Drama | USA 2022 | 305 (10 Folgen) Minuten

Regie: Chris Long

Ein jüdischer Psychoanalytiker gerät an einen abgründigen Patienten: Der junge Mann entführt den Seelenarzt und setzt ihn in seiner Wohnung in einem abgeschiedenen Haus gefangen, offenbart sich als Serienkiller, der von seinen mörderischen Trieben geheilt werden möchte, und zwingt den Mann, ihn zu therapieren. Dem Entführten bleibt nicht viel anderes übrig, als sich an der Aufgabe zu versuchen, ankämpfend gegen die eigenen Ängste und heimgesucht von Erinnerungen an seine Familie. Oszillierend zwischen Thriller und Drama, entfaltet die kammerspielartige Serie in zehn kompakten Episoden ebenso spannend wie berührend den Kampf des Arztes gegen die dunklen Impulse seines Patienten und ums eigene Überleben. Dank hervorragender Darsteller und einem vielschichtigen, dramaturgisch perfekt ausgewogenen Drehbuch gelingt ein außergewöhnlicher Beitrag zum Serienkiller-Genre. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE PATIENT
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
FX Prod./Scallie Filmworks/The Js
Regie
Chris Long · Kevin Bray · Gwyneth Horder-Payton
Buch
Joel Fields · Joseph Weisberg
Kamera
Dan Stoloff · Moira Morel
Musik
Nathan Barr · Justin Caine Burnett
Schnitt
Amanda Pollack · Kate Sanford · Daniel A. Valverde
Darsteller
Steve Carell (Alan Strauss) · Domhnall Gleeson (Sam Fortner) · Laura Niemi (Beth Strauss) · Andrew Leeds (Ezra Strauss) · Linda Emond (Candace Fortner)
Länge
305 (10 Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Mystery | Serie

Dramaserie um einen Psychotherapeuten, der an einen abgründigen Patienten gerät: Der junge Mann entpuppt sich als Serienkiller und setzt ihn gefangen, um sich in der Abgeschiedenheit von seinen mörderischen Impulsen heilen zu lassen.

Diskussion

In einer Folge von Joel Fields und Joe Weisbergs Serie spielen Sam (Domhnall Gleeson) und sein Psychoanalytiker Dr. Alan Strauss (Steve Carell) Tischtennis. Der Ball saust hin und her; es ist ein ziemlich ausgeglichenes Match. Und in seiner Harmlosigkeit eine fast schon höhnische Karikatur des potenziell tödlichen Psycho-Duells, in das Sam und Alan seit Folge 1 verstrickt sind. Auch wenn da primär Worte hin- und herfliegen, liegt doch die Möglichkeit einer gewaltsamen Eskalation ständig in der Luft. Manchmal hat Alan, dessen Perspektive die Serie teilt, blutige Fantasien, in denen er seinem Gegenüber die Scherbe eines Krugs in den Hals rammt. Meistens hat er Angst vor dem, was Sam ihm und anderen antun könnte. Mit gutem Grund: Der jüngere, gehemmt wirkende Mann ist ein Serienkiller.

Sam hat Alan entführt und in seiner Tiefparterre-Wohnung in einem einsam gelegenen Haus gefangen gesetzt, um eine Therapie, die er vor Wochen bei Alan begonnen hat und die fruchtlos verlaufen ist, endlich auf konstruktivere Füße zu stellen. Sam weiß, dass er seelisch krank ist, und er will geheilt werden. In Alans Praxis, wo der jüdische Psychoanalytiker jeden Moment die Polizei hätte rufen können, hatte er seine mörderischen Triebe tunlichst verschwiegen und nur von einer schweren Kindheit und einem prügelnden Vater erzählt. Jetzt, wo Alan wie ein Kettenhund mit dem Fuß an den Boden gefesselt in seiner Gewalt ist, traut er etwas mehr, sich zu öffnen.

Eine Serienkiller-Figur ohne dunklen Glamour

Alan bleibt nicht viel anderes übrig, als die von ihm geforderte Rolle als Therapeut weiterzuspielen und sich mit Sam, seinem verkorksten Gefühlshaushalt und seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Und heimlich seine Optionen zu überdenken: Kann er Sam irgendwie überreden, ihn freizulassen? Ihn überwältigen oder austricksen? Kann er ihm helfen, wozu ihn sein Berufsethos und wohl auch seine empathische Persönlichkeit zu reizen scheinen? Und was könnte das Fehlschlagen oder Gelingen der Therapie für Konsequenzen für ihn haben?

Mit dem dunklen Glamour, den Serienkiller-Geschichten in Filmen und Serien ihren mörderischen Helden allzu oft verleihen, hat „The Patient“ nichts am Hut. Was zum einen am völlig uneitlen Spiel von Domhnall Gleeson liegt, der seiner Figur zwar mühelos genug latente Bedrohlichkeit verleiht, um über die sechs pointierten, um die 30 Minuten knappen Episoden kontinuierlich die Spannung zu halten, aber primär ihre Erbärmlichkeit auslotet. Zum anderen liegt es an einem Drehbuch, dass die Gewalttaten des Killers nicht mit Gusto ausstellt: Es dauert bis zur Serienmitte, bis wir Sam das erste Mal handgreiflich werden sehen, und als es soweit ist, hat die besondere Perspektive der Serie längst dafür gesorgt, dass diese Tat nicht als Akt der Dominanz und Selbstermächtigung wahrgenommen wird, sondern als klägliches Scheitern und schmerzlicher Tiefschlag.

Väter und Söhne

Inszeniert ist das Ganze als reduziertes Kammerspiel: Ein Großteil der Serie fokussiert sich auf den Kellerraum, in dem Alan festsitzt, Sam behandelt oder auf dessen Rückkehr wartet, während Sam seinem Berufsalltag nachgeht. Als nicht unwichtige Nebenfigur kommt irgendwann noch Sams Mutter (Linda Emond) ins Spiel, die mit im Haus wohnt und sowohl über die mörderischen Umtriebe ihres Sprösslings als auch über die Entführung des Psychoanalytikers ins Bild gesetzt ist – und beidem gegenüber so passiv bleibt, wie sie wohl einst in Sams Kindheit dessen Misshandlungen durch den Vater duldete.

Erinnerungs-Einschübe geben zudem Einblicke in Alans eigene familiäre Vergangenheit: Die Arbeit mit Sam, der sich als Opfer seines Vaters sieht („he fucked me up“), provoziert Alan dazu, über seine eigene Beziehung zu seinem Sohn nachzudenken: Diese ist seit Längerem ebenfalls alles andere als harmonisch, was nicht zuletzt daran liegt, dass der liberale Akademiker Alan mit der Hinwendung seines Sohns zur orthodoxen Spielart des Judentums massive Probleme hatte und hat. Und so geht es nicht zuletzt in der zweiten Serienhälfte, in der Alan sich zunehmend bedroht fühlen muss und in seiner Gefangenschaft Assoziationen zu den Konzentrationslagern hochkommen, unter anderem auch um die Auseinandersetzung mit jüdischer Identität.

Steve Carell glänzt in einem dramatischen Part

Wie prägen uns unsere Herkunft und unsere Familie, und was machen wir aus diesem Erbe, auch aus inneren Verletzungen, wie souverän und bewusst können wir damit umgehen? Um diese Frage geht es in „The Patient“ auf mehreren Ebenen. Dank eines dergestalt facettenreichen Drehbuchs und der beiden hervorragend aufspielenden Hauptdarsteller gelingt der Serie ein packender Brückenschlag zwischen Thriller und berührendem Drama. Nicht zuletzt ist es ein großes Vergnügen, den primär als Komiker bekannten Steve Carell hier in einer dramatischen Rolle zu sehen, in der er ganz ohne die liebenswerten Spleens seiner Parade-Figur aus „The Office“ auskommt und zunächst das eher unscheinbare Gegenüber der vermeintlich abgründigeren, spannenderen Killer-Figur zu sein scheint, dann aber schnell die Serie zu dominieren beginnt. Auch wenn Dr. Alans Situation von Anfang an nahezu hoffnungslos zu sein scheint, kann man nicht umhin, bis zum Ende mit ihm mitzufiebern.

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