Rémi - sein größtes Abenteuer

Abenteuer | Frankreich/Belgien 2018 | 109 Minuten

Regie: Antoine Blossier

Mit zehn Jahren wird ein Findelkind im 19. Jahrhundert von seinem Pflegevater an einen fahrenden Gaukler verkauft. An der Seite des im Kern gutherzigen Mannes zieht der Junge durch Frankreich und erlebt allerlei dramatische Abenteuer mit Mensch und Tier, bevor sich das Geheimnis seiner Herkunft klärt. Neuerliche Verfilmung eines vielfach adaptierten Romanstoffes als altmodisch unterhaltsamer, abwechslungsreicher Kinderfilm mit guter Besetzung. Die Inszenierung neigt mitunter zum Kitsch, doch findet der Film nicht zuletzt in der Thematisierung zeitloser Fragen um Armut, Flucht und Verfolgung einen kindgerechten Zugang. - Ab 10.
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Filmdaten

Originaltitel
RÉMI SANS FAMILLE
Produktionsland
Frankreich/Belgien
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Jerico/TF1 Films Prod./Nexus Factory/Umedia
Regie
Antoine Blossier
Buch
Antoine Blossier
Kamera
Romain Lacourbas
Musik
Romaric Laurence
Schnitt
Stéphane Garnier
Darsteller
Daniel Auteuil (Vitalis) · Maleaume Paquin (Rémi) · Virginie Ledoyen (Frau Harper) · Jonathan Zaccaï (Jérôme Barberin) · Jacques Perrin (Rémi im Alter)
Länge
109 Minuten
Kinostart
04.11.2021
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 10.
Genre
Abenteuer | Drama | Familienfilm | Literaturverfilmung
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Studio Hamburg
Verleih Blu-ray
Studio Hamburg
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Jugendfilm nach einem französischen Romanklassiker um einen Jungen, der im 19. Jahrhundert an einen fahrenden Gaukler verkauft wird und bei der Wanderung durch Frankreich viele Abenteuer erlebt.

Diskussion

Die Nacht ist bedrohlich, es donnert und blitzt, Kinder rennen furchtsam durch ein Schloss, bis ein älterer Herr kommt und ihnen eine Geschichte zur Beruhigung erzählt. So entsteht ein bisschen Horrorfilm-Flair, der Zuschauer soll aufgeschreckt werden, damit er für die großen Gefühle bereit ist, die der Film „Rémi“ gleich in langer Rückblende romantisch ausbreiten wird.

Diese Romantik hat bereits hundert Jahre lang gut funktioniert: „Rémi“ ist eine Verfilmung des Romans „Sans Famille“, den Hector Malot 1878 schrieb. Seitdem lieferte das Buch Vorlagen für etliche Filme, die sich alle nicht weit vom Original entfernten. Der erste entstand 1914, produziert von den Brüdern Pathé, der zweite 1925. Danach wurde der Stoff in fast jedem Jahrzehnt wieder aufgegriffen, in Frankreich oder Italien mit großen Namen als Hauptdarstellern, in Japan als Anime, in den 1980er-Jahren als Fernsehserie. Veronica Ferres und Marianne Sägebrecht waren im Jahr 2000 dabei, die Liste ließe sich fortsetzen.

Ein reines Herz und eine gute Stimme

„Rémi“, die neueste Ausgabe, entstand in Frankreich schon 2018, der Film startet hier mit Verzögerung. Die beteiligten Namen sind wieder nicht schlecht – Daniel Auteuil, Ludivine Sagnier, Virginie Ledoyen, Jacques Perrin. Auteuil ist Signore Vitalis, ein Gaukler, der mit Hund und Äffchen über Land zieht, um auf den Dörfern eine Schau zu zeigen. Auteuil hat sich dafür einen Bart stehen lassen und sichtlich Spaß an der Rolle, vielleicht genau wegen der großen Gefühle, die, ganz altmodisch, niemals ironisch gebrochen werden müssen. Außerdem darf er im Lauf des Films eine Bandbreite an Facetten zur Schau stellen, die vom vermeintlichen Schurken bis zum heldenhaften Retter aus Lebensgefahr reicht, gekrönt von einem tragischen Tod. Im japanischen Kino gewinnt man Ruhm mit guten Sterbeszenen, den dürfte sich Auteuil mit seiner stillen Version hier gesichert haben.

Die Geschichte reiht etliche Abenteuer aneinander. Rémi ist ein Findelkind, das mit zehn Jahren vom bösen Pflegevater an einen fahrenden Musiker verkauft wird, drei Silbermünzen gibt es als Gegenwert. Der Musiker – Signore Vitalis natürlich – hat neben seinem Tierzirkus auch ein ganzes Orchester dabei, eine wilde Zusammensetzung von Instrumenten, so ineinander verschachtelt, dass er das Konstrukt wie einen Rucksack tragen kann. In einem früheren Leben war Vitalis tatsächlich Musiker, deshalb erkennt er, dass Rémi „ein reines Herz und eine gute Stimme“ hat. Damit lässt sich Geld machen, Gesang berührt die Landbevölkerung mehr als Hundedressur. Aber Vitalis ist kein böser Mann, sondern ein trauriger, es ist Hilfsbereitschaft, nicht Ausbeutung, die ihn antreibt.

Ohne Ziel und ohne Dach

Vitalis und Rémi sind ein glückliches Paar. Mit Pfauenfeder am Hut und Geheimnissen im Gepäck durchqueren sie das ländliche Frankreich des 19. Jahrhunderts. Davon soll man einen Eindruck bekommen, der zwar nicht sonderlich naturalistisch ausfällt, dafür aber elegant. Die Dramatik, die der Inhalt bietet, wird von Regisseur Antoine Blossier bildästhetisch aufgegriffen, da leuchtet die Natur bei Tag, bei Nacht glänzt das Gebiss der Wölfe. Durch pittoreske Dörfer und weite Felder wird gewandert, es gibt meist schöne, manchmal gefährliche Begegnungen mit den Ortsansässigen. Vielleicht ist das der Reiz, den dieser Stoff seit hundert Jahren ausübt: der Freiheitskitsch der beiden, die ohne Ziel und ohne Dach einen Sommer lang über Land ziehen.

Irgendwann kommen die Vergangenheit von Vitalis und die Herkunft von Rémi ins Spiel, damit wechselt der Plot vom Schlendrian zu allerlei Aufregung. Parallel hat Blossier das Anliegen, bewegende Momente zu zeigen, die mindestens die nähere Zukunft der Protagonisten bestimmen. Diese Übersteigerung ist manchmal schwierig, insbesondere, wenn es sich dabei um Musik handelt, bei „Rémi“ durchgehend ein tragendes Motiv. So etwa setzt nach 40 Minuten der Junge endlich seine „gottgegebene Stimme“ ein, die vorher häufig angesprochen wurde. Davor könnte man sich durchaus fürchten, aber mit aufwändigen Bildern von gerührten Landarbeitern und ein bisschen Hintergrundchor funktioniert das immerhin so weit, dass man dabeibleibt.

Fragen, die auf die Gegenwart verweisen

Es gäbe noch die Frage, ob der Film hauptsächlich nostalgische alte Menschen unterhält oder ob Kinder damit etwas anfangen können, denn für die ist er genauso gemacht. Die Kinder im Jahr 2021 werden danach wahrscheinlich ein paar Fragen über Armut, Flucht, Verfolgung haben, die leicht auf die Gegenwart umgelegt werden können. Denn wenn der Film eins vermittelt, mit seinem tragischen und seinem glücklichen Ende, dann etwas, was heute wie im 19. Jahrhundert gilt: Niemand hat sein Leben so weit unter Kontrolle, dass es nicht unerwartet erschüttert werden könnte.

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