Drama | Großbritannien 2023 | 480 (acht Folgen) Minuten

Regie: Marco Kreuzpaintner

In der Longharvest Lane im Londoner Stadtteil Whitechapel wird eine Leichte entdeckt - und zwar taucht der identische Körper eines ermordeten Mannes sowohl 1890, 1941 als auch 2023 dort auf. Auf allen drei Zeitebenen beginnen Polizist:innen zu ermitteln und kommen langsam dahinter, dass hinter der Ermordung eine großangelegte, die Zeiten transzendierende Intrige steckt. Deren Netz reicht bis ins Jahr 2053, wo eine weitere Ermittlerin in die seltsamen Ereignisse involviert wird. Eine auf einer Graphic Novel beruhende Murder-Mystery-Serie mit Zeitreise-Twist, die sich im Spiel mit den unterschiedlichen Zeithintergründen weniger für politische Hintergründe als für Genre-Reize und das Emotional-Zwischenmenschliche interessiert. Dank einer eleganten Verquickung der Handlungsstränge und gut gezeichneten Figuren spannende Unterhaltung. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BODIES
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Moonage Pic.
Regie
Marco Kreuzpaintner · Haolu Wang
Buch
Paul Tomalin · Danusia Samal
Kamera
Paul Morris · Joel Devlin
Musik
Jon Opstad
Schnitt
Johannes Hubrich · Robbie Morrison · Matthew Tabern · Bobby Good
Darsteller
Jacob Fortune-Lloyd (Charlie Whiteman) · Shira Haas (Iris Maplewood) · Amaka Okafor (Shahara Hasan) · Kyle Soller (Alfred Hillinghead) · Stephen Graham (Julian Harker/Mannix)
Länge
480 (acht Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Mystery | Serie | Thriller
Externe Links
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In den Jahren 1890, 1941, 2023 und 2053 wird in London ein und dieselbe Leiche entdeckt. Eine Zeitreise-Krimiserie nach einer Graphic Novel.

Diskussion

In der Longharvest Lane im Londoner Stadtviertel Whitechapel, wo einst Jack the Ripper sein Unwesen trieb, wird 2023 eine nackte Leiche gefunden. Der schlanke weiße Mann wurde erschossen und gibt Detective Sergeant Shahara Hasan (Amaka Okafor) Rätsel auf. Noch mehr Rätsel aber stellen sich dem Publikum dieser Adaption einer Graphic Novel von Si Spencer. Denn im Gegensatz zur jungen muslimischen Ermittlerin erfährt man schon früh etwas, das noch viel seltsamer ist als der Umstand, dass der Tote zwar eine Schusswunde im Auge hat, aber weder eine Kugel im Gehirn noch eine Austrittswunde hinten am Schädel zu finden ist: Genau dieselbe Leiche mit derselben Wunde und demselben rätselhaften Zeichen am Handgelenk tauchte bereits im Jahr 1890 an exakt derselben Stelle in der Longharvest Lane auf. Ebenso im Jahr 1941. Ein Toter auf drei Zeitebenen also.

Murder Mystery mit Zeitreise-Twist

Das kann offensichtlich nicht mit rechten Dingen zugehen. Die britische Serienadaption der 2014 erschienenen Comic-Vorlage lässt sich indes Zeit, die Hintergründe der Anomalie preiszugeben. Zunächst entfalten sich parallel zueinander die Abenteuer von drei Ermittlern, die im viktorianischen Zeitalter, während des Zweiten Weltkriegs und in der Gegenwart damit betraut werden, den oder die Mörder aufzuspüren. Shahara Hasan und ihre Kollegen im Jahr 2023 haben von Anfang an einen Verdächtigen im Blick: einen jungen Mann, der am Tatort war. Hasan indes hegt Zweifel an dessen Schuld, weil er so verängstigt agierte. Außerdem gibt es noch einen zweiten Teenager, der mit dem Fall in Verbindung zu stehen scheint: Elias (Gabriel Howell), ein Freund des Hauptverdächtigen aus der Zeit, als die beiden im selben Waisenhaus aufwuchsen. Als Hasan nach ihm fahndet, spitzen sich die Ereignisse auf höchst verstörende Weise zu.

Im Jahr 1890 macht sich derweil ein Polizist namens Alfred Hillinghead (Kyle Soller) an die Nachforschungen. Dieser wird mithilfe des Pressefotografen Henry (George Parker) und dessen Tatortfoto auf einen älteren Mann aufmerksam, der sich in der Longharvest Lane kurz nach dem Mord in einer Nische im Mauerwerk zu verbergen scheint. Als Hillinghead dieser Spur nachgeht, stößt er auf Sir Julian Harker (Stephen Graham), der mit Börsengeschäften reich geworden ist und gerade eine Bank im Zentrum Londons erwerben will. Einen so einflussreichen Mann zum Gegenstand einer polizeilichen Untersuchung zu machen, könnte allerdings problematisch werden. Erschwerend kommt hinzu, dass Hillinghead selbst ein Geheimnis hütet, das ihn angreifbar macht: Der Familienvater ist homosexuell, was er bisher erfolgreich verdrängt hat, aber immer weniger verdrängen kann, je mehr Zeit er bei seinen Ermittlungen mit Henry verbringt. Sollte seine Neigung bekannt werden, steht seine ganze soziale Existenz auf dem Spiel.

Auch der Ermittler Charlie Whiteman (Jacob Fortune Llyod), der im Jahr 1941 mit der Untersuchung des nackten Leichnams betraut wird, hütet ein Geheimnis. Und das ist noch düsterer. Der junge Jude, der eigentlich Weissmann heißt und immer wieder den latenten Antisemitismus seiner Kollegen zu spüren bekommt, fühlt wenig Loyalität zur Truppe; während er von Amts wegen den Mord aufklären soll, hat ihn eine anonyme Frau am Telefon, von der er sich seit einiger Zeit schmieren lässt, beauftragt, die Leiche verschwinden zu lassen und den Fall unter den Teppich zu kehren.

Dabei kommt es für den „dirty cop“ allerdings zu Komplikationen. Die Vertuschungsaktion scheitert, und zu der einen Leiche kommen andere hinzu. Whiteman, der jüdische Außenseiter, sieht sich bald in einem fatalen Netz gefangen, in dem ihm sowohl seine Kollegen als auch seine dubiose Auftraggeberin ans Leder wollen – und das alles, während in London infolge der Bombardierung durch die Nazis die Nerven blank liegen.

Die Zukunft enthüllt die Intrigen der Vergangenheit

Vor den Augen der Zuschauer:innen breitet sich so ein von starken Charakteren getragenes, hoch spannendes Rätsel-Mosaik aus. Doch erst als zu den drei Zeitebenen noch ein vierter, in der Zukunft spielender Handlungsstrang hinzukommt, in dem eine weitere Ermittlerin namens Iris Maplewood (Shira Haas) an die Arbeit geht, beginnt man langsam zu ahnen, was für eine Intrige hinter den Toten von der Longharvest Lane stecken könnte. Im Jahr 2053 ist das Großbritannien von heute nicht mehr wiederzuerkennen; ein verheerender Anschlag erschütterte 2023 das Land, der die Demokratie kollabieren ließ und den Aufstieg eines totalitären „Commanders“ befeuerte, der Sicherheit und Geborgenheit zum Preis der Freiheit bietet. Ist der Mordfall Teil eines sinistren Plans, der dafür den Boden bereitet hat?

Angesichts dieser Verschränkung von Zeitebenen denkt man unwillkürlich an „Dark“; doch ganz so raffiniert und hintergründig ist „Bodies“ nicht. Die jeweiligen gesellschaftlichen Hintergründe bleiben einigermaßen formelhaft. Zwar liefern die Prüderie des Viktorianismus und der auch bei den Gegnern von Nazi-Deutschland verbreitete Antisemitismus jeweils interessante Hintergründe und Konfliktpunkte für die Hauptfiguren; doch ansonsten sind die Zeitläufte primär als eingängige Genre-Topoi relevant– 2023 trifft auf Sherlock-Holmes-Flair trifft auf Film-noir-Flair trifft auf „1984“-Dystopie.

Sehnsucht nach Verbundenheit

Obwohl nichts weniger als das Überleben der Demokratie auf dem Spiel steht, ist dies eher ein McGuffin als das eigentliche Thema. Mehr als für Politik und politische Zusammenhänge interessiert sich die Serie für Existenziell-Zwischenmenschliches. Als roter Faden ziehen sich die Sehnsucht nach Gemeinschaft und Verbundenheit und die Furcht vor Einsamkeit und Ausschluss durch die unterschiedlichen Handlungsebenen, teilweise dramaturgisch etwas dick aufgetragen, von den Darstellern aber mit Herzblut gefüllt. Das Emotional-Melodramatische triumphiert als erzählerische Tonlage auch über die Action-Elemente.

Der Schlüssel, um in das Räderwerk des Schicksals einzugreifen, ist schließlich die Kommunikation: Während der übermächtig scheinende Gegner seine Intrige nicht zuletzt dadurch spinnt, dass er seine Stimme mittels Schallplattenaufnahmen durch die Zeiten schickt und damit andere brillant manipuliert, scheinen die vier Cops lange isoliert und in ihrer Zeit befangen. Bis es ihnen, zunächst eher durch Zufall als mit Absicht, gelingt, über Worte und Bilder teils indirekten, teils direkten Kontakt miteinander herzustellen. Das Lügennetz, in das die Figuren verstrickt sind, bekommt so Löcher, durch die allmählich die Wahrheit durchdringen kann.

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