Serie | USA 2023 | 352 (zehn Folgen) Minuten

Regie: Sonny Lee

Ein Konflikt um die Vorfahrt, ein zu lautes Hupen und ein anschließend in die Höhe gereckter Mittelfinger verwickeln eine erfolgreiche Unternehmerin und einen scheiternden Handwerker in eine verbissen und unnachgiebig geführte, immer absurder eskalierende Fehde. Dabei verbindet beide, dass sie trotz aller Unterschiede latenter Stress und Unzufriedenheit angesichts ihrer Lebenssituationen und die Angst vorm Scheitern plagt. Die gleichermaßen wild und gezielt durch zahllose Genres geführte Zankerei schafft es, packend mit verschiedenen Tonlagen zu jonglieren und dabei erstaunlich tief zu den einfachen, aber umso schwerer fassbaren Umständen des modernen, urbanen Lebens vorzudringen. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BEEF
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
A24/Universal Remote
Regie
Sonny Lee
Buch
Sonny Lee · Alice Ju · Carrie Kemper · Alex Russell
Kamera
Larkin Seiple
Musik
The Haxan Cloak
Schnitt
Nat Fuller · Jordan Kim · Harry Yoon · Laura Zempel
Darsteller
Ali Wong (Amy Lau) · Steven Yeun (Danny Cho) · David Choe (Isaac Cho) · Young Mazino (Paul Cho) · Joseph Lee (George)
Länge
352 (zehn Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Serie | Tragikomödie

Eine brillante Serie um den eskalierenden, sich an einer Nichtigkeit entzündenden Konflikt zwischen einer erfolgreichen Unternehmerin und einem scheiternden Handwerker.

Diskussion

Es ist einer dieser Tage, die das ganze Elend der eigenen Existenz in den banalsten Alltagssituationen zu bündeln scheinen. Für Danny (Steven Yeun) beginnt er an der Kasse des Baumarkts, wo er das kafkaeske Machtspiel, das sich um die Rückgabe eines gewöhnlichen Gasgrills dreht, ein weiteres Mal verliert. Direkt im Anschluss wird Danny seine Seelenverwandte treffen. Und weil es eben einer dieser Tage ist, trifft er sie nicht bei einer Verabredung, blickt ihr nicht in die Augen, sondern kriegt nur ihren durch die heruntergelassene Scheibe hinausgestreckten Mittelfinger zu sehen. Wenige Momente später ist der titelgebende „Beef“ (ein englischer Slangausdruck; „to have beef with somebody“ bedeutet so viel wie Knatsch mit jemandem haben, ein Hühnchen mit jemandem zu rupfen haben) bereits in eine Verfolgungsjagd eskaliert, bei der rote Ampeln überfahren, Blumenbeete überwalzt und diverse Frontalzusammenstöße nur knapp vermieden werden.

Im freien Fall aufs Scheitern zurasen

Es ist der Beginn einer unnachgiebig und brutal geführten Fehde zwischen der Big-Business-Botanikerin und Mutter Amy (Ali Wong) und dem Blue-Collar-Handwerksunternehmer Danny. Die als Stand-Up-Comedian bekannt gewordene Ali Wong nimmt als Amy eine ebenso gegen ihr Profil gebürstete Rolle an wie Steven Yeun als Danny. Yeun gibt den bei der Maloche fluchenden Melancholiker ebenso überzeugend wie Wong die cholerische Perfektionistin. Showrunner Lee Sung alias Sonny Lee gestaltet ihre Fehde jedoch deutlich weitläufiger denn als aberwitziges Aufeinanderprallen zweier explosiver Persönlichkeiten. Denn jenseits der zunächst anonymen und schließlich geradezu intimen Zankerei untersucht „Beef“ zwei Existenzen, die aus völlig unterschiedlichen Lebenslagen im freien Fall auf das Scheitern zurasen.

Danny ist neben seinem trotz kleiner, schmutziger Tricks und regelmäßigen Rebrandings langsam untergehenden Handwerksunternehmen auch mit dem Scheitern seiner Eltern konfrontiert: Das von ihnen geführte Motel ist pleitegegangen. An ihrer Erwartungshaltung ändert das nichts. Danny als ältester Sohn hat für sie zu sorgen. Sein jüngerer Bruder Paul (Young Mazino) interessiert sich wenig für den Beef seines Bruders und lässt sich nur widerwillig vom eigenen Videospiel zu den unlukrativen Mini-Jobs schleifen, die sein Bruder mit zunehmend unzufriedenen Kunden aushandelt. Wie schwer all das auf Danny lastet, zeigt die erste Folge in einem auf erbärmlichste wie komischste Art scheiternden Selbstmordversuch. Einige Folgen später ist die Albernheit verflogen, und Danny steht schluchzend inmitten der koreanisch-amerikanischen Kirchengemeinde, die ihm mehr Halt gibt, als er sich eingestehen möchte.

Aus der Höhe irrwitziger Rage zurück in die Realität

Am anderen Ende der Stadt lädt Amy ihren in Calls, Meetings, Deals und auf dem Baumarktparkplatz gesammelten Stress ab. Bevor sie ein weiteres Mal durchdrehen kann, fängt Ehegatte George (Joseph Lee) ihre Wut mit allzu einfühlsamen, allzu esoterischen und allzu bevormundenden wuttherapeutischen Atemübungen ein und ebnet damit den Weg für die nächste Entgleisung.

Schließlich ist es die Stimme der Tochter, die Amy und mit ihr die gesamte Serie aus den Höhen irrwitziger Rage in eine Realität zurückholt, in der sie für eine Familie und ein lukratives Botanik-Unternehmen verantwortlich ist. Das Handy, das im Hintergrund vibriert, während Amy mit Tochter June spielt, verrät bald, dass sie ihre Wut längst nicht hinter sich gelassen hat. Der Irrsinn, der in Form von Textnachrichten an einen von Amy angelegten Fake-Account ins Bild ploppt, rollt weiter.

Empathie ist harte Arbeit

„Beef“ hält besagten Irrsinn an der langen Leine. Die Fehde darf freilaufen, darf Geschlechts-, Familien- und Klassenverhältnisse ebenso durchdringen wie unterschiedlichste Genres und die dazugehörigen Tonlagen, um mit einem plötzlichen Ruck zurück in die Welt gezerrt zu werden, die Konsequenzen fordert für Beleidigungen, Online-Schmierkampagnen, vollgepinkelte Teppiche und entführte Familienmitglieder. Wenn „Beef“ einen unerwarteten Schritt von der Sitcom Richtung Horrorfilm macht oder von der Tragödie im Handumdrehen auf Buddy-Komödie gedreht wird, ist dieser immer durch realweltliche Konsequenzen abgesichert und ausreichend geerdet. Was nicht heißt, dass sich die in alle Richtungen dringende Wut nicht mitunter verheddert: als Satire des Kunstbetriebs und der absoluten Leere des Upper-Class-Lebensstils, der Amys Existenz umgibt, geht „Beef“ mitunter allzu aufdringlich auf Diskurs-Pointenfang.

Doch gerade die Momente, in denen der Ärger verfliegt und der klassenübergreifende Blödsinn, den das moderne, urbane Leben mit sich bringt, weggeschält ist, dringen erstaunlich tief zu den einfachen, aber genau deswegen schwer zu fassenden Gewissheiten des Erwachsenenlebens vor. Empathie ist harte Arbeit. Wer sie nicht macht, braucht nicht mehr als ein Hupen, um seiner Seelenverwandten auf den Teppich pinkeln zu wollen.

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