The Death of Dick Long

Drama | USA 2019 | 100 Minuten

Regie: Daniel Scheinert

Die Bandprobe eines Männertrios in Alabama eskaliert auf ungeahnte Weise. Am Ende der Nacht ist einer der Männer tot, die anderen beiden versuchen in ihr normales Leben zurückzukehren. Die so hilflosen wie lächerlichen Versuche, ihre Mitverantwortung zu vertuschen, scheitern zunehmend. Mit einem grenzenlos empathischen Blick auf die lächerliche und verstörende Realität hinter dem Tod eines Mannes bringt die skurrile Komödie Whodunit, Blödelei und Tragödie in ein erstaunlich nuanciertes Gleichgewicht. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE DEATH OF DICK LONG
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
A24
Regie
Daniel Scheinert
Buch
Billy Chew
Kamera
Ashley Connor
Musik
Andy Hull · Robert McDowell
Schnitt
Paul Rogers
Darsteller
Michael Abbott Jr. (Zeke Olsen) · Virginia Newcomb (Lydia Olsen) · Andre Hyland (Earl Wyeth) · Sarah Baker (Officer Dudley) · Jess Weixler (Jane Long)
Länge
100 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Komödie
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IMDb

Zwischen Tragik und Absurdität: Als ihr Kumpel auf dubiose Weise stirbt, droht der Alltag zweier Männer zu implodieren.

Diskussion

Einmal die Woche trifft sich die Band zur Probe. Zeke (Michael Abbott Jr.), Earl (Andre Hyland) und Dick (Daniel Scheinert) spielen „How You Remind Me“, den bekanntesten Song der wohl uncoolsten Band Nordamerikas. Doch das Trio aus Alabama ist denkbar weit von Musikdiskurs und Geschmackskonvention der Massen entfernt; niemand beherrscht das eigene Instrument, die eigene Stimme oder den Songtext, und überhaupt: beim wöchentlichen Treffen geht es weniger um die Musik als den gemeinsamen Exzess. „Wanna get weird?“, ist der Satz, mit dem die drei von Gitarrengeschrammel auf Party überleiten. Das ist zunächst harmlos genug: Dosen stechen, Joints rauchen und Feuerwerk auf dem Feld zünden. Doch die Zeitlupe, die das einfängt, deutet bereits an, dass dieser Spaß nur Vorspiel für eine deutlich verstörendere Form von „weird“ ist. Was genau passiert, verrät der Film zunächst nicht. Aber bereits einen Schnitt später liegt der blutende Dick auf dem Rücksitz von Zekes Auto. Zusammen rasen sie ins örtliche Krankenhaus, wo der bewusstlose Dick Long ohne Portemonnaie und Ausweis draußen abgeladen wird. Wenige Stunden später ist er tot.

Der miserabelste aller Vertuschungsversuche

Die Szene, die von der verhängnisvollen Nacht erzählt, endet nicht vor dem Krankenhaus. Der Film begleitet Zeke bis nach Hause, sieht ihm zu, wie er seine blutverschmierten Klamotten entsorgt, sich selbst abduscht und ins Bett legt, um endlich zur Ruhe zu kommen. Wenige Sekunden später schreckt ihn der Wecker auf. Der nächste Tag ist eingeläutet. Ehefrau Lydia (Virginia Newcomb) muss zur Arbeit, Zeke die Tochter zur Schule fahren. Das Auto ist noch mit Blut verschmiert, das Portemonnaie des Toten liegt noch auf dem Frühstückstisch. Spätestens als Vater und Tochter beim Tanken auf Polizistin Cynthia (Sarah Baker) treffen und ihr – die Tochter verlangt es so – das Portemonnaie des toten Freundes aushändigen, sieht die ganze Affäre nach dem wohl miserabelsten Versuch der Geschichte Alabamas aus, einen Mord zu vertuschen.

Doch Zeke und Earl sind keine Mörder. Die Wahrheit ist, nun ja, schräger. Sheriff Spenser (Janelle Cochrane), die, nachdem sie von den so rätselhaften wie grausigen Verletzungen erfährt, die zum Tod von Dick Long geführt haben, noch einmal betont, dass sie eindeutig „zu alt für diesen Scheiß“ ist, kommt der Sache allmählich näher. Das verdächtige Duo redet sich derweil bei jeder Gelegenheit um Kopf und Kragen. Earl flieht aus der Stadt, während Zeke zusehen muss, wie das Leben, das er sich aufgebaut hat, mit jedem weiteren Fehltritt unter ihm wegzubrechen droht.

Zwischen Whodunit, Blödelei und Tragödie

„The Death of Dick Long“ klopft die absurde Grundsituation geschickt auf Gelegenheiten ab, Humor zu injizieren, ohne dabei je die Tragik aus den Augen zu verlieren. Der Film tanzt elegant im Dreivierteltakt von Whodunit, Blödelei und Tragödie. Daniel Scheinerts erstes Solo-Regieprojekt weicht damit auf den ersten Blick kaum von den Genre-Amalgamierungen ab, die er zusammen mit Daniel Kwan inszeniert. Dennoch: das Seltsame und das Absurde sind hier deutlich fester mit realweltlichen Zwängen und Realitäten verwachsen als in „Swiss Army Man“ (2016) oder „Everything Everywhere All at Once“ (2022). So schräg das sein mag, was Zeke und sein „Partner in Crime“ Earl veranstalten, so wenig ist es von der Idee eines tatsächlichen Lebens und den gesellschaftlichen Konsequenzen gelöst. Nicht nur ist ihr Freund Dick, den sie mitten in der Nacht vor dem örtlichen Krankenhaus abgeladen haben, tot. Auch das Leben, in das beide zunächst zurückzukehren versuchen, ist vorbei.

Das Drehbuch von Billy Chew lässt diese Erkenntnis nicht direkt mit all ihrer Tragik in den Alltag hineinbrechen, sondern hebt sie, eine Absurdität nach der anderen, allmählich in ihn hinein. „The Death of Dick Long“ ist „Fargo“ mit Rednecks, aber zugleich ein Film, der bis zum Bersten vollgestopft ist mit Menschlichkeit. Angefangen beim leisen Protest Zekes, Ehefrau Lydia solle das Heim des Freundes nicht „Trailer Park“ nennen, bis zu den Szenen, in denen ein sichtlich überforderter Zeke versucht, seiner Tochter vor dem Fernseher zu erklären, dass er „eine Weile weggehen muss“. Mit einem erstaunlichen Gespür für Nuancen findet der Film die Einsamkeit zwischen den Zeilen, zwischen Tragik und Blödelei, die grob vermengt, aber umso feiner inszeniert sind.

Die schönste Szene des Films zeigt Zekes Versuch, vor seinem Untergang noch etwas Gutes zu tun. Volltrunken befreit er unter den Augen von Polizistin Cynthia ein Pferd aus seinem Stall. Er gibt ihm einen Klaps auf den Hintern, versucht es in die Freiheit zu jagen. Zeke liebt dieses Pferd. Der Mann, der sich selbst nicht retten kann, seine Familie und allen Halt verliert, möchte zumindest das unschuldige Pferd retten. Eine pathetische, lächerliche, aber verdammt rührende Geste.

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