Dokumentarfilm | Deutschland 2022 | 89 Minuten

Regie: Jo Müller

Der Fotograf Andreas Reiner porträtiert Menschen, die eher am Rande der Gesellschaft stehen. Er selbst verlor in jungen Jahren seinen Vater, musste später den Suizid seiner Mutter verkraften, landete in der Psychiatrie und entdeckte erst mit Mitte 30 seine Liebe zur Fotografie. Der Dokumentarfilm folgt Reiner über einen Zeitraum von zwei Jahren, begleitet ihn zu verschiedenen Projekten und lässt ihn über seine gebrochene Biografie und seine Sicht der Dinge erzählen. Souverän verbindet der überwiegend in Schwarz-weiß gehaltene Film so die Arbeitsweise mit der Lebensgeschichte des Künstlers. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
TeamWerk
Regie
Jo Müller
Buch
Jo Müller
Kamera
Dirk Schwarz · Adrien Garcon · Marco Evangelista
Musik
Dirk Maassen
Schnitt
Monika Agler · Tim Löschmann
Länge
89 Minuten
Kinostart
26.01.2023
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm

Heimkino

Verleih DVD
Arsenal (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl.)
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Dokumentarfilm über den Fotografen Andreas Reiner und seine unkonventionellen Projekte, die eng mit seiner eigenen Biografie verbunden sind.

Diskussion

Einen „Star-Fotografen“ kann man Andreas Reiner kaum nennen. Weder interessiert es ihn, Prominente abzulichten, noch möchte er, dass man um ihn selbst viel Aufhebens macht. Dabei hat sich Reiner während der letzten zehn Jahre nicht nur innerhalb der Branche einen Namen gemacht. Renommierte Magazine drucken regelmäßig Reportagen und Porträts von Reiner, dessen Bilder eine eigene Handschrift und damit einen hohen Wiedererkennungswert besitzen.

Das liegt zum einen an der Ästhetik seiner meist in Schwarz-weiß gehaltenen Arbeiten, zum anderen an den Menschen, auf die er seine Kamera richtet. Vielfach sind es Kranke, Sterbende und Personen mit unterschiedlichen Handicaps. Menschen, die sonst so gut wie nie im Licht der Öffentlichkeit stehen. Es können aber auch Gastwirte aus Reiners oberschwäbischer Heimat sein, die wegen der Corona-Lockdowns um ihre Existenzen fürchten. Reiners Fotos beeindrucken dabei vor allem durch die Art, wie sie den Protagonisten eine besondere Würde verleihen.

Jahre am Rand der Gesellschaft

Vermutlich dürfte einiges an Überzeugungsarbeit nötig gewesen sein, bevor sich der zurückhaltende Fotograf bereiterklärte, sich über einen Zeitraum von zwei Jahren von dem Dokumentarfilmer Jo Müller begleiten zu lassen. Herausgekommen ist dabei ein überaus sehenswerter Film, der nicht nur anhand verschiedener Projekte die Arbeitsweise Reiners anschaulich macht, sondern auch die Genese von dessen sehr eigener Sicht auf das Leben dokumentiert.

Andreas Reiner, der sich nur „Andy“ nennt, stand selbst viele Jahre am sogenannten Rand der Gesellschaft. Früh verlor er seinen Vater, der als Geschäftsreisender kaum daheim war; die Mutter verfiel zunehmend in Depressionen und nahm sich nach mehreren gescheiterten Versuchen am 20. Geburtstag des Sohnes das Leben. Sie hinterließ ihm kein Wort des Abschieds oder irgendeine Erklärung. Reiner, der nach eigenem Bekunden stets unter der fehlenden Empathie seiner Eltern gelitten und sich als „Schattenkind“ empfunden hatte, musste sich anschließend selbst in psychiatrische Behandlung begeben. Es folgten Jahre der Arbeitslosigkeit, ein gescheiterter Versuch, sich eine Existenz als Zimmermann aufzubauen, und schließlich eine Lehre als Fotograf. Zu dem Zeitpunkt war Andreas Reiner bereits 37 Jahre alt.

Stationen dieser brüchigen Biografie kommen im Verlauf des Films immer wieder zur Sprache. Mal erzählt der bärtige Mann mit rasiertem Schädel in seinem kleinen Bauernhof in der Nähe von Biberach freimütig davon, mal begleitet ihn die Dokumentation an Orte seiner Vergangenheit. Dabei lässt der Porträtierte seinen Emotionen freien Lauf. Vor seinem Elternhaus kann (und will) er die Tränen nicht zurückhalten.

Oft genügt ein einziges Bild

Parallel dazu begleitet der Film den Fotografen bei mehreren Projekten. Etwa bei einer Serie über Verstorbene, die er im offenen Sarg abgelichtet werden. Oder zu Porträts von Müttern von „Sternenkindern“, also Frauen, die eine Fehlgeburt erlitten haben, ohne dass ihnen ihre Umgebung die erwünschte Anteilnahme zuteilwerden ließ. Reiner lässt die Frauen in einem schlichten Zimmer erzählen und drückt nur gelegentlich auf den Auslöser seiner Kamera. Bei anderen Projekten greift der Fotograf aber auch zu aufwändigen Inszenierungen, wobei ihm nach langen Vorbereitungen oft ein einziges Bild genügt.

Auch wenn den Andreas Reiner zumeist ein Hauch von Melancholie umweht, zeigt der Film aber auch dessen humorvolle Seite. So etwa, wenn er für einen Mofa-Kalender fotografiert (Reiner: „ein völlig sinnfreies Projekt“) und die Akteure dafür in Superman-Kostüme steckt. Hier kommt dann auch der sonst vornehmlich in Schwarz-weiß gedrehte Film in Bonbonfarben daher.

Jo Müller, der zuvor schon mit Filmen über die schwäbischen Filmschaffenden Carl Laemmle und Roland Emmerich von sich reden gemacht hat, gelingt mit „Schattenkind“ das bewegende Porträt eines Fotografen, in dem sich künstlerische Haltung und Biografie des Protagonisten souverän verbinden.

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