Kansas City

- | USA 1996 | 115 Minuten

Regie: Robert Altman

Am Vorabend eines Wahltages im Jahr 1934 entführt eine Telefonistin die Frau eines Politikers, um mit dessen Hilfe ihren Geliebten aus den Händen eines schwarzen Jazzclub-Besitzers zu befreien. Während die beiden ungleichen Frauen vor den Handlangern der Mafia durch Kansas City fliehen und im Laufe der Nacht fast zu Komplizinnen werden, tragen die berühmtesten Jazzmusiker der Stadt eine ihrer legendären Jam-Sessions aus. Vitales, vom Rhythmus des Jazz bestimmtes Sitten- und Zeitporträt. Getragen vom Spiel herausragender Hauptdarsteller, werden Korruption, Rassismus und politischer Verfall thematisiert; zugleich wird Jazzgrößen ein Denkmal gesetzt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
KANSAS CITY
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Ciby 2000/Sandcastle 5
Regie
Robert Altman
Buch
Robert Altman · Frank Barhydt
Kamera
Oliver Stapleton
Musik
Hal Willner
Schnitt
Geraldine Peroni
Darsteller
Jennifer Jason Leigh (Blondie O'Hara) · Miranda Richardson (Carolyn Stilton) · Harry Belafonte (Seldom Seen) · Michael Murphy (Henry Stilton) · Dermot Mulroney (Johnny O'Hara)
Länge
115 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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IMDb | TMDB

Diskussion
Robert Altman ist ein Meister des Polyphonen, ein Virtuose der Gleichzeitigkeit des Ungleichen. Auch in seinem 31. Film versteht es der 71jährige mit bewundernswerter Leichtigkeit und dem langen Atem des routinierten Erzählers, eine Vielzahl von Figuren, Geschichten und Ereignissen zu einem funkelnden Gebilde zu verweben, dessen schillernde Vielfalt stets neue Ansichten eröffnet, je nachdem, von welchem Punkt aus es betrachtet wird. Man schreibt das Jahr 1934, die amerikanische Wirtschaft liegt am Boden; Roosevelts "New Deal"-Politik steckt noch in den Anfängen. Um Kansas City aber scheint die Depression einen Bogen gemacht zu haben. In der Stadt am Missouri, dem "Paris of the Plains", floriert das Nachtleben, vibrieren die Lokale im Jazz-Fieber, werden Glücksspiel und Alkohol offen geduldet. Eine Blüte auf dem Rücken der Legalität, denn die verschiedenen Ethnien haben die Stadt unter sich aufgeteilt, und ein mächtiger Bürgermeister sorgt mit Hilfe der Mafia für Ruhe und Stabilität; ein "neues Spiel" ganz eigener Art, das sich für eine Handvoll Mächtiger in klingende Münze verwandelt. Am Vorabend eines Wahltages, dessen siegreicher Ausgang für die Demokraten mit allen Mitteln, auch Mord und Totschlag, gesichert wird, entführt die Telegrafistin Blondie O'Hara die Frau eines einflußreichen Politikers, um mit dessen Hilfe ihren Geliebten Johnny aus den Händen des Jazzclub-Besitzers Seldom Seen zu befreien. Sheldom hat sich Blondies Geliebtem bemächtigt, weil der kleine Ganove es wagte, einem seiner Gäste das pralle Portemonnaie zu entwenden. Ein Diebstahl unter Gaunern, das weiß die aufgeweckte Blondie mit reichlich Kintopp-Erfahrung, ist keine Lappalie, weshalb sie, mit Pistole und Zigarette bewaffnet, die opiumsüchtige Polit-Gattin in ihre Gewalt bringt. Während in Seldoms "Hey Hey Club" die berühmtesten Jazzmusiker der Region die ganze Nacht über eine Jam-Session unter dem Motto "Battle of Jazz - Who is the King of the Righteous Riff" veranstalten und Johnny seinem Schicksal harrt, kämpfen Blondie und ihre Geisel gegen Müdigkeit, Verzweiflung und die Handlanger der Mafia, die das Problem auf ihre Weise aus der Welt schaffen wollen.

24 Stunden umfaßt Altmans Film, einen unendlich langen Tag, in dessen Zentrum die nächtliche Odyssee der beiden ungleichen Frauen steht: Blondie, derb bis vulgär, eine Angestellte aus der Unterschicht, deren bedingungslose Abhängigkeit von ihrem Geliebten in seltsamem Kontrast zu ihrer beherzten Aktion steht, von Jennifer Jason Leigh gewohnt exzentrisch ausgespielt; neben ihr wirkt Carolyn wie eine eben verblühende Lady im Dunst narkotisierender Rauschmittel, die über die Liebe und ihre Ehe ebenso desillusioniert ist wie über das Leben; eine ehemals gebildete Dame aus gutem Hause, deren Lebensgeister jedoch noch nicht völlig entschwunden sind, und die Miranda Richardson wunderbar in der Schwebe hält zwischen tränenlosem Edeljunkie und abgeklärter Jungfer. Auf ihrer Flucht durch die nächtlichen Straßen und Hallen entwickelt sich zwischen beiden fast so etwas wie Komplizenschaft, eine seltsam menschliche Annäherung zwischen Welten, die sich gewöhnlich nur in der Sphäre des Warentausches berühren. Es ist eine absurde Begegnung, ein kleines Endspiel ohne Lösung, ein Tag, dem viele andere folgen werden und den nur der Jazz überdauern wird, der den Rhythmus der Erzählung diktiert: mal ekstatisch, mal ruhig, ein unentwegter Fluß von Tönen und Impulsen, in denen nicht das einzelne, nur der Zusammenhang zählt.

Altmans Film ist ein weiteres Steinchen in seinem großen "Americana"-Mosaik, Sittengemälde, Zeit- und Kulturgeschichte, Reminiszenz an seine Jugendzeit und ein spannendes Stück Kinounterhaltung in einem. Historisches mischt sich mit Fiktivem, persönliche Erinnerungen des Regisseurs mit Anekdoten und Berichten, genaue Beobachtungen mit Miniaturen des Fantastischen wie Harry Belafontes Bravourakt als schwarzer Pate, der über die unersättliche Gier der Weißen philosophiert und sich in seinem improvisierten Monolog derart in Rage redet, daß er die Grenzen seiner düsteren Figur zu sprengen droht. Wie wenige andere Regisseure verfügt Altman über die Gabe, seine Erzählung in ein dichtes Gewebe aus Haupt- und Nebensträngen einzubetten, das parallel zur Handlung fast beiläufig Themen wie Rassendiskriminierung thematisiert, die diverse Verfallsformen des Politischen spiegelt oder die Augen nicht davor verschließt, daß Zynismus und Amoralität Insignien der Herrschaft sind, unabhängig von einer Hautfarbe.

Neben allen immanenten Kommentaren aber ist sein jüngster Film vor allem eine Hymne an den Jazz, eine Verneigung vor der großen amerikanischen Musiktradition. Die Überzeugung des Regisseurs, daß dieser Film besonders wegen seiner Musik überleben werde, kann sich darauf stützen, daß er 21 der derzeit berühmtesten Jazzmusiker zu einer gigantischen Live-Session vereinen konnte. Sie bezieht sich auch darauf, daß ihr Spie] Größen wie Mary Lou Williams, Lester Young oder Coleman Hawkins ein bleibendes Denkmal setzt. Die Rolle der Stadt, die in den 30er Jahren zum Zentrum der Entwicklung des Jazz wurde, weil sich in ihr die Reiserouten der Musiker zwischen den beiden Küsten kreuzten, ist darin ebenso aufgehoben wie ein musikalischer Querschnitt dessen, was heute unter dem Ausdruck "Mainstream Jazz" rangiert. Unter die alten Aushängeschilder des Jazz hat Altman außerdem einen jüngeren geschmuggelt, der dem Kontest der Veteranen mit stiller Kontemplation beiwohnte: Charly "Bird" Parker, der wie Altman in Kansas City aufwuchs.
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