Meine Mütter - Spurensuche in Riga

Dokumentarfilm | Deutschland 2007 | 87 Minuten

Regie: Rosa von Praunheim

Der Regisseur Rosa von Praunheim (bürgerlich Holger Mischwitzky) begibt sich auf die Suche nach seiner leiblichen Mutter, nachdem seine Adoptivmutter ihm erst auf ihrem Sterbebett enthüllt hatte, dass er nicht ihr leiblicher Sohn sei. In Riga stößt er auf seine familiären Wurzeln und kann die eigene Vergangenheit rekonstruieren. Ein außerordentlicher, zutiefst menschlicher Dokumentarfilm, der Privates mit historischen Ereignissen verbindet und dabei zugleich die Gräueltaten des Nazi-Regimes in die alltägliche Lebenswirklichkeit zurückholt. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Rosa von Praunheim Filmproduktion
Regie
Rosa von Praunheim
Buch
Rosa von Praunheim
Kamera
Elfi Mikesch · Thomas Ladenburger · Markus Tiarks
Musik
Andreas Wolter
Schnitt
Mike Shephard
Länge
87 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12 (DVD)
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
BasisDVD (FF, DD2.0 dt.)
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Diskussion
Wer mit Rosa von Praunheim experimentelles, schwules Nischenkino verbindet, mal abgedreht, mal kitschig, künstlerisch innovativ, provokant oder auch nur hingeschludert, der wird bei seiner Dokumentation „Meine Mütter“ eine „ordentliche“ Überraschung erleben. So geordnet präsentiert sich der Film, als habe einmal nicht der schrille Plüschrevoluzzer Regie geführt, sondern sein bürgerliches Alter Ego Holger Mischwitzky. Mit Superlativen sollte man bei einem Œuvre, das über 60 Filme umfasst, zurückhaltend umgehen, aber „Meine Mütter“ zählt handwerklich sicherlich zu den saubersten und konventionellsten Filmen von Praunheims, inhaltlich zu den persönlichsten. Der Dokumentarfilm erzählt von der Suche nach Rosa von Praunheims leiblichen Eltern. Vor acht Jahren gestand ihm seine damals 94-jährige und inzwischen verstorbene Mutter Gertrud Mischwitzky, dass er nicht ihr leiblicher Sohn sei, sondern während der deutschen Besatzung in Riga aus einem Kinderheim adoptiert wurde. Mehr als diese knappe und (wie sich später herausstellen sollte) falsche Auskunft konnte der Regisseur seiner Adoptivmutter nicht entlocken. Erst nach ihrem Tod 2003 machte sich von Praunheim auf die nahezu aussichtslos scheinende Suche nach seinen Wurzeln. Schritt für Schritt begleitet „Meine Mütter“ den Regisseur und sein Team bei ihrer akribischen Recherchearbeit in Archive, zu Zeitzeugen und Geschichtswissenschaftlern. Die Familiengenealogie entwickelt sich dabei zu einer spannenden Detektivgeschichte, die zunehmend eine erschütternde historische Dimension entfaltet. Faszinierend ist zunächst, wie der Filmemacher mit nichts weiter als diesem einen Satz seiner Mutter nach Riga aufbricht – ohne den Namen seiner leiblichen Mutter zu kennen – und doch nach und nach das Puzzle seiner Herkunft zu einem anschaulichen, wenn auch nicht vollständigen Bild zusammensetzt. Den entscheidenden Hinweis findet von Praunheims Mitarbeiterin Agnese Luse im Staatlichen Historischen Archiv Lettlands. Bei der Durchsicht von „so ziemlich allem“, was „irgendwie mit Kindern“ zu der damaligen Zeit zu tun hat, stößt sie auf einen Antrag von Gertrud Mischwitzky auf „vier gebrauchte große Flanellwindeln und zwei Bettlaken zur Herstellung von Windeln“; benötigt für das 14 Monate alte Findelkind Holger Radke. Ausgehend von diesem Namen lässt sich schließlich rekonstruieren, wer von Praunheims leibliche Mutter war. Edith Radke brachte ihn am 25.11.1942 in einem Gefängnis auf die Welt. Weshalb sie verhaftet wurde, bleibt ungeklärt. Fest steht, sie starb wenige Jahre später in einer psychiatrischen Klinik in Berlin-Wittenau, wo sie einer qualvollen Elektroschockbehandlung unterzogen wurde und vermutlich verhungerte. Neben dieser traurigen, ergreifenden persönlichen Lebensgeschichte, die „Meine Mütter“ aufscheinen lässt, vermittelt der Film einen erschreckenden Einblick in die Gräueltaten des NS-Regimes. Verstörend ist die individuelle und intentionslose Perspektive, aus der heraus dies geschieht. Gerade weil es von Praunheim ursprünglich gar nicht darum ging, ein Zeitdokument zu erstellen, weil er ausgehend von seiner persönlichen Familiengeschichte eher beiläufig, zwangsläufig mit der Euthanasie psychisch Kranker und den Massakern an den lettischen Juden konfrontiert wird, holt er den Holocaust aus den Geschichtsbüchern zurück in die alltägliche Lebenswirklichkeit – möglicherweise handelt es sich bei seinem Vater um den berüchtigten SS-Polizeikommandeur von Riga. Unfreiwillig und desto wirksamer löst von Praunheim in seinem zutiefst menschlichen Dokumentarfilm die dunkle deutsche Vergangenheit für kurze, erschütternde Momente aus ihrer museal-akademischen Erstarrung. Dass der offensichtlich fürs Fernsehen kadrierte Film formal nur bedingt fürs Kino taugt, lässt sich da leicht verschmerzen.
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