Call me Dancer - Von Mumbai nach New York

Dokumentarfilm | USA 2023 | 86 Minuten

Regie: Leslie Shampaine

Ein indischer Hip-Hopper träumt von einer Ballettkarriere und schreibt sich bei einem aus Israel stammenden Lehrer ein, mit dem er unablässig trainiert. Tatsächlich entwickelt sich sein Talent vielversprechend, doch dann kommt es zu ersten Rückschlägen. Der Dokumentarfilm über den märchenhaften Aufstieg eines Jungen aus den Slums von Mumbai bleibt dicht an der Hauptfigur und weicht nur zugunsten eines anderen jungen Tänzers von der biografischen Herangehensweise ab. Formal ohne sonderliche Finessen, überzeugt der Film durch einen sympathischen Protagonisten und seine kurzweilige Erzählung. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
CALL ME DANCER
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Shampaine Pic./ZDF
Regie
Leslie Shampaine · Pip Gilmour
Buch
Leslie Shampaine · Pip Gilmour · Jennifer Beman
Kamera
Neil Barrett
Musik
Nainita Desai · Nina Humphreys
Schnitt
Jennifer Beman · Jef Huey
Länge
86 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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IMDb

Dokumentarfilm über einen jungen Inder aus den Slums von Mumbai, der gegen alle Hindernisse seinen Traum von einem Leben als Balletttänzer verfolgt.

Diskussion

Die Eltern von Manish Chauhan kamen wie so viele andere aus der Provinz nach Mumbai, um in der Metropole Geld zu verdienen. Sein Vater wurde Taxifahrer, seine Mutter arbeitet als Näherin in Heimarbeit. Die Familie Chauhan lebt in den Slums; die Eltern träumen davon, dass ihre Kinder später mit einem soliden Bürojob leichter durchs Leben kommen.

Das Geld fürs College, das Manish und seine Schwester Madhu besuchen, sparen sich die Eltern vom Munde ab. Alles entwickelt sich wie geplant, bis Manish eines Tages in einem Bollywood-Film einen Tänzer sieht, der aus dem Stand einen Rückwärtssalto vollführt. Von diesem Moment an wird der brave Student zum Streetdancer und trainiert wie besessen. Heimlich, damit die Eltern nichts davon erfahren. Denn Manishs Vater hält überhaupt nichts vom Tanzen; für ihn ist das nur ein Hobby für die Kinder von reichen Leuten.

Doch irgendwann ist Manish so weit, dass er sich für einen Tanzwettbewerb anmeldet. Erst dort entdeckt er, dass es noch viele andere Tanzstile gibt. Er macht Bekanntschaft mit dem klassischen Ballett, das in Indien weitgehend unbekannt ist, und meldet sich in einer Ballettakademie an, wo er den Leiter von „Dance WorX“ von seinem Talent überzeugt und ein Stipendium erhält. Manish lernt klassisches Ballett, Contemporary und Jazz Dance und arbeitet hart an seiner Karriere. Seine Eltern wissen allerdings nicht, dass Manish das College verlassen hat.

Unbeirrbare Leidenschaft für den Tanz

Auch wenn hier ein Mann die Hauptperson ist, erinnert die Geschichte des Dokumentarfilms „Call Me Dancer“ ein wenig an „Flashdance“, aber auch an „Die roten Schuhe“. Nicht ganz verwunderlich ist, dass Manish auch in einem Spielfilm über sein Leben die Hauptrolle spielt, was kurz thematisiert wird. Doch der Film von Pip Gilmour und Leslie Shampaine ist ein klassisches Doku-Biopic, das vom Protagonisten selbst erzählt wird und ohne Kommentare auskommt. Ab und an gibt es kleine Inserts mit Namen oder Ortsangaben, ansonsten erklärt sich alles über die Off-Stimmen der handelnden Personen sowie aus den Bildern und Dialogen.

Statt langatmiger Talking-Heads oder bemühter Interviews wird flüssig und aus den Bildern heraus erzählt, was dem Film einen gewissen Drive und ein angenehmes Tempo verleiht. Die Inszenierung verzichtet weitgehend auf cineastischen Feinheiten oder Effekte; nur hin und wieder gibt es ein paar Zeitlupenaufnahmen. Manishs Geschichte wird chronologisch erzählt, wobei die Mischung aus aktuellen und gelegentlich auch nachgestellten Bildern mit vielen Aufnahmen vom kräftezehrenden Training und Tanzaufführungen unterfüttert wird.

Bis in die Fingerspitzen graziös

Schon der Einstieg zeigt: Dies ist ein Tanzfilm. Die sinnlichen, sehr ästhetischen Anfangsbilder mit Manish als Solist sind von berückender Eleganz und porträtieren einen schönen jungen Mann, der sich bis in die Fingerspitzen graziös und anmutig bewegt. Und das nicht nur auf der Tanzbühne, sondern auch, wenn er über Pfützen springt. Auch wenn Manish spricht, wirkt er sympathisch. Zu Beginn ist er eher schüchtern und geht nur beim Tanzen aus sich heraus. Bei aller Begeisterung für den Tanz bleibt Manish geerdet: Er will und muss Geld verdienen. Im Verlauf von „Call Me Dancer“ wird er aber selbstbewusster, wobei er immer eine gewisse charmante Zurückhaltung wahrt.

Neben Manish spielt es noch eine andere Persönlichkeit eine zentrale Rolle im Film: sein Tanzlehrer, der israelische Choreograph Yehuda Maor, der ihn nach Kräften fördert. Auch Yehudas Vergangenheit ist so interessant, dass sie Stoff für einen eigenen Film böte. Als Maor nach Indien kam, um bei „Dance Worx“ zu arbeiten, hasste er das Land, die Hitze und das allgegenwärtige Chaos. Er wagte es nicht einmal, allein über die Straße zu gehen. Doch er blieb. „Indien ist vermutlich das einzige Land, wo man mit 75 Jahren noch einen Job als Lehrer bekommen kann“, sagt Maor. Er machte Manish zu seinem persönlichen Projekt, wobei gleichzeitig mit Manish bei „Dance Worx“ noch ein zweites großes Talent auftauchte, das Maor ebenfalls unter seine Fittiche nahm: Amir, ein 14-jähriger Junge, ebenfalls aus den Slums.

Abweichen vom direkten Weg

Wenn sich die Filmemacherinnen auf Manish und seine Karriere inklusive der zahlreichen Rückschläge durch den Konflikt mit seiner Familie, Trainingsverletzungen und die Tanzverbote aufgrund der Corona-Pandemie konzentriert hätten, hätte dies dem Film vermutlich nicht nur eine eindeutige Richtung gegeben, sondern vielleicht noch mehr Tiefe. Doch sie weichen für Amir von diesem direkten Weg ab. Eine Weile scheint es, als ob Amir neben Manish zur zweiten Hauptfigur würde, doch irgendwann trennen sich beider Wege wieder.

Dramaturgisch kommt Amir zu einem relativ ungünstigen Zeitpunkt ins Geschehen. Gerade ist Manish als liebenswerter Protagonist etabliert und Maor als Lehrer eingeführt. Man erwartet, dass sich zwischen den beiden Tänzern und ihrem Lehrer Beziehungen entwickeln. Amir und Manish haben aber offenbar außerhalb des Tanzstudios keine Gemeinsamkeiten; sie werden weder als Freunde noch als Konkurrenten vorgestellt. Außer ihren Lehrer Maor und die Leidenschaft fürs Tanzen verbindet sie wenig; das ist etwas dürftig für einen eigenen Erzählstrang, der dann auch irgendwann abbricht. Immerhin ist es ein ästhetisches Vergnügen, Manish und Amir beim Tanzen zuzusehen.

Am Ende aber ist es Manish, der mit jungenhaftem Charme, großer Musikalität, physischer Eleganz und einer absoluten Tanzleidenschaft den Film inhaltlich und visuell trägt. Er will unbedingt ein Tänzer sein. „Call me dancer“, sagt er, und am Ende geht sein Traum in Erfüllung.

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