Historienfilm | USA 2020 | Minuten

Regie: Haifaa Al-Mansour

Eine Miniserie über die letzten Jahre des US-Abolitionisten John Brown (1800-1859), der im Kampf gegen die Sklaverei auch vor Waffengewalt nicht zurückschreckte. Aus der Perspektive eines schwarzen Jugendlichen werden die Ereignisse seziert, die zum US-amerikanischen Bürgerkrieg von 1861-1865 führten, wobei die Nachzeichnung der historischen Ereignisse zu einem Drahtseilakt zwischen Fakt und Fiktion, Gerechtigkeit und Rache, Humor und Horror wird. Im Spannungsfeld zwischen Mythos und Plattitüden entwirft die Serie den ebenso gottesfürchtigen wie gewalttätigen Prediger als eine sehr menschliche Figur mit humanistischen Idealen, die sich ständig an der Realität ihres eigenen Handelns und der Zeitumstände reiben. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE GOOD LORD BIRD
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Blumhouse Television/Under The Influence/Mark 924 Ent.
Regie
Haifaa Al-Mansour · Kevin Hooks · Albert Hughes · Darnell Martin · Kate Woods
Buch
Ethan Hawke · Mark Richard
Kamera
Peter Deming
Musik
Jamison Hollister
Schnitt
Christopher Nelson
Darsteller
Ethan Hawke (John Brown) · Joshua Caleb Johnson (Henry Shackleford) · Beau Knapp (Owen Brown) · Hubert Point-Du Jour (Bob) · Nick Eversman (John Brown Jr.)
Länge
Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Historienfilm | Literaturverfilmung | Serie

Satire und Sozialhorror: Ethan Hawke in einer Miniserie über die umstrittene Figur des Predigers John Brown, der im Kansas der 1850er-Jahre gegen die Sklaverei kämpfte.

Diskussion

Missverständnisse sind der eigentliche Motor dieser Romanverfilmung nach einem Bestseller von James McBride. Das beginnt schon damit, dass der Abolitionist John Brown (Ethan Hawke) den Teenager Henry Shackleford (Joshua Caleb Johnson) für ein Mädchen hält und von dieser Meinung auch nicht mehr abzubringen ist. „Henry“ sei zwar eine ungewöhnliche Abkürzung für „Henrietta“, aber sei’s drum. Dem Mädchen muss geholfen werden, nicht nur, weil es schwarz ist, sondern schon aus schlechtem Gewissen; schließlich hat Brown selbst die Schießerei mit einem Südstaatler angezettelt, in deren Verlauf Henrys Vater ums Leben gekommen ist. Viele der Entscheidungen, die Brown trifft, entstehen aus der selbstlosen Überzeugung heraus, etwas Gutes zu tun, doch sie enden regelmäßig im totalen Chaos.

Dieser humorvolle und bisweilen auch brutale Bruch zwischen Ideal und Wirklichkeit setzt den Ton, der sich durch die Miniserie „The Good Lord Bird“ zieht. Ethan Hawke und der Drehbuchautor Mark Richard haben den Roman als Serie konzipiert; James McBride fungierte als ausführender Produzent. Hawke spielt den alten John Brown, der sich im „Bleeding Kansas“ der Jahre 1855-1859 gegen die Einführung der Sklaverei engagierte. Sein 1859 gescheiterter Versuch, einen Sklavenaufstand anzuzetteln, gilt als einer der Auslöser des Sezessionskrieges zwischen den Nord- und Südstaaten von 1861 bis 1865. Der Roman gewann in den USA 2013 den National Book Award und ist in Deutschland unter dem Titel „Das verrückte Tagebuch des Henry Shackleford“ erschienen.

Eine Handvoll „Gunfighters of the Gospel“

Henry ist der Erzähler in diesem historischen Setting, ein unfreiwilliger Geschichten- und Geschichtsschreiber. Nach dem Tod seines Vaters folgt er Browns Abolitionistenarmee, den selbst ernannten „Gunfighters of the Gospel“, in den Kampf gegen die Sklaverei. Wobei auch der Ausdruck „Armee“ eigentlich ein billigend in Kauf genommenes Missverständnis ist – aus mehr als Browns Söhne und ein paar treue Freunde besteht dieser Rebellentrupp nicht. Allen Verbündeten, die ihnen auf ihrem Weg helfen, entgleisen die Gesichtszüge, wenn Henry sie kleinlaut aufklärt, dass es sich nur um zehn bis 15 Mann handelt. Denn Browns Ruf ist weit glamouröser als das dreckige Dutzend, das er seine Armee nennt.

Das liegt daran, dass der gottesfürchtige Abolitionist zwar viel über Predigten zu erreichen versucht, aber auch vor Gewalt nicht zurückschreckt, wie er schon bei der ersten unglücklichen Schießerei bewiesen hat. Die Geschichten von seinen Bluttaten haben sich herumgesprochen. Zudem zählt er die beiden prominentesten Abolitionisten zu seinen Verbündeten: den Schriftsteller Frederick Douglass und die Fluchthelferin Harriet Tubman, die beide aus der Sklaverei fliehen konnten und sich vehement für deren Abschaffung einsetzen.

Browns kläglicher Trupp macht sich also auf, um Geld und Kämpfer zu rekrutieren. Sie wollen gegen die Südstaaten in den Krieg ziehen; der Überfall auf das Waffenlager Harpers Ferry in West Virginia soll den Durchbruch bringen. Die Aktion wird zum dramaturgischen wie dramatischen Höhepunkt der Handlung. Auf Umwegen durch die Nordstaaten und über Kanada, wo viele geflohene Sklaven ein freies Leben führen, nähern sie sich ihrem Ziel.

Aus der Perspektive eines Teenagers

Dass sich das oft eher wie ein Wildwestabenteuer anfühlt und nicht wie ein dramatischer Kampf um Leben und Tod, liegt daran, dass Henry als Erzähler zwischen all den Predigten, Schießereien und Geheimaktionen ein ganz normaler Teenager ist und bisweilen staunend in die Welt blickt. Nur langsam geht ihm auf, mit wem er da eigentlich unterwegs ist.

Seine Naivität ist jedoch auch die Chance, einen unvoreingenommenen und zugleich respektlosen Blick auf diesen berühmt-berüchtigten Mann zu werfen. Da rollt die gesamte Abendbrotgesellschaft regelmäßig mit den Augen, wenn aus Browns Tischgebet ein endloser Sermon wird oder er blauäugig einem Kriegshelden, der ihm angeblich helfen will, sein gesamtes Geld als Vorschuss übergibt, es aber kaum glauben kann, als dieser sich damit aus dem Staub macht. Ein souveräner Held sieht anders aus als dieser von Zufall zu Zufall stolpernde Mann.

Nicht alles, was hier passiert, kann für bare Münze genommen werden darf. Es geht keineswegs um historische Genauigkeit, was in diesem Fall kein Manko, sondern eine Chance ist. „All of this is true. Most of it happened“, heißt es zu Beginn jeder Folge – alles, was hier passiert, sei wahr, das meiste habe auch stattgefunden. Genau diese winzige Differenz zwischen den beiden Größen Wahrheit und Faktengenauigkeit ist es, in der der feine Humor, die Missverständnisse und Übertreibungen liegen, die die Erzählung durchziehen. Henry umkreist mit ihnen den Mythos John Brown und versucht, damit einen Blick hinter die Schichten der Anekdoten, Gerüchte und blanken Fakten zu werfen. So entsteht ein mehrdimensionales Bild von einem Mann, über den viel Widersprüchliches behauptet worden ist: Für die einen ist er ein selbst- und rachsüchtiger Terrorist, für die anderen ein Nationalheld.

Zwischen Satire und Sozialhorror

Indem „The Good Lord Bird“ sich auf einen gänzlich unzuverlässigen, weil zunächst ahnungslosen Erzähler verlässt, kommt die Serie nicht in die Verlegenheit, sich auf eine Seite schlagen zu müssen. Weder Verklärung noch Überprüfung der historisch belegbaren Fakten sind hier das Ziel, vielmehr geht es um den Vorgang der Geschichtsschreibung an sich.

Die ulkigen Kapriolen und das Chaos verzerren das Bild keineswegs, sondern wirken wie die überraschend gewalttätige Ausbrüche als Kontrastverstärker auf der Suche nach authentischen Momenten. An Tiefpunkten mangelt es dabei nicht, denn Browns Bereitschaft, Blut zu vergießen, zieht auch schwere Verluste nach sich. Die Gewalt und das Grauen sind neben all den leichtfüßig und kurzweilig vorbeiziehenden Abenteuern immer echt und ungeschönt.

Dass dieses Spannungsfeld aus Humor und Gewalt nicht zur Farce verkommt, sondern sich geschickt zwischen Satire und Sozialhorror bewegt, liegt daran, dass Ethan Hawke diesem rauschebärtigen und kauzigen alten Mann in all seinen Fehltritten und Merkwürdigkeiten immer einen letzten Rest Würde lässt. Das ist ein tonaler Drahtseilakt zwischen progressivem Prediger und anarchistischem Antikapitalisten, mit dem Hawke John Brown zwischen all den Extremen und Plattitüden zu einer menschlichen Figur mit humanistischen Idealen macht. Er meint es tatsächlich gut mit jeder Person, die er im Verlauf der Handlung trifft, ist aber selbst nie davor gefeit, Fehler zu machen und sein Gegenüber zu enttäuschen oder hängen zu lassen. Browns Stärke ist es, all das auszuhalten, trotzdem weiter zu machen und auch im größten Schlamassel nie das größere Ziel aus den Augen zu verlieren.

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