Drama | Japan 2023 | 104 Minuten

Regie: Tatsunari Ôta

Eine junge Frau besucht eine Vorstadt und trifft am Fluss auf einen Mann, der Steine über das Wasser springen lässt. Gemeinsam vertreiben sie sich die Zeit mit Steinen und Stöcken, bis schließlich die Dämmerung einsetzt. Im Zusammenspiel von Umgebung und Darstellern erkundet der Film auf performative Weise die Schönheiten des zweckfreien Spiels und die Präsenz des Augenblicks. Ein scheinbar schlichter Film, der in der Beobachtung von Unproduktivität und Müßiggang zu etwas Höherem findet. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
ISHI GA ARU
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
2023
Regie
Tatsunari Ôta
Buch
Tatsunari Ôta
Kamera
Yûji Fukaya
Musik
Oh Shu
Schnitt
Keiko Okawa
Darsteller
Tsuchi Kanô (Er) · An Ogawa (Sie)
Länge
104 Minuten
Kinostart
23.11.2023
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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IMDb | TMDB

Schlicht daherkommender, aber vielschichtiger Film über eine junge Frau und einen ihr unbekannten Mann, die einen Nachmittag am Fluss mit Steinen und Stöcken verbringen.

Diskussion

„Habe jemanden am Fluss getroffen“, schreibt der Mann (Tsuchi Kanô) am Abend in sein Notizbuch. Ein Tag ist zu Ende gegangen, an dem eigentlich nicht viel mehr passiert ist als der simple Zeitvertreib mit einer Unbekannten. Steine und Stöcke waren beteiligt, der Fluss und die Landschaft. Und doch liegt in der scheinbaren Ereignislosigkeit etwas Größeres, Tieferes verborgen.

Eine namenlose junge Frau (An Ogawa) kommt in eine Vorstadt. Zaghaft hält sie sich an der Rolle der Touristin fest und hält Ausschau nach Steinen von Ruinen, angeblich sollen irgendwo Reste eines ehemaligen Schlosses in der Landschaft herumliegen. Ihre anfängliche Frage, ob es denn hier etwas „Interessantes“ zu sehen gebe, wird mit einer schwer deutbaren Äußerung beantwortet – ein merkwürdig gedehnter Laut zwischen Seufzen, Verständnislosigkeit und Entschuldigung. Also verlässt die junge Frau die vorgezeichneten Pfade eines touristischen Programms und begibt sich ans Flussufer.

Die Zeit vergessen

Nachdem sie eine Weile mit einer Gruppe Kinder Fußball gespielt hat, beobachtet sie einen Mann, der Steine über das Wasser springen lässt. Bald fügt sich eines zum anderen. Sie ruft ihm etwas zu. Er versteht nicht und watet (mit Schuhen) ans andere Ufer. Er zeigt ihr, wie das Werfen geht. Sie findet einen besonderen Stein. Er wirft ihn versehentlich ins Wasser und fängt daraufhin an, ihn zu suchen. Jede Handlung führt zu einer nächsten und ganz allmählich entwickelt sich zwischen den beiden so etwas wie ein Spiel. Bis zur Abenddämmerung lassen sie sich durch die Landschaft treiben, dem Moment überlassen vergessen sie die Zeit.

„There is a Stone“ von Tatsunari Ota lässt sich nur schwer nacherzählen, ähnlich dem Nachmittag, der in seiner verschriftlichten Form nur einen kleinen Teil der Erfahrung wiedergeben kann. „Habe jemanden am Fluss getroffen. Habe ihren Namen nicht verstanden. Haben zusammen Steine gesucht. Habe versehentlich ihren Stein geworfen …“ Dabei sind die auf das rein Faktische reduzierten Sätze, die der Mann niederschreibt, gerade in ihrer Schlichtheit wahr. So wie der Titel des Films. In der Beobachtung „Da ist ein Stein“ öffnet sich das Konkrete zu einem Raum, in dem – ausgehend von einem Objekt – alles Mögliche passieren kann.

Eines folgt dem anderen

Ausgangspunkt des Films ist die Topografie der Vorstadt, ein Ort des sonderbaren Dazwischen, ländlich, provinziell und doch nicht ganz der Natur zugehörig. Schauplatz und „Bühne“ ist ein langgezogenes, in der Breite variierendes und von Gestrüpp umsäumtes Flussbett entlang einer Straße. Im Hintergrund sieht man Autos vorbeifahren, der Verkehr ist ohne Unterlass zu hören, ab und zu rattert auch ein Zug über eine Brücke. Diesen ruralen, aber eben nicht unbedingt idyllischen Raum lässt Ota mit zwei Figuren, Darstellern, Körpern zusammenwirken. „There is a Stone“ ist ein Film, der anscheinend einer offenen, performativen Anordnung folgt und sich in der Einheit von Raum und Zeit entfaltet. Gearbeitet wird mit den Dingen, die Menschen und Umgebung hergeben: Steine und Stöckchen, Bewegungen, Körperhaltungen, Physiognomien, Gesten.

Über das Leben der Figuren wird fast nichts bekannt. Der Mann, dem der Film erst ganz am Schluss nach Hause folgt, eine stille Passage, die auf rätselhafte Weise erschüttert, hat ein rundes, gutmütiges Gesicht. In seinem hartnäckigen Tun (im Fluss stundenlang einen Stein suchen) und seinen freimütigen Angeboten (seine Bekanntschaft huckepack ans andere Ufer tragen) steckt aber auch eine nicht ganz berechenbare Komik. Die Frau wirkt jung, fast wie ein Teenager; manchmal huscht ein dunkler Schatten über ihr Gesicht, der daran erinnert, dass sie auch ein Leben jenseits der schönen Unproduktivität hat, in der nichts zählt als Stöckchen balancieren und Steine stapeln.

Wiederholt wird das arglose Miteinander von ihrem Zögern unterbrochen; jederzeit könnte es zu einer Fluchtbewegung führen. Tatsächlich ist das Spiel der beiden, so eskapistisch und kindlich es auch anmuten mag, weder naiv noch dem Leben äußerlich. Es ist darin die Freude am Moment enthalten wie auch das Wissen um seine Endlichkeit, das Glück des Teilens wie die Einsamkeit. „There is a Stone“ ist ein einfacher Film, der dem, was das Sein mit den Dingen und in der Zeit bedeutet, nahekommt.

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