Female Perversions

Literaturverfilmung | USA 1996 | 116 Minuten

Regie: Susan Streitfeld

Eine ebenso erfolgreiche wie attraktive Staatsanwältin, die kurz vor ihrer Berufung zur Richterin steht, lebt in der ständigen Angst, daß ihre coole Selbstsicherheit als Maske entlarvt wird. Als ihre Schwester bei einem Ladendiebstahl festgenommen wird, beginnt die Fassade zu bröckeln. Komplexes Psychodrama, das nach einem feministischen Bestseller den weiblichen Deformationen innerhalb einer von Männern dominierten Gesellschaft nachspürt. Ein provokanter Beitrag, der durch seine fragmentarische Struktur und das Spiel mit verschiedenen Realitätsebenen nach Möglichkeiten weiblicher Identität forscht. - Sehenswert.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
FEMALE PERVERSIONS
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Trans Atlantic Entertainment
Regie
Susan Streitfeld · Julie Herbert
Buch
Susan Streitfeld · Julie Herbert
Kamera
Teresa Medina
Musik
Debbie Wiseman
Schnitt
Curtiss Clayton · Leo Trombetta
Darsteller
Tilda Swinton (Eve Stephens) · Amy Madigan (Madelyn Stephens) · Karen Sillas (Renee) · Laila Robins (Emma) · Frances Fisher (Annunciata)
Länge
116 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Der Titel führt in die Irre: Mit Lack und Leder hat Susan Streitfelds radikales Filmdebüt so wenig am Hut wie mit Schmuddelbildern für den Pornoschrank, auch wenn sich eine halbentblätterte Tilda Swinton auf den Werbewänden geheimnisvoll im Dunkeln windet. Die stets ein wenig androgyn wirkende Schauspielerin verkörpert die hyperelegante, äußerst attraktive und erfolgreiche Staatsanwältin Eve, die kurz vor ihrer Berufung zur Richterin steht. Einen Aufstieg, den die Karrierefrau mit Talent, eisernem Willen und dem wohlkalkulierten Einsatz ihrer Weiblichkeit ertrotzt hat: Jede ihrer Gesten, jede Bewegung ihres Körpers sitzt wie einstudiert; teure Düfte und ihr figurbetontes Outfit verfehlen ihre Wirkung nicht, und selbst Eves Privatleben scheint sich der Kontrolle des Willens nicht zu entziehen. Doch hinter der modisch-perfekten Fassade verbergen sich Abgründe: mühsam gezügelte Süchte, Anflüge von tiefen Minderwertigkeitsgefühlen und die panische Angst, eines Tages als Schwindlerin entlarvt zu werden, die weder ihre eruptive Bisexualität zügeln kann noch gegen selbstdestruktive Tendenzen immun ist. Beim Versuch, ihrer Schwester beizustehen, die als Kleptomanin beim Ladendiebstahl erwischt und in ein Provinzgefängnis gesperrt wurde, gerät Eves angeknackstes Selbstbewußtsein völlig aus dem Gleichgewicht. Außerhalb der urbanen Spiegelwelten verpuffen ihre Reize wirkungslos. Die Begegnung mit ihrer Schwester, die vier Tage später ihre Doktorarbeit über matriarchale Gesellschaftsformen verteidigen soll, rührt darüber hinaus an Kindheitsdramen, die nachts als Albträume und sexuelle Fantasien fröhliche Urstände feiern. Als Eve auch noch kurz hintereinander von ihrem Geliebten und ihrer neuen Gespielin abgewiesen wird, und der Gouverneur sie beim Vorstellungsgespräch außerdem auf ihr gestörtes Verhältnis zu den "Family values" anspricht, brechen die Stützen ihrer Persönlichkeit zusammen: Jeder psychischen Kontrolle beraubt, sucht sie die Schuld bei ihrer mißratenen Schwester, wird aber durch Videoaufnahmen aus ihrer Schulzeit auf sich selbst zurückgeworfen.

Die Grundlage des Drehbuchs bildet die an Freud und der Psychoanalyse orientierte "Gender"-Studie der feministischen Bestsellerautorin Louise J. Kaplan, " female Perversions: The Temptations of Emma Bovary". Ein Konvolut historisch-philosophischer Abhandlungen über die psychischen wie physischen Deformationen, denen sich Frauen unterwerfen, um in einer patriarchal bestimmten Welt bestehen zu können. Aus dem umfangreichen Theoriematerial haben die Drehbuchautorinnen eine zwar stark fragmentierte, mit Träumen, Kindheitserinnerungen, erotischen Visionen und Wahnvorstellungen durchsetzte, in sich aber geschlossene Story herausdestilliert, die durch eine bestechende Kameraarbeit und das luzide Spiel mit den Realitätsebenen vom ersten Augenblick an in Bann schlägt. Im Wechsel von schonungslosen Nahaufnahmen und langen Einstellungen seziert die Regisseurin Eves Seelenleben und konfrontiert das rigide Selbstbild einer coolen Yuppiefrau nicht nur mit anderen weiblichen Stereotypen wie der Heiligen und der Hure, sondern auch mit der Vision einer lehmverschmierten, an die Venus von Willmersdorf erinnernden Figur einer archaischen Urmutter: Horrortrip, Angstneurose und Katharsis in einem. Streitfelds optisch brillante Provakationen verlangen ein hohes Maß an Konzentration und lösen nicht jede Anspielung in lineare Zusammenhänge auf. Vor allem die stilisierte Visualisierung der sexuellen Obsessionen sperrt sich trotz ihrer immer deutlicher entschlüsselten Allegorisierung einer leichten Zuordnung. Man kann den Film unschwer als erfolgreiche Aufarbeitung verdrängter ödipaler Konflikte verstehen, in der sich Eve von ihrem jähzornigen Übervater befreit, die Nabelschnur, an der sie in ihren Träumen hin- und hergezerrt wird, durchtrennt und vielleicht zum erstenmal in ihrem Leben ein Gefühl der Solidarität mit ihrer Mutter empfindet. Ungleich kontroversträchtiger scheinen dagegen die feministischen Implikationen zu sein, wie den verschiedenen Unterwerfungsstrategien unter den männlichen Blick begegnet werden kann: in Rückzug und Separation, in therapeutischer Regression oder einer permanenten Konfrontation. In diesem Kontext gibt das einzige Kind im Film Rätsel auf, ein verwirrtes, seltsam verwahrlostes Mädchen, das sich "Love" in die Haut geritzt und unter einem Steppenbusch eine Art Friedhof für seine ungeborenen Kinder errichtet hat, denen es Monat für Monat den Eintritt in die Welt verwehrt. Ihm wendet sich Eve am Ende zu, als sie nach der Versöhnung mit Madelyn im Morgengrauen wieder in die Stadt zurückfahren will: Spontane Geste, patriarchales Menetekel oder doch ernstgemeinter Denkanstoß? Dank der schlüssig und spannend entwickelten Geschichte und ihrer hochartifiziellen Bildgestaltung wird dieses funkelnde Debüt dem Namen seiner Regisseurin alle Ehre machen und für heftige Diskussionen über die Frage weiblicher Identität sorgen, denen sich auch jene Zuschauer(-innen) kaum entziehen können, die nicht alle theoretischen Grundannahmen zu teilen vermögen.
Kommentar verfassen

Kommentieren