Safdie · Ronald Bronstein
Kamera
Darius Khondji
Musik
Daniel Lopatin
Schnitt
Ronald Bronstein · Ben Safdie
Darsteller
Adam Sandler (Howard Ratner) · Julia Fox (Julia) · Kevin Garnett (Kevin Garnett) · The Weeknd (The Weeknd) · Idina Menzel (Dinah)
Länge
135 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Thriller
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Der neue Film des Regie-Gespanns Ben & Joshua Safdie: Adam Sandler stürzt sich als New Yorker Juwelier durch seine Spielsucht und krumme Geschäfte bis über beide Ohren ins Chaos

Diskussion

Es heißt, man könne durch ihn das ganze Universum sehen. Seine milchig schwarze Grundfarbe verbirgt bei leichtem Schwenken im Licht Myriaden von Farben. Der Geist kann durch ihn wie in einem Kaleidoskop in andere Dimensionen entschwinden, was ihm eine fast mythische Kraft verleiht: der schwarze Opal (im deutschen Filmtitel zum Diamant umbenannt) ist ein ganz besonderer Stein. Gefunden werden schwarze Opale in besonders abgelegenen Teilen Äthiopiens. Die Männer dort setzen ihr Leben aufs Spiel, um sie der Tiefe der Erde zu entreißen. Aber sie sind es wert. Millionen sind sie wert. Zumindest für jene, die wie Howard Ratner (Adam Sandler) im Diamantenviertel rund um die 47. Straße in New York Geschäfte machen.

Das Entrée von „Der schwarze Diamant“ – im Original „Uncut Gems“ („ungeschliffene Kostbarkeiten“) – gehört zu den verwegensten der Filmgeschichte. Die Zuschauer werden durch das Funkeln des gerade in Äthiopien gefundenen Steins hineingesogen in eine wundersame Galaxie aus Farben und landen nach einigen abenteuerlich-verschlungenen Schwenks direkt im Dickdarm von Howard Ratner. Der hatte es endlich mal zur medizinischen Spiegelung in die Klinik geschafft. Er wollte Gewissheit, denn in seiner Familie gab es durchaus schon Fälle, in denen der Krebs im Darm das Ende bedeutete. Howards Darm ist eigentlich ganz gut in Schuss. Ähnlich wie der Rest seiner an einen umtriebigen Terrier erinnernden Konstitution. Zumindest seine Assistentin Julia ist ein ums andere Mal von ihrem Arbeitgeber angetan, wenn sich Howard zwischen all seinen mehr oder minder koscheren Deals und dem aufreibenden Alltag mit Frau Dinah und den halbwüchsigen Söhnen im Zweitappartement mit ihr trifft, um energetischen Sex zu haben.

Adam Sandler auf einem irrwitzigen Trip

Howard lebt am Abgrund – und er liebt es. Sein Handy ist pausenlos im Einsatz, auch wenn sich in seinem kleinen Showroom in der 47. Straße die Kunden drängeln, die sein Rastafari-Kumpel Demany gegen viel zu wenig Provision immer wieder in den Laden schleust. Howard braucht den umtriebigen Schwarzen, denn seine Klientel hat gerne mal Vorurteile über umtriebige Juden im Edelstein-Business; vor allem, wenn sie, wie Howard, Geschäfte machen mit Geld, das sie nicht haben. Oder noch nicht haben. Howard hat einen großen Fisch an der Angel. Besser gesagt, er liegt bereits stinkend im völligen Chaos seines viel zu kleinen Schreibtisches. Frisch aus Afrika ist die geeiste Kiste mit den Exoten gekommen, aus denen er den faustgroßen Stein herauspult, in dem sich das Millionen versprechende Opal-Feuer verbirgt. Im Showroom wartet indes Kevin Garnett, der Star der Boston Celtics, den Demany kurz vor der nächsten Trainingseinheit noch abgefangen hat.

Völlig fasziniert, ja geradezu magisch berührt, will er den schwarzen Opal. Zumindest für einen Abend, damit ihn die Kraft des Opals zu geradezu überirdischen Dunkings beflügeln könne. Was tut man nicht alles für den besten Kunden! Howard handelt allzu gerne aus seinem jetzt als völlig gesund diagnostizierten Bauch heraus. Und so verleiht er den Stein, wenige Tage vor der Auktion und bekommt als Pfand Garnetts Meisterschaftsring. Dann begeht er die größten Fehler seines Lebens: Eingedenk des Geldes, das er noch nicht hat, versetzt er den Ring, der ihm nicht gehört, um eine todsichere Wette auf Garnetts Dunkings beim Celtics-Spiel zu platzieren, die er nicht gewinnen kann. Denn Howard hat Gläubiger, die die Wette hinter seinem Rücken canceln, um mit dem Einsatz die Zinsen zu tilgen. Und er hat mit Garnett einen unzuverlässigen Kunden, der andere Dinge zu tun hat, als an die Rückgabe des Steins zu denken. Und er hat keine Zeit, all seine angeleierten Deals zwischen all den Sexeskapaden und dem Familienleben auf die Reihe zu bringen…

Josh und Bennie Safdie zelebrieren die Atemlosigkeit

Komplettes Chaos. So könnte man das bezeichnen, was hier passiert. Das Regie-Team Josh und Benny Safdie („Good Time“) stürzt seine Hauptfigur und mit ihr das Publikum mitten hinein und denkt gar nicht daran, auch nur eine Sekunde zum Atemschöpfen zu lassen. In ihrem sechsten abendfüllenden Film (und direkt nach „Good Time“ dem ersten wirklichen finanziellen Erfolg) perfektionieren die New Yorker Autorenfilmer weiter eines ihrer liebsten Steckenpferde: die Atemlosigkeit.

Es macht schon Sinn, dass sich die beiden Regiebrüder im Abspann von „Der schwarze Diamant“ vor allem bei den Erfindern des „Light Ranger 2“ bedanken. Dahinter verbirgt sich eine computergestützte Kameralinse, die es ermöglicht, auch bei vielen Schwenks und vielen Personen im Bild immer den Fokus scharf zu halten. Kein Wunder also, dass Darius Khondjis rasante Kamera immer ganz dicht am Geschehen ist. Vor allem immer ganz dicht an Adam Sandler, der sich als Howard Ratner um Kopf und Kragen dealt. Es ist diese Kamera, diese grobkörnige, realistische Nähe an den pausenlos durcheinanderquatschenden Personen, die einerseits enerviert, andererseits übermannt und die Zuschauer zu Komplizen macht.

Ein schillernder Antiheld

Hat man Mitleid mit dem asozialen Unsympathen Howard Ratner? Nein und ja. Es gibt wenigstens eine Szene, in der die Safdies wahre Emotionen zulassen. Eine Szene, in der Howard, einmal mehr am Boden zerstört, in die Arme von Julia sinkt und anfängt zu weinen. Sind es ein, zwei Minuten? Höchstens. Hier möchte man Howard auch in die Arme schließen – trotz aller Unsäglichkeiten, die er sich geleistet hat. Hier, spätestens, möchte man sich vor Adam Sandler verneigen, der es schafft, diesem Windbeutel so etwas wie Würde zu geben. Doch die Safdies kennen keine Gnade. Nicht mit Howard, nicht mit den Zuschauern. Und so bleibt am Ende nur der Blick in die Unendlichkeit des Universums, die der schwarze Opal schließlich freigibt. Der Rest ist Schweigen.

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