Spiral - Im Strom der Lügen

Drama | Frankreich 2022 | 98 Minuten

Regie: Anne Le Ny

Ein Holzunternehmer entdeckt zufällig, dass seine Frau ihn betrügt. Nach einem heftigen Streit flieht sie in die Regennacht und stürzt in eine Schlucht; ein Sturzregen spült ihrer Leiche davon. Der Mann fürchtet, in Mordverdacht zu geraten, und bittet seine 18-jährige Tochter, ihn zu decken. Doch diese verkraftet die Belastung durch die Lüge nicht, zumal der Vater der Toten und eine Kommissarin viele Fragen stellen. Der Film beginnt als Provinzthriller, wandelt sich aber rasch zum Familiendrama, bei dem der Kriminalfall in erster Linie als Katalysator für eine schwerwiegende Familienkrise fungiert. Die Inszenierung wirft spannende Fragen nach Vertrauen, Verrat und Vergebung auf, vernachlässigt aber Dramatik und Überraschungsmomente. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
LE TORRENT
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Move Movie/SND Films/C8 Films
Regie
Anne Le Ny
Buch
Anne Le Ny
Kamera
Laurent Dailland
Musik
Benjamin Esdraffo
Schnitt
Guerric Catala
Darsteller
José Garcia (Alexandre Boiron) · André Dussollier (Patrick) · Capucine Valmary (Lison Boiron) · Christiane Millet (Brigitte) · Ophélia Kolb (Juliette Boiron)
Länge
98 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Krimi | Thriller
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Plaion (16:9, 2.35:1, DD5.1 frz./dt.)
Verleih Blu-ray
Plaion (16:9, 2.35:1, dts-HDMA frz./dt.)
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Kriminaldrama über einen Unternehmer aus den Vogesen, dessen Familie zu zerbrechen droht, als seine untreue Frau nach einem heftigen Ehestreit bei einem Sturz in eine Schlucht tödlich verunglückt.

Diskussion

Die 18-jährige Lison (Capucine Valmary) hat gerade die Führerscheinprüfung bestanden und fährt übers Wochenende mit dem Bus zu ihrem Vater Alexandre (José Garcia). Der erfolgreiche Holzunternehmer wohnt mit seiner zweiten Frau Juliette (Ophélia Kolb) und dem gemeinsamen kleinen Sohn Darius (Zéphyr Elis) in einer schicken Villa oberhalb von Gérardmer in den Vogesen. Kurz nach Lisons Ankunft brechen ihr Vater und Juliette zu einem Theaterbesuch in Épinal auf, während die junge Frau auf ihren Halbbruder aufpassen soll. Als dieser zu Bett gegangen ist, probiert Lison Kleider und Schuhe von Juliette an. Dabei findet sie zufällig einen USB-Stick, auf dem Juliette erotische Fotos von ihrer Affäre mit dem jungen Weinverkäufer Antoine (Victor Pontecorvo) gespeichert hat. Als Alexandre und seine Frau frühzeitig zurückkehren, lässt Lison versehentlich den Stick liegen. Prompt entdeckt Alexandre die Fotos. Wütend stellt er seine Frau zur Rede, ein Streit entsteht, Juliette verlässt fluchtartig das Haus.

Alexandre folgt ihr mit dem Auto auf der steilen Bergstraße und stoppt sie an einer Brücke über einen Wildbach; die aufgewühlte Juliette stürzt in eine tiefe Schlucht und stirbt. In der gleichen Nacht spült ein Sturzregen die Leiche davon. Alexandre bittet seine Tochter, die den Ehestreit mitgehört hat, ihn zu decken, weil er befürchtet, unter Mordverdacht zu geraten. Doch Lison verkraftet die Belastung durch die Lüge nicht, und Patrick (André Dussollier), der misstrauische Vater Juliettes, stellt ebenso so viele kritische Fragen wie die ermittelnde Kommissarin Da Silva (Anne Le Ny).

Die Zersetzungskraft von Lügen

Anne Le Ny hat jahrzehntelang als Schauspielerin für Theater, Film und Fernsehen gearbeitet, ehe sie 2007 ihr Langfilmregiedebüt mit dem Familiendrama "Ceux qui restent" gab. Seitdem hat Le Ny, die hierzulande vor allem durch ihre Auftritte in der französischen Erfolgskomödie "Ziemlich beste Freunde" (2011) bekannt ist, fünf lange Filme als Regisseurin realisiert, zu denen sie zumeist auch die Drehbücher oder Dialoge geschrieben hat. Auch bei „Spiral“, der in der Originalfassung „Le Torrent“ (Strömung/Wildwasser) heißt, hat die 60-Jährige das Skript verfasst.

Der sechste Spielfilm von Anne Le Ny beginnt als Provinzthriller, wandelt sich aber rasch zu einem Familiendrama, bei dem der Kriminalfall in erster Linie als Katalysator für eine schwerwiegende Krise einer Patchwork-Familie fungiert. Die Autorin und Regisseurin legt es weniger darauf an, kriminalistische Spannungsbögen zu erzeugen, auch wenn die hartnäckigen Nachforschungen des tief getroffenen Antoine ein gewisses Bedrohungspotenzial aufbauen, das sich jedoch später wieder in Wohlgefallen auflöst. Für Le Ny ist es viel wichtiger, genau zu beobachten, wie Ungewissheit und Lügen, Misstrauen und Verdächtigungen immer tiefere Risse im ohnehin schon fragilen familiären Gefüge zeitigen.

Wortgefechte an der Grenze zum Psychoduell

Dabei wirft sie durchaus existenzielle Frage auf: Wo liegen die ethischen Grenzen für die Solidarität mit Angehörigen und geliebten Menschen? Wo beginnt die Komplizenschaft und wo der Verrat? Wie kann ich trotz traumatischer Erfahrungen lernen zu verzeihen? Solche Fragen vertieft Le Ny zuweilen in intensiven Dialogen, etwa zwischen Alexandre und seiner Tochter oder zwischen ihm und seinem Schwiegervater. Der sonst eher auf komische Rollen abonnierte José Garcia, der versierte Charakterdarsteller André Dussolier und die erstaunlich souveräne Newcomerin Capucine Valmary liefern sich spannende Wortgefechte, die schon mal an die Grenze zum Psychoduell stoßen.

Die vielen Dialoge sind eingebettet in eine visuelle Umsetzung, die vor allem von ihren reizvollen Schauplätzen lebt – sei es die elegante Villa des Protagonisten, sei es sein komplett aus Holz gebauter Firmensitz oder der titelgebende wilde Bergbach samt idyllisch gelegenem See oder die imposanten Ausblicke in die raue Berglandschaft der Vogesen.

Die Krimi-Anteile lassen Fragen offen

Im Drehbuch lassen sich leider einige Schwachpunkte kaum übersehen. Dass die französischen Strafverfolgungsbehörden ausgerechnet am Tag der Beisetzung eines Todesopfers dessen Ehemann in Untersuchungshaft nehmen, ist wenig glaubhaft. Und wieso lässt die Polizei nicht untersuchen, ob die Schrammen am Kotflügel von Alexandres Auto vom Unfallort stammen? Auch die Indizienlage des tödlichen Unglücks wirkt zu dünn, um eine Anklage und einen Prozess gegen den Ehemann wegen Mordes oder Totschlages zu rechtfertigen. Und wieso nimmt der junge Darius den Tod der Mutter zunächst beinahe regungslos hin?

Insgesamt wirkt der Film zu unentschlossen, verlässt sich zu sehr auf die Figuren und die guten Schauspieler:innen und vernachlässigt darüber die Spannungsdramaturgie und Überraschungsmomente. Nachdem die Inszenierung im Lauf der Erzählung reichlich Konfliktlinien innerhalb der Großfamilie entfaltet hat, wirkt der allzu harmoniesüchtige Schluss dann arg abrupt: Die Probleme scheinen sich wie von Wunderhand aplötzlich mehr oder weniger von selbst zu verflüchtigen.

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