Eine Couch in New York

Komödie | Frankreich/Deutschland/Belgien 1995 | 109 Minuten

Regie: Chantal Akerman

Ein frustrierter New Yorker Psychoanalytiker tauscht sein mondänes Apartment mit der Mansardenwohnung einer attraktiven Pariser Tänzerin. Ohne sich kennenzulernen, erfahren die beiden im Domizil des jeweils anderen so viel voneinander, daß sie sich bei seiner Rückkehr ineinander verlieben. Charmante Liebeskomödie, die konventionelle Handlungsmuster zur Bestandsaufnahme (zwischen-)menschlicher Beziehungen verdichtet. Zwar verflacht der Film gegen Ende etwas und büßt von seiner subtilen Spannung ein, ist aber hervorragend gespielt und detailreich inszeniert. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
UN DIVAN A NEW YORK
Produktionsland
Frankreich/Deutschland/Belgien
Produktionsjahr
1995
Produktionsfirma
Les Films Balenciaga/Babelsberg Film Prod./Paradise
Regie
Chantal Akerman
Buch
Chantal Akerman · Jean-Louis Benoît
Kamera
Dietrich Lohmann
Musik
Sonia Wieder-Atherton
Schnitt
Claire Atherton
Darsteller
Juliette Binoche (Béatrice Saulnier) · William Hurt (Henry Harriston) · Stephanie Buttle (Anne) · Barbara Garrick (Lisbeth Honeywell) · Paul Guilfoyle (Dennis)
Länge
109 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Komödie | Liebesfilm
Externe Links
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Heimkino

Nur die Edition von "Evolution" enthält u.a. den Bonusfilm "Temptation".

Verleih DVD
Atlantis (16:9, 1.85:1, DD2.0 dt.), Evolution (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt.), Galileo (16:9, 1.85:1, DD2.0 engl/dt.)
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Wie in einem Aquarium sitzt Henry Harriston, erfolgreicher und dem-entsprechend vermögender New Yorker Psychoanalytiker, in seinem weitläufigen Apartment, abgeschlossen von der Außenwelt, einsam und sehr müde. Eines Nachts schaltet er den Anrufbeantworter und damit die Wortkaskaden seiner Patienten ab, um per Annonce einen Wohnungstausch in die Wege zu leiten: für sechs Wochen will er vor allem flüchten. Harry zieht nach Paris, wo er sich in der vergleichsweise engen Mansardenwohnung der jungen Tänzerin Beatrice einquartiert, während Beatrice vor einer Heerschar verliebter Verehrer ins New Yorker Edel-Domizil entweicht. Henry und Beatrice begegnen sich nicht, wissen nichts voneinander - und doch leben sie schon bald in gewisser Weise mit dem jeweils anderen zusammen: die ebenso attraktive wie natürliche Beatrice, die dank ihrer vielleicht etwas naiven, stets aber aufrichtigen und offenen Art alle Herzen im Sturm erobert, spürt dabei förmlich die Einsamkeit hinter der pedantischen Ordnung in Henrys Apartment; Henry indes reagiert irritiert und unsicher auf die Lebendigkeit des Pariser Wohnviertels, die sich bis in Beatrices Dachwohnung fortsetzt und ihm nicht die gewohnte Sicherheit und Abgeschiedenheit vermittelt. So wie sich Beatrice in New York in Henrys Leben einfühlt, so folgt aber auch er ihren Spuren: er sammelt ihre achtlos herumliegende Unterwäsche auf, lauscht den Beschwörungen ihrer Verehrer auf dem Anrufbeantworter, entdeckt die (Sprach-)Poesie in ihren Briefen. Und so haben Beatrice und Henry schon Kontakt zueinander aufgenommen, bevor sie sich erstmals begegnen. Diese Begegnung findet zwei Wochen früher als geplant statt, als Henry in seinem Apartment auftaucht und erstaunt feststellen muß, daß Beatrice zu einer Art beruflicher Urlaubsvertretung geworden ist: Henrys Patienten rennen ihr die Tür ein, genießen das unmittelbare Gespräch, auf das sich Beatrice spontan einläßt. Dieses ist zwar alles andere als eine professionelle psychoanalytische Seance, steigert aber sichtbar das Wohlbefinden der Männer auf der Couch. Verblüfft und wohl auch etwas eifersüchtig gibt sich Henry nicht zu erkennen, landet als vermeintlicher Patient auf der eigenen Couch - und erlebt Empfindungen in bislang nicht gekanntem Ausmaß.

Chantal Akerman, einfühlsame Chronistin zwischenmenschlicher Beziehungen, die sie mit rigoroser Beharrlichkeit in ihren ganz eigenen filmischen Kosmos einzuweben versteht, inszenierte einen auf den ersten Blick "klassischen" Genrefilm: eine Liebeskomödie mit ein wenig "Screwball"-Atmosphäre, ein elegantes Spiel mit dem doppelbödigen Dialog, mit der Lust an der Verwechslung und der Verwirrung. Und in der Tat bedient sie sich zumindest an der Oberfläche einer "amerikanischen" Erzählweise, was zunächst konventionell erscheinen mag, bevor man sich dann aber immer deutlicher "zwischen den Bildern" einleben kann. Von Ferne erinnert ihr Film denn auch an die Werke europäischer Emigranten im Hollywood der 40er Jahre, weil auch sie die Genrekonventionen mit autoriellen Erzählchiffren unterliefen; und wohl nicht von ungefähr erinnert das zauberhafte Lächeln Juliette Binoches in kurzen Momenten an die Ausstrahlung Audrey Hepburns in Billy Wilders "Sabrina" (fd 3722). In erster Linie lebt Akermans Film von der virtuosen Schauspielkunst seiner beiden Hauptdarsteller, die auf jeweils ganz eigene Weise in sich hineinhorchen, um die feinen Nuancen im Seelenleben ihrer Figuren nachvollziehbar zu machen. Darüber hinaus aber lenkt die Präzision der Darsteller auch den Blick auf die Präzision der Ausstattung, die genaue Gestaltung der Räume, den Blickwinkel der Kamera, die Wahl der Einstellungsgröße: mal trennt die Montage die Protagonisten, obwohl sie im selben Raum sind, dann vermag sie sie einander ganz nahe zu bringen, obwohl sie sich auf verschiedenen Kontinenten befinden. Aufmerksam folgt die Kamera den Spuren, die Chantal Akerman auslegt: den verschiedenen Wohnungen, den Geräuschen und Gerüchen - wann spielte schon einmal im Kino der Duft eines Parfüms eine Rolle? -, der Kleidung, schließlich auch den verschiedenen Sprachen, ihrer Melodik und ihrem Ryhthmus. Vieles wird davon in der deutschen Synchronversion verlorengehen, aber was bleiben wird, ist der faszinierende Augenblick, wenn sich Beatrice und Henry das erste Mal aller verbalen Sprache entledigen und das Zimmer von ihren Empfindungen gefüllt wird.

Chantal Akerman vermag die schwebende Leichtigkeit dieses Spiels nicht bis zum Ende durchzuhalten. Im letzten Viertel spürt man deutlich Ermüdungserscheinungen, und das Happy End, bei dem sich Henry "seiner" Beatrice endlich zu erkennen gibt, dokumentiert eher die Hilflosigkeit oder aber das Desinteresse der Regisseurin an diesem erzählerischen Standard-Topos. Ihre Sache ist es auch in diesem Film einmal mehr, der Vielfalt der Gefühle nachzuspüren, der Spannung und dem Geheimnis der Liebe, bevor sich diese erfüllt.
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