Drama | Frankreich 2011 | 90 Minuten

Regie: Delphine Coulin

Als eine 16-Jährige in einer französischen Kleinstadt unfreiwillig schwanger wird, beschließen die Mädchen ihrer Clique, dass auch sie Kinder bekommen wollen, was bei den Erwachsenen erwartbar auf Unverständnis stößt. Nach dem realen Fall eines "Schwangerschaftspakts" in den USA entwickeln die Regisseurinnen die Geschichte eines radikalen Versuchs, dem eintönigen Leben in der Provinz einen alternativen Lebensentwurf entgegenzusetzen. Angesichts der Vielzahl der Figuren bleiben deren Motivationen und Hintergründe zwar im Unklaren, dennoch spiegelt diese erzählerische Leerstelle durchaus die Gemütsverfassung der Teenager. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
17 FILLES
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Archipel 35/arte France Cinéma
Regie
Delphine Coulin · Muriel Coulin
Buch
Muriel Coulin · Delphine Coulin
Kamera
Jean-Louis Vialard
Schnitt
Guy Lecorne
Darsteller
Louise Grinberg (Camille) · Juliette Darche (Julia) · Roxane Duran (Florence) · Esther Garrel (Flavie) · Yara Pilartz (Clémentine)
Länge
90 Minuten
Kinostart
14.06.2012
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Arsenal (16:9, 1.78:1, DD5.1 frz./dt.)
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Diskussion
Jugendliche sind immer für eine Überraschung gut, und meist sind dabei große Gefühle und existenzielle Fragen mit im Spiel. Damit gehören sie zu den spannendsten Protagonisten überhaupt, was der Debütfilm von Delphine und Muriel Coulin unter Beweis stellt. In der Zeitung stießen die Schwestern, die bereits zusammen einige Kurzfilme realisiert haben, auf eine Notiz, in der von einem Schwangerschaftspakt in einer US-amerikanischen Kleinstadt berichtet wurde. 18 Mädchen derselben High School schienen sich zeitgleich dazu entschlossen zu haben, ein Kind in die Welt zu setzen. Wie kommt man als Teenager auf solch eine kuriose Idee? Mit „17 Mädchen“ bieten Delphine und Muriel Coulin eine ganz persönliche Interpretation dieses Ereignisses, wobei sie die Handlung in ihre Heimatstadt nach Frankreich verlegt haben. Alles beginnt am Strand von Lorient, einer kleinen, ehemals florierenden Hafenstadt in der Bretagne. An den Orten der eigenen Jugend filtern die Regisseurinnen mit fast dokumentarischer Präzision heraus, was es bedeutet, in dieser provinziellen und konjunkturschwachen Umgebung aufzuwachsen. Die schöne, aufgeweckte Camille steht im Zentrum einer Clique von Mädchen, denen es zwischen Schule, den hart arbeitenden Eltern und den begrenzten Zukunftsperspektiven zu eng geworden ist. Camille ist 16, als sie bei einem One-Night-Stand ungewollt schwanger wird. In den Dünen weiht sie ihre Freundinnen ein. Sie will leben, zu 200 Prozent, das Kind behalten und die Wärme finden, die sie bei ihrer Mutter vermisst. Mit den Freundinnen spinnt sie diese Idee weiter, bis sich eine verlockende Utopie auftut: Wenn alle ein Baby bekämen, könnten sie die Kinder gemeinsam aufziehen, sich gegenseitig bei der Ausbildung unterstützen und nach ihren Werten leben. Der Feldzug der Mädchen beginnt, und immer wieder dient der Strand als sonniger Zufluchtsort, freies Experimentierfeld und nächtliche Paarungsstätte. Entsprechend licht und weitläufig fallen viele Bilder des Films aus. Der Horizont ist stets zum Greifen nah, auch wenn das Graue des Sozialdramas Schatten wirft. Das Pflaster liegt in diesem Fall unterm Strand. Während sich die Bäuche massenhaft wölben, was etwa dem jährlichen Klassenfototermin etwas grotesk Komisches, aber auch Subversives verleiht, spitzen sich die Konflikte mit Eltern und Lehrern zu. Delphine und Muriel Coulin legen in vielen beiläufigen Alltagsbeobachtungen sowie in Krisenmomenten das Für und Wider offen, das die Formierung einer Gruppe mit alternativem Lebensentwurf mit sich bringt. Einerseits rebellieren die Mädchen mit erfrischender Verve gegen die bestehende Ordnung, andererseits stoßen sie in der Erwachsenenwelt auf Hilflosigkeit, Unverständnis oder gar Wut; teilweise kommt es zum Bruch mit der Familie. Überdies gibt es unter den Jugendlichen selbst Probleme wie Selbstüberschätzung, Mitläufertum und schwierige Schwangerschaften. Langsam wird deutlich: Babys sind fragwürdige Waffen im Kampf um Emanzipation und Selbstbestimmung. Allerdings geht es hier nicht um das Scheitern, sondern darum, das umstürzlerische Potenzial junger Menschen zu würdigen. So sind die Genauigkeit und Vielfältigkeit, mit der die Filmemacherinnen die Geschichte auf die Leinwand holen, geprägt von hohem Einfühlungsvermögen in die explosive Mischung aus Überschwang und Verzweiflung, die in vielen Pubertierenden gärt. Dafür finden sie berührende, symbolträchtige Bilder, etwa ein Spiel mit einem in Brand geratenem Ball, gelangweiltes Sich-im-Kreis-Drehen auf einem Spielplatzkarussell oder Momente der absoluten Stille, die jedes Mädchen – bis auf wenige alle von Laiendarstellerinnen gespielt – einsam und nachdenklich in ihren realen Kinderzimmern zeigen. Doch der Film folgt, wie Delphine und Muriel Coulin selbst freimütig zugeben, zu vielen Figuren auf einmal. Keine der Protagonistinnen wächst einem an Herz, ihre Motivationen sind teils undurchsichtig. In dieser inszenatorischen Schwäche liegt freilich etwas Ehrliches: Vielleicht wissen die Mädchen selbst nicht immer, was sie antreibt. Ihre Leistung wie auch die des Films ist es, eine eigene Vision in die Welt zu setzen. Und das ist beachtlich genug.
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