Drama | USA 2020 | 91 Minuten

Regie: Alan Ball

Als der Patriarch einer konservativen Südstaaten-Familie im Jahr 1973 verstirbt, reist dessen ältester Sohn mit seiner 18-jährigen Nichte zurück in die Heimat. Die früh entdeckte Homosexualität des Mannes, der sich in New York in das Leben eines Bohemiens rettete, sorgte Zeit seines Lebens für Ablehnungsreaktionen von Seiten des Vaters und seelische Wunden beim Sohn. Der Film verknüpft die Coming-of-Age-Geschichte der Nichte mit der Trauma-Bewältigung des Onkels. Inszenatorisch ab und an holprig und dramaturgisch überfrachtet, lotet vor allem der Hauptdarsteller bravourös den Kampf seiner Figur zwischen Selbstbehauptung, Stigmatisierung und Resignation aus. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
UNCLE FRANK
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Parts and Labor/Your Face Goes Here Ent.
Regie
Alan Ball
Buch
Alan Ball
Kamera
Khalid Mohtaseb
Musik
Nathan Barr
Schnitt
Jonathan Alberts
Darsteller
Paul Bettany (Frank Bledsoe) · Sophia Lillis (Beth Bledsoe) · Peter MacDissi (Walid) · Judy Greer (Kitty Bledsoe) · Stephen Root (Daddy Mac)
Länge
91 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Road Movie
Externe Links
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Ein in den 1970er-Jahren spielendes Familiendrama um einen homosexuellen Mann, der sich zusammen mit seiner jungen Nichte anlässlich einer Beerdigung mit dem schmerzhaften Erbe von familiärer Ablehnung und Bigotterie auseinandersetzt.

Diskussion

In jeder Familie wird es dieses eine Mitglied geben, das so deutlich aus dem Rahmen fällt, dass es sich nur schwer wieder einfügen lässt. In der Südstaaten-Familie der 14-jährigen Betty Bledsoe (Sophia Lillis), in der sich die Männer im Jahr 1969 auch gerne mal durch Abwesenheit oder Rumbrüllen auszeichnen, ist Onkel Frank (Paul Bettany) ganz anders: Bedacht und belesen, eher Bohemien als Polterer, ist er bei seinen seltenen Besuchen an den Gedanken des Teenager-Mädchens ernsthaft interessiert. Frank ermutigt seine Nichte, so zu sein, wie sie möchte – nicht wie es andere von ihr erwarten –, und sich mit ihrem Einser-Notendurchschnitt um ein Stipendium an der New York University zu bewerben, wo Frank als renommierter Literaturprofessor arbeitet.

Vom Beginn im sommerlichen Gegenlicht der Veranda an ist Franks anziehende Aura spürbar in diesem Familiendrama von Alan Ball, der einst das „Oscar“-prämierte Drehbuch zu „American Beauty“ (1999) verfasste. Vier Jahre später zieht Betty zum Studium nach New York, lässt sich von allen nur noch Beth nennen und verbandelt sich mit ihrem sexuell zurückhaltenden Kommilitonen Bruce. Ziemlich unverblümt offenbart der allerdings sein „anderseitiges“ Interesse bei einem Überraschungsbesuch von Franks Party – nämlich sein Interesse am Gastgeber selbst. Frank ist der Mittelpunkt des Begehrens – vor allem auch für Walid, Franks „Mitbewohner“, der dem jungen Paar die Tür öffnet und gleich so begeistert ist, „Beth endlich kennenzulernen“.

Der Tod des Großvaters zwingt zur Auseinandersetzung

Wäre Beth nicht so berauscht von den Eindrücken dieser libertären Großstadt-Elite, des Alkohols und des Marihuana-Dunstes, wäre ihr die lang eingespielte Liebe zwischen Frank und Walid sicherlich schneller aufgefallen. Beth erholt sich gerade von dem Querschläger gegen anerzogene Glaubenssätze, die die irgendwann doch einsetzende Erkenntnis von Franks Homosexualität für sie bedeutet, da erreicht Frank ein Anruf von Zuhause: Franks Vater Mac, also Beths Großvater, der die Enkel immer so anbrüllte, wenn sie vorm Fernseher tobten, ist an einem Herzinfarkt verstorben. Frank will zur Beerdigung fahren, zögernd mit Beth im Schlepptau, aber auf keinen Fall mit Walid. Die heterosexuelle Schein-Integrität soll bewahrt werden.

Im Süden angekommen, zirpen beständig die Grillen, der Schweiß rinnt und macht die Hitze sichtbar, die genauso über der Gegend brütet wie die schon lange vor sich hin schwelenden Ressentiments der Bewohner. Hier trifft sich eine Familie, um den Tod eines Patriarchen zu betrauern, der allen Mitgliedern kräftig den Stempel seines Wertekanons aufdrückte. Nicht nur was die erwünschte Züchtigkeit der weiblichen Familienmitglieder anbelangt, sondern auch durch die strikte Verdammung der gleichgeschlechtlichen Liebe.

Ein menschenfeindlicher Wertekanon

Dass Mac dabei selbst Opfer einer konservativ-christlichen Erziehung wurde, scheint in seiner Schwester durch, die zumindest moralisch die Zügel der Familie fest in der Hand zu halten versucht. Langsam entfaltet sich eine Genealogie der Bigotterie, deren beklemmende Nachwirkungen Frank auch bei seinem jüngeren Bruder, Beths Vater, befürchtet. Stets eiferte dieser dem strengen Familienoberhaupt Mac in Strenge und Gebrüll nach – im Streben nach väterlicher Anerkennung, vor der auch Frank nicht gefeit ist.

Diese Reise nach Hause ist für Frank auch eine Reise in eine schmerzhafte Vergangenheit, voller Erinnerungen an seine erste Liebe und seinen schwersten Verlust. Nicht nur die Landschaft, sondern auch Franks Erinnerungen werden in die sonnendurchfluteten Aufnahmen von Kameramann Khalid Mohtaseb getaucht. So viel Sehnsucht nach „Normalität“ und Aussöhnung liegt in diesen Bildern, die eine ganz andere Geschichte erzählen. Leider ist Alan Ball trotz seiner Schreibtalente kein Meister der eleganten Einflechtung von Dialogszenen. Etwas zu lang und konstruiert fallen diese aus, während sich die Hintergrundgeschichte recht überhastet entwickelt.

Traumabewältigung und gesellschaftlicher Wandel

Abrupt wird so aus der Coming-of-Age-Story über eine kluge junge Frau, die sich Anfang der 1970er-Jahre selbst abseits der Norm fühlt, das Drama der Traumabewältigung eines Mannes, der unschuldig Schuld auf sich lud und diese nun mit Alkohol in Schach zu halten versucht. Dass „Uncle Frank“ dabei nicht unter seiner dramatischen Überfrachtung zusammenbricht, ist vor allem dem darstellerischen Können von Paul Bettany zu verdanken, der seine Figur als liebender Sohn und Partner zwischen Stigma, Aufbäumen und Resignation changieren lässt.

Frank wird dabei zur Gallionsfigur einer von teils schmerzhaften Kämpfen ausgefochtenen Zeit des Umbruchs, in der die Akzeptanz alternativer Lebensweisen den Gestus des Ausschlusses langsam zu verdrängen begann. Eine Entwicklung, die in vielen Teilen der Welt, aus denen zum Beispiel der emigrierte Saudi Walid (gespielt von Alan Balls Partner Peter Macdissi) stammt, noch lange nicht abgeschlossen ist. „Uncle Frank“ als Herzensprojekt von Ball nutzt das Sujet des „Zusammenzwangs“ eines Familientreffens, um von der Hoffnung auf ein offeneres Miteinander und vom Verzeihen zu erzählen. Und davon, dass man damit am besten bei sich selbst beginnt. Allein dafür muss man „Onkel Frank“ gernhaben – den Film wie auch seine Hauptfigur.

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