Dokumentarfilm | Deutschland 2023 | 95 Minuten

Regie: Maria Binder

Seit über 30 Jahren kämpft die kurdische Rechtsanwältin und politische Aktivistin Eren Keskin in der Türkei gegen Folter und von staatlichen Kräften ausgeübte sexualisierte Gewalt. Durch ihre Rolle als „Systemstörerin“ gilt sie in den Augen der Regierung schon lange als Staatsfeindin, die jederzeit mit ihrer Verhaftung rechnen muss. Das Langzeitporträt begleitet die unerschrockene Juristin mehrere Jahre bei der Arbeit und würdigt ihren mutigen Kampf. Der Blick auf die politischen Zusammenhänge gerät in dem ganz auf die Titelfigur konzentrierten Dokumentarfilm allerdings etwas zu kurz. - Ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Film Five
Regie
Maria Binder
Buch
Maria Binder
Kamera
Mayrem Yavuz · Ralf Klingelhöfer
Musik
Claudia Fierke
Schnitt
Angelika Levi
Länge
95 Minuten
Kinostart
05.10.2023
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm | Dokumentarisches Porträt
Externe Links
IMDb | TMDB

Dokumentarisches Porträt der türkischen Menschenrechtsanwältin Eren Keskin und ihres politischen Engagements.

Diskussion

„Das System fühlt sich gestört“: So beschreibt die kurdische Rechtsanwältin und politische Aktivistin Eren Keskin einmal ihre Funktion im türkischen Staat. Auf dem Schreibtisch der viel beschäftigten Menschenrechtsverteidigerin stapeln sich Aktenberge über Fälle von Repressionen, Folter und sexualisierter Gewalt, ausgeübt von staatlichen Sicherheitskräften. Seit über 30 Jahren kämpft Keskin in der Türkei für Pressefreiheit und die Rechte von Frauen, LGBTIQ+ und anderen unterdrückten Minderheiten. Durch ihre Rolle als „Systemstörerin“ gilt sie in den Augen der Regierung als Staatsfeindin; aktuell laufen mehr als 100 Verfahren gegen sie, unter anderem wegen Präsidentenbeleidigung und Beleidigung des Türkentums. Keskin, die Ausreiseverbot hat, muss jederzeit mit ihrer Verhaftung rechnen.

Eine Langzeit-Begleitung

Die Dokumentarfilmerin Maria Binder hat Eren Keskin vor zwanzig Jahren zum ersten Mal interviewt. Wie sie im Voiceover erzählt (es ist der einzige Moment, in dem sich die Filmemacherin als Figur und Mitbetroffene einbringt) war sie die Anwältin einer Freundin, die vom türkischen Staat ermordet wurde. Keskin versuchte den Fall vor Gericht zu bringen und erhob Anklage gegen den Staat.

In „Eren“ begleitet Binder die Verteidigerin über mehrere Jahre bei der Arbeit. Man sieht sie in ihrem Büro, unterwegs im Auto und auf Flughäfen, bei Demonstrationen, Gedenkveranstaltungen und politischen Zusammenkünften. Bei einem Treffen der Anwaltskammer, wo Keskin wenig aussichtsreich für den Vorsitz kandidiert, kritisiert sie die Institution; diese sei Teil der Rechtlosigkeit, erklärt sie öffentlich. Ob das folgende Gerangel zwischen kritischen und regierungstreuen Mitgliedern mit ihrer Rede in Zusammenhang steht, ist nicht ganz klar. Fest steht hingegen, dass die Führungskräfte der Kammer unter politischer Beobachtung stehen. 2015 wurde der kurdische Anwalt und Präsident der Anwaltskammer Tahir Elçi auf offener Straße ermordet.

„Eren“ ist das Porträt einer öffentlichen Figur, die weder zu Hause noch in der Wohnung der betagten Mutter „privat“ ist. Die Arbeit ist immer Thema; sie durchdringt das Leben und bestimmt den Alltag. Dass das Private politisch ist, musste Eren Keskin auch am eigenen Leib erfahren. Keskin war Opfer von Gewalt in der Ehe; doch weil ihr Mann politisch verfolgt wurde, schwieg sie. Heute betrachtet sie die Ehe zumindest in der türkischen Gesellschaft als ein Instrument der Unterdrückung. Seit der Trennung lebt sie allein.

Schon als Heranwachsende politisch aktiv

Eren sei schon als Kind „schrecklich klug“ gewesen, erinnert sich ihre Mutter. Früh kämpfte die politisch interessierte Jugendliche an vorderster Front. Wie lange und hartnäckig Eren Keskin aktiv ist, zeigen Archivaufnahmen und Presseartikel. So vertrat sie Ende der 1990er-Jahre als Anwältin den PKK-Chef Abdullah Öcalan. In Zeitungen wurde sie daraufhin als „Öcalans Hure“ beschimpft; sie bekam Morddrohungen und konnte das Haus mehrere Monate lang nicht verlassen.

Dass sie Kurdin ist, erfuhr Keskin erst im Alter von 13 Jahren, was eine verwirrende Erfahrung war, wie sie sich erinnert. Ihre Beziehung zur kurdischen Bewegung ist bei allem Engagement keineswegs unkritisch. So beklagt sie etwa die Abwesenheit armenischer Gäste auf einer Veranstaltung zum Genozid.

Vieles wird in „Eren“ nur angerissen; zwischen Büro und Wohnung geht es von Auftritt zu Auftritt; für die politischen Zusammenhänge bleibt kein Raum, ebenso wenig für die historischen Entwicklungen, die zum System Erdoğan führten. Die Perspektive des Films ist ganz auf Eren Keskin konzentriert; es gibt kaum ein Bild, in dem sie nicht im Fokus steht. Selbst in den Szenen, in denen Opfer von Gewalt die Anwältin in ihrem Büro aufsuchen und von ihren Erfahrungen berichten, ordnet sich alles der charismatischen Person von Keskin unter.

Kommentar verfassen

Kommentieren