Dokumentarfilm | Frankreich/Senegal 2024 | 67 Minuten

Regie: Mati Diop

Im Zug der Bemühungen um die Restituierung sogenannter „Raubkunst“ aus der Kolonialzeit werden im November 2021 einige Kunstwerke aus dem alten Königreich Dahomey, dem heutigen Benin, von Paris aus zurück in ihre Heimat gebracht und im Präsidentenpalast ausgestellt. Der Dokumentarfilm spürt der Frage nach, was diese Schätze und ihre Rückgabe durch die ehemalige Kolonialmacht für die Bevölkerung bedeuten. Ohne Kommentar oder Erklärungen versammelt er Impressionen von Rückführung und Ausstellungseröffnung sowie zahlreiche Wortmeldungen von Beniner:innen. Das setzt eine gewisse Kenntnis der Materie voraus, entfaltet aber mit einem spannungsreichen Stimmungsbild, in dem deutlich wird, wie viel Aufarbeitung des kolonialen Unrechts noch aussteht. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
DAHOMEY
Produktionsland
Frankreich/Senegal
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Fanta Sy/Les Films du Bal
Regie
Mati Diop
Länge
67 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Doku über die Rückgabe von 26 afrikanischen Statuen aus dem alten Königreich Dahomey ins heutige Benin, wo ihre „Restitution“ kontrovers diskutiert wird.

Diskussion

Ein junger Mann nennt es Zeug, Sachen. Wie soll er auch einen Begriff für etwas finden, das er nicht kennt und zu dem er nie ein Verhältnis herstellen konnte, weil „es“ schlichtweg nicht da war? Er sei mit Disney und „Avatar“ aufgewachsen, sagt ein anderer, dabei sollten doch Geschichten wie die von König Ghézo fester Bestandteil des kulturellen Erbes sein. Einer jungen Frau sind die Objekte fast etwas unheimlich; für sie sind sie mehr als „Sachen“. Angesprochen wird auch die Bestimmung der Artefakte, schließlich sei das Museum doch eine westliche Idee.

Gegenstand der leidenschaftlich geführten Debatte an der Université d’Abomey-Calavi in Benin ist die Rückgabe von 26 Kulturgütern aus dem „Schatz von Abomey“. Nachdem sie 1892 von den französischen Kolonialtruppen im damaligen Königreich Dahomey, dem heutigen Benin, gestohlen wurden, kehrten sie im November 2021 im Rahmen eines feierlichen Staatsakts an ihren Herkunftsort zurück, um irgendwann in den Vitrinen eines eigens für sie errichteten Museum Platz zu finden. In den Medien wurde ihre Rückkehr gefeiert. „Historique!“, titelte die Tageszeitung „La Nation“. Von den Studierenden aus Benin kommt Widerspruch. Die Restitution sei eine „Imagekampagne“ des französischen Präsidenten Macron. Und dass von 7000 Objekten gerade mal 26 zurückgegeben wurden, sei zutiefst beschämend. Für andere ist sie ein bedeutender symbolischer Akt und der Beginn eines wichtigen Prozesses.

Teil der kollektiven Geschichte

Eine Wortmeldung folgt der nächsten, jede und jeder hat etwas beizutragen, die Dringlichkeit trägt sich in die Gesichter der jungen Menschen hinein, in ihre Stimme, Gesten und Blicke. So unterschiedlich die Beurteilung der „historischen“ Rückgabe dabei auch ausfällt, wird eines doch deutlich: dass die Kolonialherrschaft nicht nur Leben, Tradition und Sprache vernichtet, sondern auch einen wichtigen Teil der kollektiven Geschichte geraubt hat. Dafür steht der Eiffelturm, Wahrzeichen von Paris und der Grande Nation, als unzählige Male reproduzierter Souvenirkitsch am Seineufer. Die leuchtenden, auf ausgebreiteten Tüchern präsentierten „Dinger“, von zumeist Geflüchteten aus Afrika zum Verkauf angeboten, sind in „Dahomey“, der Dokumentation der französisch-senegalesischen Filmemacherin und Schauspielerin Mati Diop, das erste Bild.

Der 67 Minuten kurze Film deutet den Begriff „Restitution“, wie die Rückerstattung geraubter, unrechtmäßig enteigneter, erpresster oder zwangsverkaufter Kulturgüter genannt wird, auf eigene Weise. Er gibt einem der geraubten Artefakte, mit „Nr. 26“ beziffert, eine Stimme, und beseelt das vor seiner Reise „nach Hause“ in der Transportkiste im Pariser Musée Quai Branly liegende Objekt. „Warum habe ich keinen Namen?“, wundert sich die Nr. 26 aus dem Schwarz der Leinwand. Wer da spricht, ist die Statue von König Ghézo, eine Holzfigur mit Lendenschurz und geballter Faust, ausgewählt als „schönstes Objekt“. Seine Worte stammen von dem haitianischen Schriftsteller Makenzy Orcel, dem Autor von „Une somme humaine“ und Gewinner des Anna-Seghers-Preis 2023). Klugerweise umgeht Diop die Gefahr, ihren Kunstgriff zu „naturalisieren“ und sich als Sprecherin zu ermächtigen, etwa in Form von Flüsterpoesie. Die Stimme ist artifiziell, elektronisch generiert. Mit ihrem tiefen, rollenden Klang könnte sie auch aus einem Science-Fiction-Blockbuster kommen.

Die Angst, nicht erkannt zu werden

„Dahomey“ folgt den Objekten auf ihrer Reise von Paris nach Benin, von Museum zu Museum. Sie werden fotografiert und mit Stoffhandschuhen in gepolsterte Kisten gebettet, die ein wenig an Särge erinnern. Für die Statue des Königs geht eine 130-jährige Gefangenschaft zu Ende. Doch der Rückkehr sieht sie ein wenig bange entgegen: „Angst, nicht erkannt zu werden, und nichts zu erkennen.“ Am Flughafen in Cotonou werden die restituierten Kunstschätze in den Präsidentenpalast gebracht, wo sie bis heute ausgestellt sind. „Ist die Reise hier zu Ende?“, fragt die körperlose Stimme. Erneut wird der Inhalt begutachtet und registriert, es folgen Werkangaben zu Gewicht, Material und Maßen durch einen Kurator. Diop geht dabei wenig konzeptuell vor, die archivarische, museumskuratorische Arbeit wird ebenso wie die Hintergründe zu den historischen Königsfiguren nur angerissen. Auch dass die kontroverse Debatte an der Universität von ihr selbst initiiert wurde, wird im Bild nicht sichtbar gemacht.

Dass „Dahomey“ abseits der beiden Stränge – die Stimme des Objekts und die Debatte – etwas zerfasert, nimmt dem Film aber nichts von seiner aufwühlenden Wirkung. Wenn die Nacht anbricht und König Ghézo in seiner Vitrine zurückbleibt, füllen sich die Straßen mit Leben. Und die Fragen der jungen Menschen arbeiten weiter.

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