Making Plans for Lena

Drama | Frankreich 2009 | 108 Minuten

Regie: Christophe Honoré

Eine junge Mutter lässt ihren untreuen Ehemann und ihre Arbeit zurück, um sich künftig mehr ihren beiden Kindern zu widmen. Doch ihre Eltern und Geschwister wollen diese Entscheidung nicht akzeptieren. Das filmische Porträt einer Familie im Dauerclinch sucht nach der Quelle des Unglücks, das sie allesamt im Griff hält. Ihre Thesen, Mythen und Träume werden dabei wie Folien übereinandergelegt, bis ein schillerndes Gesamtbild entsteht. Ein auf Ausgeglichenheit bedachtes, wenn auch oft diffus erzähltes Stimmungskino, das ohne klaren Fluchtpunkt von der Ziellosigkeit einer Generation erzählt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
NON MA FILLE, TU N'IRAS PAS DANSER
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Why Not Prod./France 3 Cinéma/Le Pacte/Canal+
Regie
Christophe Honoré
Buch
Christophe Honoré · Geneviéve Brisac
Kamera
Laurent Brunet
Musik
Alex Beaupain
Schnitt
Chantal Hymans
Darsteller
Chiara Mastroianni (Léna) · Marina Foïs (Frédérique) · Marie-Christine Barrault (Annie) · Jean-Marc Barr (Nigel) · Fred Ulysse (Michel)
Länge
108 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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Drama um eine alleinstehende Mutter mit zwei Kindern, deren Familie über ihr Lebensglück mitentscheiden will.

Diskussion

Es lag immer auch eine Drohung in Lew Tolstois berühmtem ersten Satz von „Anna Karenina“: „Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich, jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Weise.“ Es führen also viele Pfade in den Abgrund und nur einer, ein enger noch dazu, ins Licht. Wehe dem, der vom rechten Weg abkommt. Die Ehe des Schriftstellers mit seiner Frau Sofja Andrejewna Tolstaja zumindest war kompliziert; später geradezu eine regelrechte Hassliebe. Die Familie in Christophe Honorés über hundert Jahre später veröffentlichtem Film-Drama „Making Plans for Lena“ wirkt selten glücklich, aber auch so, als wären ihre ewigen Wortgefechte und Maßreglungen notwendige Zwischenstationen auf dem Weg zum Glück. Als wäre das Unglück ein Rohstoff, den es zu verarbeiten gilt.

Man hat andere Pläne

Es ist ein kratzbürstiger Film. Zwischen den Menschen liegt Gift in der Luft, manche Sätze spuckt man sich regelrecht vor die Füße. Es ist nicht unbedingt eine kämpferische Stimmung, die da herrscht. Man will nicht der Beste sein und die anderen übertrumpfen – nur eben nicht ganz unten stehen. Dort, wo man Mitleid erhält, die Familienliebe sich also am grausamsten zeigt. Aktuell steht dort Léna (Chiara Mastroianni). Sie hat vor kurzem ihren untreuen Ehemann Nigel (Jean-Marc Barr) und ihre Arbeit in einem Krankenhaus zurückgelassen. Stattdessen will sie sich auf ihre Kinder Anton und Augustine konzentrieren. Als sie das Landhaus ihrer Familie in der Bretagne besucht, merkt sie bald, dass diese Entscheidung nicht unbedingt von allen akzeptiert wird. Man hat andere Pläne für Léna.

Wobei ein großer Teil der Kritik wohl auch von einer gewissen Eifersucht herrührt. Sie war nicht die Einzige mit Ausstiegsträumen oder Fluchtfantasien. Ihre Schwester Frédérique (Marina Foïs) scheint wenig zufrieden mit ihrem ewig argwöhnischen Ehemann und raucht noch in der Schwangerschaft ohne Unterlass. Ihre Mutter sucht Liebe in Gewohnheit und Routine, ihr Vater ist krank und erstarrt in seiner Angst vor dem Tod. Und die neue Freundin ihres jüngeren Bruders Gulven (Julien Honoré) nimmt niemand so richtig für voll. Selbst er stört sich an ihrer Religiosität.

Der Film quillt schier über vor Menschen. Verlässt ein Familienmitglied das Bild, stürmt das nächste hinein. Kadrage bedeutet hier, dem Übermaß ein wenig Ordnung zu verleihen. Um adäquat das Leben im großen Verband darzustellen, wird jedem ausreichend Zeit gewidmet. Selbst wenn die Großeltern einen Kurztrip nach Rom unternehmen, begleitet die Kamera sie dorthin. Der Film nimmt alle Figuren ernst, er gibt ihnen Raum für Träume, Ängste und Zweifel. Sogar für Banalitäten, für kurze Verschnaufpausen und sehnsüchtige Blicke in die Ferne. Höchstens die Kinder existieren noch weitgehend in Abhängigkeit von ihren Eltern, ansonsten nähert sich Honoré dem egalitären Blick auf die Generationen eines Hirokazu Kore-eda an.

Die Quellen des Unglücks

Nun wird also diese Familienkonstellation erforscht. Die oft kurzen, schlaglichtartigen Szenen formen eine Suchbewegung nach der Quelle des allgemeinen Unglücks. Was hat uns bloß so ruiniert? Dabei stolpert der Film nie über große, melodramatisch verwertbare Erkenntnisse. Es verhärtet sich höchstens hier und da ein Verdacht. Die Gegenwart wird zum Echo prägender Kindheitserlebnisse. Wo sich zweifelnde Eheleute streiten, verkörpern sie auch ihre eigenen streitenden Eltern. Sie machen ihre Kinder auf eine Weise unglücklich, wie man sie selbst einst unglücklich gemacht hat.

Abstürze und Katastrophen begreift der Film jedoch nie als Endpunkte. Scheitern ist keine ontologische Kategorie, mit der man verschmilzt. Man scheitert also, aber ist nicht gescheitert. Die Stimmung köchelt auf mittlerer Hitze, selbst wenn Léna eine Treppe hinabstürzt oder Anton durch eine Scheibe fällt. Zugegeben, der Spott der Familie kann beißend sein. Als Léna unangekündigt ihren etwas jüngeren Liebhaber Simon (Louis Garrel) zum Essen mitbringt, reicht man ihm einen Pappteller mit Cartoon-Motiv. Pure Infantilisierung. Das bedeutet aber nicht, dass er und Lénas Vater in der nächsten Szene nicht angeregt über das Klempnern fachsimpeln können.

Die narrative Struktur wird aufgebrochen

Das erstmals im Jahr 2009 veröffentlichte Drama erschien am Beginn einer neuen Auseinandersetzung mit Mutterschaft und alternativen Lebensentwürfen. Die vieldiskutierte Studie „Regretting Motherhood“ der israelischen Soziologin Orna Donath wurde erst 2015 publiziert; Schlagwörter wie das von der „Generation Maybe“ kamen in dieser Zeit auf. Junge Menschen wollen sich nicht festlegen, sondern Potenziale und Möglichkeiten bewahren, hieß es. Léna und ihre Geschwister waren und sind Gegenwartsfiguren. An ihnen entzünden sich Fragen nach der Notwendigkeit eines klaren Pfads, soziologisch wie filmisch. Denn das diffuse Mäandern von „Making Plans for Lena“ fragt, wie zwingend Geschichten eine eindeutige Stoßrichtung und Charakterentwicklung benötigen. Kann man sich nicht auch einfach in diffusen Ereignisketten der Erfahrung des Lebens annähern?

Das Drama schreitet ohne Drehbuchratgeber im Ohr voran. Es verläuft sich dabei so sehr wie seine Figuren. Das kann und will anstrengend sein. Ganz postmodern hat jede Geschichte ihre Gegengeschichte. Was für Honoré bedeutet, dass er immer wieder die narrative Struktur aufbricht. So erzählt Anton ein altes Märchen, das kurzerhand mit neuen Schauspielern fast wortlos nachgespielt wird. Auch Schwarz-weiß-Fotografien aus der Familienhistorie füllen manchmal die Leinwand; eingangs durchbricht der Großvater die vierte Wand und fasst Lénas bisherige Erlebnisse für die Zuschauer kurz zusammen.

Weder Glück noch Unglück haben hier also eine einzelne Quelle. Das Leben wuchert wild, Dinge passieren ohne großen Plan. Thesen und Positionen werden abgewogen und verworfen; es geht nicht unbedingt um Wahrheit, sondern darum, miteinander auszukommen. Um Erzählungen, die das Beisammensein ermöglichen.

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