Töchter des Himmels

Melodram | USA 1993 | 139 Minuten

Regie: Wayne Wang

Vier vor langer Zeit in die USA emigrierte Chinesinnen erinnern sich der Umstände, unter denen sie ihre Heimat verlassen mußten: Repressionen einer im Untergang befindlichen Feudalherrschaft, Krieg, Flüchtlingselend und Tod. Ihre Erinnerungen drängen angesichts von Konflikten mit ihren in den USA geborenen Töchtern nach oben. Die jungen Frauen lernen allmählich, ihre Mütter zu verstehen, und erfahren zugleich etwas, das auch für ihr Leben entscheidend wird. Eine ausufernd breit entwickelte Bestseller-Verfilmung. Die populäre, gelegentlich (über-)konstruierte Erzählstruktur ist Grundlage für ein berührendes Melodram, das von der heilenden Kraft der Liebe und des Verstehens handelt und von der Hoffnung auf eine Verständigung über Generationen und Grenzen hinweg. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
THE JOY LUCK CLUB
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Hollywood Pictures/Oliver Stone Prod. (für Buena Vista)
Regie
Wayne Wang
Buch
Amy Tam · Ronald Bass
Kamera
Amir Mokri
Musik
Rachel Portman
Schnitt
Maysie Hoy
Darsteller
Kieu Chinh (Suyuan) · Tsai Chin (Lindo) · France Nuyen (Ying Ying) · Lisa Lu (An Mei) · Ming-Na Wen (June)
Länge
139 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Melodram | Literaturverfilmung
Externe Links
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Diskussion
"A Little Bit of Heart" - ein klein bißchen fürs Herz: so lautete vor zehn Jahren der Untertitel zu Wayne Wangs einfühlsam-liebenswerter Komödie "Dim Sum" (1984), in der sich der Sinoamerikaner erstmals mit der Konfrontation von chinesischen Traditionen und Denkweisen mit der amerikanischen Gegenwart beschäftigte. Jetzt, in der Verfilmung des populären und kommerziell äußerst erfolgreichen Romans von Amy Tan, erzählt Wang in variantenreicher Weise von gleich vier Mütter-Tochter-Beziehungen, dieses Mal in einem freilich noch viel mehr fürs Herz gedachten, lupenreinen Melodram, das von verschütteten und verdrängten Gefühlen ebenso handelt wie vom späten Hervorbrechen all dieser lange Jahre angestauten emotionalen Kräfte. Das ausufernd breit gefaßte Erzählgeflecht verbindet die thematisch verwandten, ansonsten voneinander unabhängigen Geschichten mit einer Rahmenhandlung, die ihrerseits mehr ist als ein bloßer Verbindungsstrang: in ihr spiegeln und brechen sich die vier Episoden, werden als eine konkrete Erfahrung für die Gegenwart genutzt und als mögliche Lebensperspektive sinnbringend fruchtbar gemacht.

Vier Chinesinnen emigrierten vor vielen Jahren in die USA. Sie verließen mit ihrer Heimat nicht nur ihre angestammten Lebenszusammenhänge, sondern zugleich ein Land, das sie mit Repressionen und Unterdrückung, mit Krieg und Tod, persönlichen wie politischen Katastrophen konfrontiert hatte. Nun längst in die Jahre gekommen, trauern Lindo, Ying Yang und An Mei um ihre Freundin Suyuan, die vor kurzer Zeit starb. June, Suyuans Tochter, soll beim wöchentlichen Treffen der drei noch lebenden alten Damen, dem "Joy Luck Club", den Platz der verstorbenen Mutter einnehmen: beim traditionellen Mahjong-Spiel sitzt sie nun am östlichen Platz des Tisches, halb geehrt, halb voller Zweifel angesichts der Erwartungen der drei hochverehrten "Tanten", die mit ihren jeweiligen Töchtern ebenso ihre Sorgen haben wie June sie zuvor mit ihrer Mutter hatte. Die vier attraktiven jungen Frauen fühlen und denken als fortschrittliche, moderne Amerikanerinnen, und lange Zeit ahnten sie nichts von den Schicksalen ihrer Mütter. Sie verstanden sie nicht, worunter sie ebenso wie ihre Mütter litten, und kamen den Repräsentantinnen einer ihnen fernen und fremden Welt erst unter den Zeichen später Erkenntnis näher, nämlich dann, als sich die Mütter ihrer eigenen Schicksale erinnerten, sich gegenüber dem lange Jahre Verdrängten öffneten und sich den Töchtern offenbarten. Und indem die jungen Frauen ihre Mütter verstehen lernten, erfuhren sie etwas über sich selbst, das auch für ihr Leben entscheidend wird.

Nacheinander nimmt jede dieser Geschichten Gestalt an. Zunächst erinnert sich Lindo an ihre Kindheit und Jugend in China, als sie als Baby einem Sohn aus reichem Hause versprochen und schließlich von ihrer Mutter regelrecht abgeliefert wurde. Erst in der Hochzeitsnacht sieht sie ihren Gatten, der sich als dickes und despotisches Kind herausstellt, das in keiner Weise in der Lage ist, der Familie den ersehnten Sohn zu schenken. Das wird Lindo als Schuld ausgelegt, und man macht ihr das Leben zur Hölle, bis sie sich durch einen Kniff aus der Misere befreit, von ihrer Schwiegermutter aus dem Hause gejagt wird und nach Shanghai reist. Jahre später in den USA hat Lindo selbst eine Tochter: Waverly, die seit Kindestagen unter dem übertriebenen Ehrgeiz ihrer Mutter leidet. Waverly spielte schon als Kind hervorragend Schach und wurde von der Mutter stolz ebenso auf Turnieren wie in der Nachbarschaft vorgeführt. Schließlich verweigert sich das Kind, es kommt zum Bruch; erst Jahre später, als Waverly einen Nicht-Asiaten heiraten will, kommt es in angespannter Situation zur Aussprache. In der zweiten Episode erinnert sich Ying Ying ihrer katastrophalen Ehe mit einem notorischen Schürzenjäger, der sie nach der Geburt eines Sohnes betrügt, erniedrigt und drangsaliert, bis sie in einem Augenblick geistiger Umnachtung unachtsam ist und in einem Akt irrationaler Auflehnung das Kind beim Baden ertrinken läßt. Nie erholt sich Ying Ying davon, und auch in Amerika versinkt sie immer wieder in Depressionen, ohne sich zu offenbaren. Ihre Tochter Lena leidet unter den ihr unerklärlichen Gemütswallungen der Mutter ebenso wie unter ihrer mit einem kleinkrämerischen Architekten eingegangenen Ehe, die nichts mit Liebe zu tun hat. Ihre Kraftlosigkeit überwindet Lena erst, als sich die Mutter ihr offenbart. In der dritten Episode geht es um die Haßliebe von An Mei zu ihrer Mutter, die nach dem Tode von An Meis Vater von den Großeltern aus dem Haus gejagt wurde, weil sie angeblich eine Beziehung zu einem reichen Kaufmann eingegangen war. Später erfährt An Mei, daß dieser die Mutter vergewaltigte und sie in ihrer Not keine andere Möglichkeit sah, als als dessen Konkubine und vierte Frau ein Leben in Verachtung und Schande zu führen. Als auch An Mei ins Haus des selbstherrlichen Feudalherrn kommt, lernt sie ihre Mutter verstehen. Diese jedoch zieht die Konsequenz: sie nimmt sich das Leben. Jahre später leidet An Meis Tochter Rose unter ihrer Ehe mit einem reichen Amerikaner, der sich allmählich von ihr zurückzieht, ohne daß beide den Grund dafür benennen könnten. Erst im Gespräch mit ihrer Mutter erkennt Rose den Grund für ihr krankhaft übersteigertes Harmoniebedürfnis, das sie konturlos bis zur Selbstaufgabe werden ließ. Noch aber ist es auch für sie nicht zu spät für Erkenntnis und Neuorientierung.

Die vierte Geschichte schließlich ist am engsten mit der Rahmenhandlung verknüpft und weist perspektivisch zugleich am weitesten über sich hinaus. Suyuan, die aus ihrer Tochter June stets ein Wunderkind und eine Klaviervirtuosin machen wollte, hatte in China unter den Kriegswirren einst ihre ersten beiden Kinder, Zwillinge, zurücklassen müssen. Am Rande des eigenen Todes setzte sie die Kinder aus, weil man ihnen gemeinsam mit der Mutter nie und nimmer Hilfe zukommen lassen würde. Während Suyuan unerwarteterweise gerettet wurde und in die USA kam, wo sie heiratete und June zur Welt brachte, blieb das Schicksal der Zwillinge unbekannt. Erst nach Suyuans Tod hört dann June, daß ihre Schwestern noch leben. Sie bereitet ihre Abreise nach China vor, und die Protagonisten aller Geschichten kommen noch einmal zu einer großen Abschiedsfeier zusammen. In China schließlich fällt June zwei ihr unbekannten Frauen in die Arme, die sie unschwer wegen der auffälligen Ähnlichkeit zur Mutter erkennt. Nach Jahrzehnten schließt sich so ein Kreis: es ist vor allem auch eine geistige Rückkehr, die Tochter hat (selbst-)bewußt ein Erbe angetreten, das grundsätzlich das Versprechen auf inneren Frieden und Verständigung in sich birgt.

So ausufernd und vollgepackt an (melo-)dramatischen Momenten dieses Multi-Geschichte(n)-Konstrukt daherkommt, so bemerkenswert ist es, daß es inszenatorisch weitgehend tragfähig und stabil bleibt. Das liegt nicht zuletzt daran, daß Wayne Wang dem starren Muster des Romans folgt und die einzelnen Episoden fein säuberlich voneinander trennt, was auf den ersten Blick eher statisch und behäbig wirken mag, manchmal auch vorherseh- und berechenbar, so als wäre Wang primär darum bemüht, den Überblick zu behalten. Schnell aber wird deutlich, daß Wang die Vorgaben geschickt nutzt, um "sein" thematisches Zentrum herauszuarbeiten. Sinnbild dafür ist das schon früh in einem Prolog poesievoll umschriebene Motiv der "Feder der Erinnerung", die Suyuan mit nach Amerika nahm: "Sie trägt all meine guten Absichten in sich", schreibt sie, alle Hoffnungen auf ihre Tochter setzend, die sie in Amerika zur Welt bringt und die sie irgendwann einmal verstehen möge. Dann würde sie ihr die Feder schenken, nicht allein als Zeichen der Hoffnung, sondern auch als ein Symbol des Erinnerns und Besinnens. Um dieses Rückbesinnen auf innere Stärke und Identität geht es immer wieder: so sehr alle Frauen über Epochen und Gesellschaften hinweg unter noch so verschiedenenartigen Lebensumständen leiden und an ihnen kranken, so sehr heilt sie schließlich das Wissen um sich selbst. "In meinem Innern", so erinnert sich einmal Lindo, "wußte ich, wer ich war. Ich versprach, es nie zu vergessen." Viel Wert legt Wayne Wang darauf, die unterschiedlichen und doch so eng miteinander verbundenen Frauen in ihren Gefühlen auszuloten und nahezubringen, wobei er sich auf ihre ausdrucksstarken Gesichter verlassen kann, an die er sich mit der Kamera aufmerksam, in vielen schönen Momenten sogar zärtlich herantastet. Hier schließlich besitzt der Film seine besondere Qualität: als berührendes Melodram über die heilende Kraft der Liebe und des gegenseitigen Verstehens, der Verständigung über Generationen und Ozeane hinweg.
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