Experimentalfilm | USA 2022 | 65 Minuten

Regie: James Benning

In zwölf jeweils fünfminütigen Einstellungen entfaltet sich das Porträt des historischen Ortes Allensworth. Die heute museale Stadt wurde 1908 als erste von Afroamerikanern verwaltete Gemeinde Kaliforniens gegründet. Mit jedem Bild, das der Avantgardefilmemacher James Benning an das andere reiht, öffnet sich die Gegenwart der Aufnahme ein Stück mehr in den vergangenen Raum. Menschen und konkretes Leben sind in den Bildern abwesend, nicht aber die historische Bedeutung, von der die Stadt Zeugnis abgibt. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
ALLENSWORTH
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
James Benning
Regie
James Benning
Länge
65 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Experimentalfilm
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Ein Porträt der historischen, heute musealen Stadt Allensworth, die 1908 als erste von Afroamerikanern verwaltete Gemeinde Kaliforniens gegründet wurde, entfaltet in zwölf je fünfminütigen Einstellungen.

Diskussion

Im Monat „April“ wird der Gegenstand des Bildes, ein kleines, schlichtes Wohnhaus aus patiniertem Holz und Wellblech, erstmals als Teil einer gemeinschaftlichen Struktur erkennbar. In direkter Nachbarschaft sieht man andere Häuser stehen, auch sie wirken auf der abgetretenen Rasenfläche wie abgestellt, modellhaft und museal. Der Sound eines nahenden Güterzugs ist zu hören, ein Dröhnen und Tuten, das anschwillt und wieder verebbt. Weil das dazugehörige Objekt nicht zu sehen ist, wirkt das Geräusch wie nachträglich über das Bild gelegt. In „Allensworth“ gibt es immer wieder Momente, die etwas von einer Wiederaufführung haben oder vielleicht eher von einer Öffnung der Gegenwart in einen anderen zeitlichen Raum. Menschen, Gesellschaft und konkretes Leben sind in den Bildern abwesend, nicht aber die Zeit, die in den Ort eingelagert ist.

Jede Einstellung fügt ein weiteres Teil in das Porträt

Am Anfang des Films steht eine zeitliche Markierung: 1908. Mit jeder der zwölf Einstellungen, die mit einem Monat betitelt sind und jeweils fünf Minuten andauern – James Benning hat sie über den Zeitraum eines Jahres gedreht, von Januar bis Dezember – fügt sich ein weiteres Teil, eine Spur, ein Zeichen, zu dem Porträt eines historischen Ortes. Die Elemente sind unter anderem diese: typisch amerikanische Kleinstadt-Architekturen des frühen 20. Jahrhunderts, Nina Simones Song „Blackbird“, der das Bild einer Baptistischen Kirche begleitet, ein Fahnenmast, an dem unter dem Sternenbanner die „Bear Flag“ des Kalifornisches Staates im Wind flattert, der Blues-Song „In the Pines“ zu der Aufnahme einer Scheune, der etwas windschiefe Grabstein einer Anna Pierson, deren Lebensdaten – 1882 bis 1928 – die Historie, die Benning aufruft, ein wenig enger einfasst.

Am nächsten kommt „Allensworth“ einer Aufführung im Kapitel „August“. Ein afro-amerikanisches Mädchen, dessen Kleidung – weiße Bluse, der Rock halb weiß-monochrom, halb Karomuster – ein wenig aus der Zeit gefallen wirkt, steht vor einer Schultafel und liest Gedichte aus einem Buch vor.

Bennings Filme sind dokumentarisch-kontemplative Essays über amerikanische Geografien und Geschichte, deren Kontexte zumindest in der Nachsicht transparent werden. So auch in „Allensworth“. Der Abspann listet in chronologischer Reihenfolge die zwölf Bildobjekte auf, neben Wohnhäusern sind es öffentliche Gebäude wie ein Hotel, eine Schule, eine Bibliothek. Nachgereicht werden außerdem die verwendeten Zitate: die genannten Songs sowie Gedichte der 2010 verstorbenen afroamerikanischen Lyrikerin Lucille Clifton, bekannt für ihre kraftvollen epigrammatischen Verse.

Kaliforniens erste afro-amerikanisch verwaltete Gemeinde

Allensworth, so lässt sich nachlesen, war die erste von Afro-Amerikanern verwaltete Gemeinde Kaliforniens. Der Name geht auf den Geistlichen Colonel Allen Allensworth, einen der Gründungsväter, zurück. 1908 hatte er an der Santa-Fe-Eisenbahnlinie gelegenes Land erworben, auf dem bald eine Stadt heranwuchs, die unter anderem den ersten afroamerikanischen Schulbezirk Kaliforniens beherbergte. Nachdem die Eisenbahn ihren Haltepunkt verlegte – man sieht sie immer wieder im Bildhintergrund vorbeirattern, doch vor allem: man hört sie –, begann die Gemeinde zu schrumpfen. Seit Mitte der 1970er-Jahre ist der historische Teil der Stadt als Colonel Allensworth Historic Park für Besucher:innen zugänglich.

Die historische Bedeutung des Ortes und sein Erbe sind aber auch ohne Recherchearbeiten erfahrbar. Jedes Bild ist an einer Nahtstelle angelegt, an der sich die Gegenwart der Aufnahme mit einer darin weiterwirkenden Vergangenheit überlagert. Die Zeit, in der scheinbar nichts passiert, ist notwendig, um dieser Gleichzeitigkeit Raum zu geben.

Weit über eine ortsspezifische Erkundung hinaus

Dass „Allensworth“ weit über eine ortsspezifische Erkundung hinausgeht, deutet ein Schwarz-weiß-Foto von Elizabeth Eckford an, das am Ende des Films steht. Die spätere Aktivistin gehörte zu den „Little Rock Nine“, einer Gruppe afroamerikanischer Schüler:innen, die 1957 als erste den Unterricht der Central High School in Little Rock, Arkansas besuchten. Das Bild zeigt Eckford bei ihrem Gang zur Schule, sie trägt eine weiße Bluse und einen Rock, halb weiß-monochrom, halb Karomuster. In ihrem Rücken ein wütender weißer Mob.

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