Filmemachen sei wie der Bau einer Kathedrale, sagt die
italienische Regisseurin Alice Rohrwacher, darin würden Menschen noch
miteinander arbeiten und Architektur, Bild, Musik und die
Menschlichkeit zusammenbringen. Ihr wunderbarer Film „Glücklich wie Lazzaro“ startet jetzt in den Kinos.
Die Gemeinschaft, in
der der Protagonist anfangs lebt, heißt „Inviolata“, „unangetastet“. Es ist eine
intakte Welt, eine Idylle, in der aber Armut und Ausbeutung herrschen. Gibt es
ein Vorbild für diese Welt voller Widersprüche?
Alice Rohrwacher: Ja, es gibt historische Beispiele für
solche Gemeinschaften. Gutsbesitzer, die von ihren Privilegien profitieren, um
die arme Bevölkerung in der Unwissenheit zu halten. Das gibt es in der
Geschichte tausendfach, überall auf der Welt. Meinem Film liegt aber eine wahre
Geschichte zugrunde. 1994 gab es in Umbrien einen Skandal, der in den Zeitungen
als lustige kleine Geschichte bekannt wurde. Die Marchesa hatte ihren
Landarbeitern nicht gesagt, dass die Mezzadria vorbei ist! Die Mezzadria war
eine Naturalpacht, die in die Feudalzeit zurückreicht und in Italien noch bis in
die 1980er Jahre angedauerte. Erst 1982 wurde sie abgeschafft. Das System hatte
Hunderte von Jahren Bestand. Eine Adelige aber teilte ihren Bauern einfach
nicht mit, dass es vorbei war! Mich interessierte allerdings nicht so sehr die
Anekdote, sondern mehr die Situation, die sich ja auch heute noch zuträgt, aber
in einer weit größeren Dimension. Millionen von Menschen werden von einer
kleinen Oligarchie absichtlich unwissend gehalten.
Der zweite Teil des Films
spielt in der heutigen Zeit, in einer urbanen Zeltsiedlung am Rande der
Gesellschaft. Im ersten Teil sieht man hingegen eine Welt, die in ihrer eigenen
Vergangenheit versunken ist. Trotz der Armut ist hier eine Idylle spürbar,
vielleicht auch Nostalgie. Daraus entsteht eine unglaubliche Spannung zwischen
der Faszination für die Gemeinschaft und der Revolte gegen die Unterdrückung.
Rohrwacher: Ja, die Vergangenheit ist zweideutig, es
gab auch Dinge, die gut sind. Normalerweise spricht man von der Vergangenheit
als „grande inganno“, als große Täuschung und Schurkenzeit. So lässt es sich in
der Mise-en-scène des Leben